Berlin. Die Lkw-Maut auf Bundesstraßen kann frühestens im Sommer eingeführt werden. Grund für die erneute Verzögerung sind anhaltende Streitigkeiten zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem Betreiber Toll Collect. Dem Bundeshaushalt entgehen damit zweistellige Millioneneinnahmen.

Die Einführung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen verzögert sich weiter um mindestens ein halbes Jahr. Das erfuhr die Nachrichtenagentur dapd am Freitag aus dem Umfeld der beteiligten Industrie. Hintergrund ist ein langer Streit zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem gewünschten Betreiber Toll Collect um Haftungsfragen, der aber in der kommenden Woche beigelegt werden soll.

Dem Bundeshaushalt entgehen damit im zweiten Jahr in Folge zweistellige Millioneneinnahmen. "Die Verhandlungen sind in den letzten Zügen", erklärte das Verkehrsministerium. Sollten sich die Beteiligten jetzt einigen, braucht Toll Collect noch bis in die zweite Jahreshälfte, um das System mit der nötigen Präzision betrieben zu können.

Erste Einnahmen sollten schon 2011 fließen

Die Einbeziehung von rund 1.000 Kilometern vierspuriger Bundesstraßen in das Mautsystem war im Frühjahr 2011 vom Bundestag verabschiedet worden und sollte ursprünglich noch im selben Jahr haushaltswirksam werden. Im Sommer nannte das Verkehrsministerium dann den Winter 2011/2012, also jetzt, als Einführungstermin.

Der Bundesregierung entgehen mit der anhaltenden Verzögerung erneut bis zu 100 Millionen Euro Haushaltsmittel. Der Streit ging darum, dass Toll Collect nicht für einen vollständigen Systemausfall bei der Einbeziehung der Bundesstraßen haften will. Die nominelle Speicherkapazität der rund zehn Jahre alten Mautgeräte in den Lastwagen, der On-Board-Units (OBU), reicht den Angaben zufolge nicht vollständig aus, um die rund 1.100 hinzu kommenden Bundesstraßen-Abschnitte und die bis zum Vertragsende mit Toll Collect im Autobahnsystem noch anstehenden Updates zu erfassen.

Da die OBUs nicht modular aufgebaut seien, könnte bei dem Update praktisch das ganze System kollabieren, hieß es in Expertenkreisen. Theoretisch wäre also denkbar, dass das Bundesstraßen-Update die OBUs überfordert, sie abstürzen und die Lkw anschließend überhaupt keine Maut mehr abrechnen können. Das würde im Extremfall einen Einnahmeausfall von 4,6 Milliarden Euro jährlich bedeuten, für den Telekom und Daimler als Gesellschafter von Toll Collect nicht haften wollen.

Österreich schon einbezogen

Hier gibt es einen gravierenden Unterschied zu einer weiteren Neuerung, die im deutschen Mautsystem seit Herbst vergangenen Jahres eingeführt wird: der zusätzlichen Berechnungsmöglichkeit der österreichischen Lkw-Maut, die auf einer Mikrowellen-Übertragungstechnik beruht. Sie kann nach Freischaltung auch von den deutschen OBUs geleistet werden, ohne die Speicherkapazität weiter zu beeinträchtigen. Das erspart den Speditionen das Mitführen eines zweiten Erfassungsgeräts im Führerstand.

Im Prinzip argumentieren die Betreiber bei der Bundesstraßen-Maut mit einem "erhöhten Betriebsrisiko". Da der zusätzlich erhobene Wegezoll auf so vielen neuen Teilabschnitten nicht Gegenstand des ursprünglichen Vertragswerks gewesen sei, könnten sie auch nicht für die Auswirkungen dieser Zusatzleistung auf das klassische System in Regress genommen werden.

Der scharfe Streit um Haftungsfragen muss auch vor dem Hintergrund einer seit 2005 andauernden Auseinandersetzung vor einem Schiedsgericht gesehen werden, in der die Bundesregierung versucht, die milliardenteuren Einnahmeausfälle der verspäteten Einführung der Lkw-Maut 2004/2005 von den beiden DAX-Konzernen wieder herein zu holen.

Eine Haftungsklausel wird es nicht mehr geben

Mit Zins und Zinseszins beläuft sich der Streitwert inzwischen auf rund sieben Milliarden Euro. Ob und wann es zu einem rechtskräftigen Schiedsspruch kommt, ist völlig offen. Beobachter rechnen allerdings nicht damit, dass eine Seite "zu null" gewinnt. Immerhin behält der Bund seit 2006 monatlich etwa acht Millionen Euro der eigentlich an Toll Collect abzuführenden Betriebsausgaben im Vorgriff auf eine mögliche Strafzahlung ein, was am Ende der Vertragslaufzeit schon ohne Zinsen etwa 800 Millionen Euro ausmacht. "Am Ende wird man sich irgendwo in der Mitte einigen müssen", erklären die Beobachter.

Aber eine Haftungsklausel wie in den seinerzeitigen Mautverträgen zur Einführung der satellitengestützten streckenabhängigen Maut für schwere Lastwagen werde es sicher nicht mehr geben. Die Politik, die sich mit der Bundesstraßen-Maut diese mehr als einjährige Verzögerung eingefangen hat, hätte zusätzliche Mauteinnahmen übrigens billiger haben können: Die Herabsetzung der Untergrenze für die Erhebung von jetzt 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht auf 7,5 Tonnen wäre nach Auskunft der Experten von den derzeitigen Verträgen gedeckt gewesen. Aber das war politisch nicht beabsichtigt. (dapd)