Berlin. . Der Boykott der Autofahrer zeigt Wirkung: Die Mineralölwirtschaft wird die neue Spritsorte Super E10 bundesweit vorerst nicht einführen. Der Mineralölverband: Die Akzeptanz ist nicht da.
Die Mineralölindustrie steigt bei der weiteren Einführung des umstrittenen Biosprits Super E10 auf die Bremse und verärgert damit die Politik. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will nun wegen des Hickhacks einen Benzin-Gipfel einberufen. Bei diesem "zeitnahen" Treffen könne die Industrie über den Stand der Entwicklung und über ihre Pläne zum weiteren Vorgehen berichten, erklärte Brüderle.
Zuvor hatte der Mineralölwirtschaftsverband erklärt, dass die Industrie die Produktion von E10 drosseln werde und sich die bundesweite Einführung der neuen Spritsorte verzögert.
Brüderle kritisierte das Vorgehen der Mineralölwirtschaft. "Fakt ist, dass die Verbraucher völlig verunsichert sind", sagte Brüderle. Er halte es "daher für entscheidend, dass die Beteiligten, insbesondere die Automobil- und die Mineralölwirtschaft, die Atempause bei der Umstellung auf E10 nutzen, um bei den Verbrauchern für absolute Klarheit zu sorgen".
Ruhrgebiet bleibt vorerst E10-frei
Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) rüffelte den Rückzieher der Mineralölindustrie. "Das Durcheinander, das die Mineralölwirtschaft hier veranstaltet, ist nicht akzeptabel", sagte Röttgen. "Es führt zu einer vollständigen Verunsicherung der Verbraucher. Die Mineralölindustrie sollte sich endlich eine vernünftige Strategie überlegen, statt jeden Tag widersprüchliche und verwirrende Botschaften auszusenden."
Der Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands, Klaus Picard rechtfertigte das Vorgehen der Branche mit den Worten: "Die weiterhin dramatisch geringe Nachfrage nach E10 beim Endkunden" zwinge die Raffinerien dazu, ihre Produktion an die geringe E 10-Nachfrage anzupassen.
Nach Branchenangaben werden vorerst keine weiteren Raffinerien auf die Produktion des neuen Treibstoffs umgestellt. Nutznießer sind das Ruhrgebiet und Norddeutschland: Hier bleibt es vorerst beim klassischen Sprit, weil die zuständigen Raffinerien nicht umgerüstet werden.
Hintergrund: Die Tanklager quellen mit dem neuen E10-Superbenzin über, weil verunsicherte Autofahrer trotz der höheren Preise lieber Super Plus tanken. Allerdings sollen schon umgestellte Werke auch nicht auf das Alt-Super zurückgenommen werden.
Nach Informationen aus der Branche haben 60 bis 70 Prozent der Autofahrer es abgelehnt, die neue Spritsorte zu kaufen. Stattdessen sind sie auf das deutlich teurere Super Plus ausgewichen. Davon kann die Ölindustrie aber nicht genug produzieren.
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„Wir setzen alles daran, die Kunden zu informieren“, sagte Picard.
ADAC und Grüne begrüßen den Schritt, Verkehrsclub rügt Handhabe
Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Bärbel Höhn, begrüßte die Ankündigung des Mineralölwirtschaftsverbandes, bei der Einführung des Biosprits E 10 auf die Bremse zu treten. "Jetzt hat man Zeit in Ruhe zu informieren und Sorgen auszuräumen. Besser wäre aber eine andere Biokraftstoff-Strategie - und zwar das Angebot von reinem Biosprit, der dann freiwillig getankt werden kann", sagte Höhn gegenüber DerWesten. Ähnlich aüßerte sich der ADAC. „Das Chaos und die Verwirrung der Autofahrer mussten beendet werden“, sagte ADAC-Sprecher Maximilian Maurer.
Die Situation hätte sich auch in den nächsten Wochen nicht beruhigt, so der ADAC. Der Preis für das E5-Superbenzin mit weniger Bioethanol sei schon acht Cent über den Preis von E 10 gestiegen. Daher sei die Entscheidung der Mineralölindustrie, E10 erst später und besser vorbereitet einzuführen, der richtige Schritt gewesen, sagte der Sprecher des Autoclubs.
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) verurteilte die Mineralölindustrie scharf. Es sei unglaublich, welche Politik der Mineralölwirtschaftsverband betreibe, sagte VCD-Sprecher Gerd Lottsiepen. "Erst wurden die Verbraucher über den Tisch gezogen mit der Einstellung von E5-Super, dann wurden sie zum teuren Super-Plus gedrängt." Zugleich sei E10 ohne hinreichende Informationen eingeführt worden. Jetzt werde es wieder zurückgezogen. "Das ist ein Trauerspiel", sagte Lottsiepen. "So wie es derzeit läuft, ist es nicht hinnehmbar."
Autofahrer meiden Spritsorte
Bereits am Mittwoch hatte Branchenführer Aral erklärt, er werde die neue Benzinsorte vorerst nicht in NRW einführen. Den neuen Sprit gibt es bisher vor allem in Ostdeutschland, Bayern und Teilen Baden-Württembergs.
Weil Autofahrer das neue Super E10 meiden und stattdessen das teurere Super Plus tanken, kam es in den vergangenen Tagen bereits zu Versorgungsengpässen bei Super Plus. Viele Autofahrer sind verunsichert, ob ihr Auto den neuen Biosprit verträgt.
In Deutschland dürfen nach Schätzungen rund drei Millionen ältere Autos nicht mit E10 fahren, weil der Kraftstoff ihre Motoren angreifen würde. Alle anderen Autos können ohne Sorge E10 tanken.
Mit den Einführungsstopp wird die Mineralölindustrie die von der Politik vorgeschriebene Biosprit-Quote kaum mehr schaffen. Damit droht eine Strafzahlung - für jeden Liter werden zwei Cent fällig. Experten fürchten, dass die Konzerne diese Kosten auf die Verbraucher abwälzen werden.
Welche Autos den neuen Sprit vertragen - die Liste
(dapd/we)