Hagen. . Für private Haushalte wird der Strom etwa 50 Euro jährlich teurer - und für Unternehmen deutlich mehr. im Interview erklärt Ivo Grünhagen, Vorstandschef des Energieversorgers Enervie, woran das liegt.

Die wirtschaftliche Lage der meisten Energiekonzerne hat sich mit der Energiewende in Deutschland deutlich verschlechtert. Der regional tätige Hagener Energieversorger Enervie befindet sich dabei in einer Sondersituation: Er muss Kraftwerkskapazitäten vorhalten, die sich nicht mehr rechnen, weil Wind- und Sonnenenergie bevorzugt ins Netz eingespeist werden. Über die Gespräche zu einer Lösung der verfahrenen Lage und Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ergebnisse, die am 22. September Thema im Aufsichtsrat sein werden, sprachen wir mit Enervie-Vorstandschef Ivo Grünhagen.

Vor einem Jahr haben Sie beantragt, ihren Kraftwerkspark zum 1. Oktober 2014 abschalten zu dürfen. Wie weit sind die Gespräche mit der Bundesnetzagentur?

Ivo Grünhagen: Die Verhandlungen sind schwierig, weil wir individuell festgestellt haben, dass die Situation einmalig ist. Es handelt sich nach meiner Einschätzung um den kompliziertesten Fall von Netzstabilitätsproblemen unter deutscher Regulierung.

Was macht die Sache kompliziert?

Grünhagen: Unsere Kraftwerke werden für eine sichere Stromversorgung der Region benötigt. Die Fragen sind, wie die Kosten dieses Kraftwerkseinsatzes ermittelt werden und welcher Netzbetreiber (Amprion oder Enervie Asset Network) diese in Netzentgelte umlegt. Wir stoßen da in Rechtsbereiche vor, die noch nie jemand betreten hat. Mein Dank gilt daher den Hagener Politikern, der NRW-Landesregierung und den Bundestagsabgeordneten aus der Region, die uns auf dem bisherigen Weg sehr unterstützt haben. Wir haben gemeinsam zu einer Form gefunden, das Spezifische des Themas in der Öffentlichkeit zu platzieren.

Ist denn eine Lösung in Sicht?

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Grünhagen: Ich kann nichts zu den Einzelheiten sagen, aber wir befinden uns in der Endphase, und ich habe das Gefühl, dass wir eine gemeinsame Basis gefunden haben. Diese wäre für uns zwar immer noch schmerzhaft, weil nicht alle entstehenden Kosten abgedeckt würden. Die Bundesnetzagentur hat sich aber bereitgefunden, lösungsorientiert vorzugehen. Aber auch mit einer solchen Lösung, das ist den Verhandlungspartnern bewusst, wird es Bereiche geben wie etwa die Zuständigkeit des Netzbetreibers, die nochmals geklärt werden müssen, gegebenenfalls auch rechtlich. Die Verordnungen sind bisher nur selten angewandt worden.

Können Sie die Lösung, die sich jetzt abzeichnet, skizzieren?

Grünhagen: Wir gehen heute davon aus, dass unsere Kraftwerke nicht mehr marktbezogen Strom produzieren, sondern nur noch zur Netzstabilität, gemäß den Vorgaben unseres Netzbetreibers Enervie Asset Network, betrieben werden. Das heißt, man hält die Kapazitäten vor und speist sie nur ins Netz ein, wenn es zur Versorgungssicherheit notwendig ist. Die zweite Möglichkeit: Man hält Kraftwerke vor und bekommt nicht die vollen Kosten ersetzt, sondern man agiert am Energiemarkt. Allerdings könnten Marktteilnehmer sagen: Das ist Wettbewerbsverzerrung.

Was passiert, wenn bis zum 1. Oktober keine Lösung gefunden ist?

Grünhagen: Es muss bis zum 1. Oktober eine Lösung gefunden werden, weil sonst ein Rechtsstreit droht. Wir gehen davon aus, dass drei unserer Kraftwerksblöcke systemrelevant sind und wir mit der Bundesnetzagentur eine Lösung zu den damit verbundenen Kosten finden.

Was bedeutet das für die Kunden?

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Grünhagen: Für unsere Kunden heißt das, dass die Netzentgelte steigen werden, und das spürbar. Denn die Kosten werden über die Netzentgelte umgelegt. Wir gehen heute von jährlichen Mehrkosten von rund 50 Euro für einen Privathaushalt aus - und das unabhängig vom Stromanbieter. Erheblich höhere Belastungen würden auf Unternehmen zukommen. Das bedeutet, die Energiewende bleibt für die Region mit ihren vielen mittelständischen Unternehmen belastend. Südwestfalen muss sich also auf Wettbewerbsnachteile einstellen. Es wird Rechtsverfahren geben. Fakt ist aber, dass diese Zusatzkosten, die jetzt ins Netz gehen, nicht von uns verursacht werden. Das müssen wir unseren Kunden erklären.

Wie lange wird die Phase höherer Netzentgelte dauern?

Grünhagen: Ich sehe zwei Aspekte, die die Situation beeinflussen können. 1. Amprion baut wie geplant die Netze und die Koppelstelle in Hagen-Garenfeld aus, um mehr Strom von außen ins regionale Netz zu lassen. Das würde etwa sechs bis acht Jahre dauern. 2. Es gibt wieder Marktmechanismen, die den Kraftwerks-Einsatz angemessen entlohnen. Die Politik wartet hier schon viel zu lange ab.

Was ist ein Kraftwerkspark in Ruhestellung noch wert?

Grünhagen: Es wird Sonderabschreibungen geben, wir werden Wertberichtigungen um einen spürbaren Betrag vornehmen müssen. Es werden aber weniger als 100 Millionen Euro sein, unser Kraftwerkspark ist relativ alt. Zudem sehen wir an weiteren Stellen Bereinigungsbedarf. Wir werden jetzt anfangen, mit den Banken Gespräche zu führen, weil wir nicht gerade üppig mit Eigenkapital ausgestattet sind.

Wie reagiert das Unternehmen auf diese Herausforderungen, die Sie ja nicht ganz unvorbereitet treffen?

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Grünhagen: Wir bereiten uns gezielt seit etwa drei Jahren mit zahlreichen gegensteuernden Maßnahmen auf diese Situation vor. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir für diese existenziell schwierige Situation Lösungen haben, wir diese einmalige Bereinigung hinbekommen und ab 2015 wieder ordentliche, angemessene Ergebnisse erzielen werden. Unsere Anteilseigner, die zweimal auf Dividende verzichten mussten, gehen jedenfalls verantwortungsbewusst damit um.

Was planen Sie über die bislang beschlossenen Maßnahmen hinaus?

Grünhagen: Neben einem weiterhin intensiven Kostenmanagement ist etwa die Gründung einer eigenen großen Netzgesellschaft alternativlos, mit der wir durch die Anrechnung eines deutlich einstelligen Millionenbetrages unser Ergebnis in den Netzen stabilisieren können. Zuvor müssten wir aber stille Reserven im höheren zweistelligen Millionenbereich heben. Hier Konsens zu erzielen, ist bei so vielen Anteilseignern nicht so einfach.

Wie sähe die Netzgesellschaft aus?

Grünhagen: Die Netze von Mark E und Stadtwerke Lüdenscheid müssten zusammengeführt werden - eine Maßnahme mit hoher emotionaler Komponente in Lüdenscheid. Wir sind uns der lokalpolitischen Dimension bewusst. Das garantiert aber auf der anderen Seite den Fortbestand der Stadtwerke Lüdenscheid.