Essen. Er verneigt sich vor den Gläubigen. Trägt ein Brustkreuz aus Eisen statt aus Gold. Fährt Bus statt Limousine. Mit wenigen Gesten hat der neue Papst Franziskus Fenster aufgestoßen und gezeigt: In der katholischen Kirche weht jetzt ein neuer Wind. Ein Kommentar.

Verblüffung und viel Sympathie. Das sind in der ganzen Welt die ersten Reaktionen auf die Wahl des neuen Papstes. Der Faszination, die von Franziskus ausgeht, kann man sich schwer entziehen. Schon in den ersten 24 Stunden seines Pontifikats scheint ein Ruck durch die Kirche zu gehen. Wenige Gesten reichen aus, um zu symbolisieren: Franziskus stößt die Fenster auf, ein neuer Wind weht hinein.

Ein Papst, der sich vor den Gläubigen verneigt, der ein Brustkreuz aus Eisen, nicht aus Gold trägt. Ein Papst, der mit dem Bus fährt und die Limousine stehen lässt. Das ist ein Papst, der Zeichen setzt. Bescheidenheit ist für Jorge Mario Bergoglio keine Inszenierung, sondern Lebensstil. Dafür steht auch sein Amtsname, der an den heiligen Franz von Assisi erinnert. Ein Vorbild, das sehr zeitgemäß ist. Der englische Schriftsteller Gilbert K. Chesterton hat die Botschaft des Bettelmönchs so gedeutet:

Schon als Kardinal hat Bergoglio Prinzipien vorgelebt

„Der heilige Franziskus hat alles vorweggenommen, was unsere moderne Denkart an äußerster Weitherzigkeit und an Mitgefühl in sich birgt: die Liebe zur Natur, … den Sinn für soziale Verpflichtung, den Blick für die geistigen Gefahren des Wohlstandes.“

Schon als Kardinal hat Bergoglio solche Prinzipien nicht nur gepredigt, sondern vorgelebt. Seine Namenswahl ist eine Selbstverpflichtung auf hohe Tugenden. Wer sich „Franziskus“ nennt, muss sich am Heiligen Franz von Assisi messen lassen.

Man darf keine überzogenen Erwartungen an den Papst haben

Natürlich mischen sich erste kritische Stimmen in den Jubelchor. Er sei gegen die Homo-Ehe und habe konservative Wertvorstellungen. Ja, was denn sonst? Der Mann ist Katholik! Überhaupt darf man keine überzogenen Erwartungen an den Papst richten. Er wird die katholische Lehre nicht umstürzen. Aber er wird offen sein für den Dialog.

Auch andere, zeitgemäße Strukturen im Vatikan müssen diskutiert werden. Papst Franziskus hat gestern in seiner ersten Predigt angekündigt: „Die Kirche darf nicht stehen bleiben.“ Die Agenda für den Weg, der vor dem neuen Papst liegt, ist immens. Auch hier kommt der Heilige Franz ins Spiel. Er fühlte sich durch diese Gottesworte zur Umkehr berufen: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“

Franziskus muss das Haus der Kirche renovieren

Papst Franziskus hat eine gewaltige Aufgabe: das Haus der Kirche zu renovieren. Gut, dass er sich mit dem emeritierten Vorgänger beraten kann. Benedikts Pontifikat hat ja offenbart, dass selbst für den Nachfolger des Petrus Macht und Ohnmacht nahe beieinander liegen. Letztere liegt an der schwachen Kurie. Zukünftig braucht der Chef der größten Glaubensgemeinschaft der Welt ein zeitgemäßes und kollegiales Beratergremium, besetzt mit klugen Fachleuten, die nicht zwangsläufig Kleriker sein müssen.

Noch wirkt Franziskus etwas rätselhaft, asketisch und introvertiert. Zukünftig muss er der sichtbare Verkünder des Glaubens sein. Der moderne Blick auf den Petrusdienst ist weniger religiös als medial geprägt. Es ist allerdings irritierend, dass Päpste nun in den Kategorien von Popstars bewertet werden. Es wäre ein Fehler, sich nach einem religiösen Führer zu sehnen, der uns entflammt und begeistert. Wer sich Gott zuwenden will, sollte dies aus eigenem Antrieb und ohne große Show tun. Auf diesen Weg der neuen Bescheidenheit und Innerlichkeit hat Papst Franziskus die Kirche gebracht, und er verlangt, dass die Bischöfe und Priester den Gläubigen vorangehen.