Shanksville. Terroristen überwältigen die Maschine des United Airlines Flugs 93. Doch die Passagiere an Bord wehren sich und verhindern Schlimmeres. Das Flugzeug stürzt nahe des 260-Seelen-Nests Shanksville ab, das so ins Rampenlicht der Geschichte rückt.
Auf dem Weg nach Hause sah Sam Stevanus (65) Rauch hinter dem Hügel aufsteigen. Kurz darauf hielten ihn Polizisten an, die sich nervös erkundigten, wo er hin wollte. „Indian Lake“ antwortete Stevanus, dessen Chef ihn nach Hause geschickt hatte, um nach dem Rechten zu sehen. Als er auf sein Grundstück in der idyllisch gelegenen Waldsiedlung zufuhr, rieb sich der Inspektor die Augen. „Die Einfahrt war übersät mit verkohlten Flugzeugresten.“
Stevanus brauchte nicht lange, die Bilder im Fernsehen, die düstere Rauchwolke und die nicht mehr weiße Auffahrt miteinander zu verbinden. „Die Weltgeschichte hat einen Besuch in unserem Vorgarten gemacht.” Als Ehefrau Connie (55) später am Nachmittag nach Hause kam, überwältigten sie die Emotionen. „Das war Flug 93”, realisierte sie beim Anblick der Überreste, die Sam aufgesammelt hatte. Zwei Müllsäcke voll, die er später dem FBI übergab.
Erinnerungen an Todd Beamers Notruf
Wenn Connie und Sam zehn Jahre später davon erzählen, wie das 260-Seelen-Nest Shanksville am 11. September 2001 in die Geschichtsbücher einging, strömen beiden die Tränen über die Wangen. Ihre Trauer ist so echt, wie der Stolz auf die 40 Passagiere, die damals ein größeres Unglück verhinderten. „Über dem Himmel von Shanksville kamen ganz normale Amerikaner zusammen, um das Richtige zu tun”, erinnert Connie an das Drama an Bord von United Airlines Flug 93.
Die Boeing 757 war von New York unterwegs Richtung San Francisco, als kurz vor halb zehn Uhr vier Araber die Piloten überwältigten und Kurs auf Washington nahmen. Vermutlich mit dem Ziel, den US-Kongress anzugreifen. Über die Bordtelefone erfuhren die Entführten von den beiden Flugzeugen, die in die Türme des World Trade Center eingeschlagen waren.
Die Telefonistin Lisa Jefferson nahm einen Notruf Todd Beamers (32) entgegen, der den Hörer anschließend vom Sitz baumeln ließ. Ihr Zeugnis, aber auch die Aufzeichnungen des Flugrekorders lassen keinen Zweifel, dass sich die Passagiere nicht wehrlos ihrem Schicksaal ergeben wollten. Lisa hörte Schreie und Gebete in der schlingernden Maschine und dann die Stimme Todds: „Seid ihr klar Leute – Okay - Los geht’s“.
„Let’s Roll” – der Schlachtruf, hinter dem Amerika nach dem 11. September zusammenkam, steht heute auf einem Gedenkstein in dem Erinnerungsgarten vor der örtlichen Highschool von Shanksville. Ein verstecktes Dorf, auf das Straßenschilder erst hinweisen, wenn man fast da ist. Linda Mussels (48) Familie lebt hier seit Menschengedenken. Sie kommt jedes Wochenende zu dem provisorischen Aussichtspunkt des neu geschaffenen Nationalparks ein paar Kilometer außerhalb Shanksville.
Dort erzählt sie als eine von 40 „Botschaftern”, was hier passierte. Linda deutet mit der Hand Richtung der weißen Marmormauer, die auf der rekultivierten Kohlemine als Teil des Denkmals für die Opfer des 11. September errichtet wird. „Ungefähr auf dieser Höhe raste die Maschine mit 600 Meilen in der Stunde dem Grund entgegen.” Von den 44 Körpern blieb kaum etwas übrig. „Nichts größer als ein Stück Knochen und nicht ein einziger Tropfen Blut.“
„Ist das das Ende der Welt?”
Die Einwohner von Shanksville verstehen sich als so etwas wie die Grabwächter der ersten Helden im Kampf gegen den Terror. Gemeinsam mit Jeff Reinbold vom National Park Service sorgen sie dafür, die einzigartige Atmosphäre des Ortes zu erhalten. Die Stille und die Landschaft mit den sanft geschwungenen Hügeln, auf denen der Wind durch kniehohes Gras streift.
„Einige wünschen sich ihr altes Shangri-La zurück”, weiß Pastor Bob Way, der die kleine Luther-Gemeinde im Herzen des gottesfürchtigen Nests leitet. „Die meisten aber versuchen das Beste draus zu machen.“
Was sich in Shanksville, in Amerika verändert hat? „Schwer zu sagen”, findet Pastor Bob, der sich noch gut daran erinnert, wie ihn Kinder am 11. September auf der Straße ängstlich fragten: „Ist das das Ende der Welt?” Die Angst vor weiterem Terror fällt ein, die Kriege in Irak und Afghanistan, die Vorbehalte gegen Muslims, die vielen neuen Sicherheitsvorkehrungen.
Die Meinungen der Besucher der Gedenkstätte in Shanksville gehen bei dieser Frage weit auseinander. Aber es besteht breite Übereinkunft über die Zivilcourage der Passagiere an Bord von Flug 93. Wie sehr, wird deutlich, als Gary O’Neill (62) sein Horn auspackt. Daheim in Burwick im US-Bundesstaat Pennsylvania, spielt der Vietnam-Veteran an jedem Jahrestag im Feuerwehrhaus den „letzten Ruf”. Eine Tradition, die er aus dem Militär übernommen hat.
Während die Klänge seines Horns sich wehmütig mit dem Rauschen des Windes vermischt, der über das Feld bei Shanksville bläst, kehrt für einen kurzen Moment dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit zurück, das die Amerikaner nach dem 11. September verspürten.