Washington. . Virginia Bauers Mann David starb im 105. Stock des World Trade Centers. Sie kämpfte für die Entschädigung der Opferfamilien. Gegenüber DerWesten berichtet sie, wie sie mit dem Verlust umgeht.
Jeder weiß, wo er am 11. September 2001 war. An jenem Tag, der Amerika für immer veränderte. Virginia Bauer hat das nationale Trauma in den vergangenen zehn Jahren ganz persönlich durchlebt. Ihr Mann David kam im Nordturm des World Trade Centers ums Leben.
Nichts ist mehr, wie es einmal war für Virginia Bauer (55). Seit Oktober 2007 lebt sie in zweiter Ehe mit Donald Steckroth, einem pensionierten Bundesrichter, der verwitwet ist, wie sie. Die drei erwachsenen Kinder gehen ihre eigenen Wege. Virginias erster Mann David, ein erfolgreicher Investment-Banker, arbeitete am Morgen des 11. September ganz oben im 105. Stock an seinem Schreibtisch, als der American Airlines Flug 11 um 8.45 Uhr im Nordturm des World Trade Centers einschlug. Für den 45-Jährigen gab es kein Entkommen, auch nicht für 658 Kollegen, die mit ihm bei der Firma „Cantor Fitzgerald“ arbeiteten.
Während andere Angehörige der insgesamt 2977 Todesopfer der Terroranschläge zu einer Therapie gingen, lässt die Witwe Gefühle gegenüber anderen nur selten zu: „Das Leben muss weitergehen.“ Sie mag es weder, bemitleidet noch bedauert zu werden. Am allermeisten hasst sie die Opferrolle: „Meinem Mann hätte das nicht gefallen.“
146 Opfer aus dem Ort
Mit anderen Betroffenen aus der schmucken Pendlergemeinde Red Band an der Küste New Jerseys setzte sich die ehemalige Finanz-Analystin von Merrill Lynch an vorderster Front für die Entschädigung der Angehörigen ein. Vermutlich lebten nirgendwo so viele Opfer auf einem Flecken wie in Red Band. David Bauer war einer von 146 Toten aus dem Ort. Jeden Morgen fuhr er mit dem Fährboot zum Pier 11 nahe der Wall Street. Aus dem Herzen der Finanzwelt nach Feierabend abzulegen, um nach 45 Minuten in einem Wohn-Idyll anzukommen – das zog in den 90er-Jahren scharenweise junge Banker-Familien nach Red Band und Umgebung.
Virginia Bauer kann sich noch gut daran erinnern, wie in der Diskussion um die finanzielle Entschädigung von Hinterbliebenen einige den hässlichen Verdacht der Habgier erhoben. „Blutgeld“ wollten sie kassieren, die reichen Witwen der Banker, die es sich leisten konnten, hier in den vornehmen Vorstädten New Yorks zu leben.
Reise in den Irak
„Jedem dasselbe zu geben, wäre nicht fair gewesen,“ steht die Frau zu ihrem Engagement für Entschädigungen, die sich an den Lebensumständen der Betroffenen orientierten. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen setzte sie im US-Kongress noch vor Ende 2001 ein Gesetz durch, das den Angehörigen als Soforthilfe die Steuer der letzten beiden Jahre zurückerstattete. Darüber hinaus konnten die Betroffenen zwischen Einmalzahlungen aus einem Fonds und Schadensersatzklagen wählen. Virginia Bauer entschied sich für die Pauschale – wie fast alle Angehörigen.
Über die Gemeinheiten derjenigen, die sie als „Money-Girl“ denunzierten, hörte sie hinweg. Wie sie innerlich den Kopf schüttelt, wenn Außenstehende ihr bis heute erzählen, was sie am 11. September erlebt hatten. Dass es ein Dienstag war und die Sonne schien. „Als müsste ich daran erinnert werden.“
Aus ihrem Einsatz für die Angehörigen eine Karriere zu machen, lag der Witwe fern. Stattdessen brachte die Ökonomin ihr Talent an anderer Stelle ein. Erst als Ministerin im Kabinett von Gouverneur Jon Corzine und heute im Vorstand der Port Authorities, die über alle Häfen und Flughäfen, Brücken und Tunnels, die Schnellbahn und das Gelände des World Trade Centers wachen.
2003 reiste sie auf Einladung des US-Militärs in den Irak. „Es hat mich geschmerzt zu sehen, wie viele dieser jungen Soldaten sich wegen des 11. September freiwillig gemeldet hatten,“ erinnert sie sich an die Begegnung mit den Truppen in Bagdad. Ihre Opposition gegen den Krieg verfestigte sich ein Jahr später bei einem Besuch der Verwundeten in einem Militärkrankenhaus. „Das war das Schlimmste, das ich je erlebt habe.“
„Das Leben geht weiter“
Am zehnten Jahrestag des 11. September blickt Virginia Bauer nach vorn: „Ich bleibe aktiv, um nicht ständig darüber nachdenken zu müssen, was aus meinem Leben geworden wäre.“ Zuletzt heuerte sie als Geschäftsführerin für ein Unternehmen an, das die Identität von Personen in Sekundenschnelle überprüfen kann.
Als Weglaufen möchte Virginia ihre Geschäftigkeit nicht verstanden wissen. Ihr geht es darum, positiv zu sein, das Beste aus der Situation zu machen. „Das Leben geht weiter, auch wenn nichts so ist, wie es einmal war.“