Essen. . Die Corona-Krise hat die Situation der Alleinerziehenden verschärft. Agnes Ibrahimi droht die Privatinsolvenz. Sie spürt “wahnsinnigen Druck“.

Alleinerziehende gelten als Gruppe mit einem hohen Armutsrisiko. "Es ist eine Gruppe, die stark belastet und am Limit ist", sagt Ute Zimmermann, Sprecherin des Verbandes allein erziehender Mütter und Väter NRW (VAMV NRW). Und das galt schon in der Zeit vor Corona.

Jetzt hat die Krise die Situation verschärft. Agnes Ibrahimi (42) aus Verl mit ihrem zweijährigen Sohn "versucht, irgendwie zu überleben". Ihr sei bewusst, sagt sie, dass sie in die Privatinsolvenz gehen müsse, wenn sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen könne. "Ich weiß nicht, wie es im Mai aussieht", erklärt sie. Der seelische Druck ist hoch.

Corona verändert den Tagesablauf

Ihr Tagesablauf habe sich grundlegend geändert. An normalen Tagen brachte sie ihren Sohn in den Kindergarten und fuhr dann weiter zur Arbeit, halbtags arbeitete sie bei einem Elektrohändler im Büro. "Bis 12 Uhr", sagt sie. Dann ging es zum Kindergarten und von da aus zurück nach Hause. Doch das war vor Corona.

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Damit sie auch in Zeiten der Corona-Krise den Betreuungsplatz wahrnehmen kann, hätte ihr Arbeitgeber unterschreiben müssen, dass sie eine wichtige Schlüsselposition darstellt und unverzichtbar sei. Ihr Arbeitgeber unterschreib nicht. Dafür hatte Ibrahimi Verständnis: "Es gibt niemanden, der unverzichtbar ist", sagt sie. Doch sie verlor ihren Betreuungsanspruch.

Lohnverzicht durch Corona

Nach Rücksprache mit dem Unternehmen baute sie im März Minusstunden auf, um weiter ihren vollen Lohn beziehen zu können. "Das war eine Erleichterung", sagt Ibrahimi. Doch ab April hat sich die Ausgangslage für die alleinerziehende Mutter geändert: Seit dem 1 April erhält sie 67 Prozent ihres Lohns. "In meinem Fall sind das 300 Euro weniger", sagt sie. 300 Euro, auf die sie schmerzlich verzichten muss. Vom Kindesvater erhalte sie keinen Unterhalt.

327.000 alleinerziehende Elternteile leben in NRW

327.000 alleinerziehende Elternteile in NRW leben mit ihren minderjährigen Kindern zusammen. 90 Prozent davon seien alleinerziehende Mütter, sagt Ute Zimmermann. Diese arbeiteten oft in frauentypischen Berufen, die schlecht bezahlt seien. "Sie können meist nur in Teilzeit arbeiten", erklärt Zimmermann. "Wenn sie dann von diesem Teilzeitgehalt 67 Prozent bekommen, bleibt von wenig fast gar nichts übrig."

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Doch das Finanzielle ist für Ibrahimi nur ein Thema: Seitdem sie ihren Betreuungsanspruch verloren hat, fehlt ihr die Zeit zum Abschalten. Sohn und Mutter sind den ganzen Tag zusammen. Spielplätze sind gesperrt, einen Garten haben sie nicht.

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"Ich habe keine fünf Minuten für mich", sagt sie. Seit einigen Tagen gehe es ihr "richtig schlecht". Ihrem Sohn gegenüber sei sie ungeduldig und nervös, werde auch öfter laut als sonst. "Es ist ein wahnsinniger Druck, nervlich weiß ich mir manchmal nicht anders zu helfen", sagt Ibrahimi. "Ich muss permanent funktionieren."

Bei Alleinerziehenden liegen nach dem Corona-Lockdown die Nerven blank

"Nach vier Wochen Lockdown liegen bei vielen Allerinerziehenden in NRW die Nerven blank", schreibt der VAMV NRW in seiner Pressemitteilung. Schon vor einigen Tagen richtete der Verband eine Krisen-Hotline (0201/82 774 799) für Alleinerziehende ein. "Diese wird gut angenommen", sagt Zimmermann.

Die Krisen-Hotline wird auch über die Osterfeiertage besetzt sein. "Wir merken, dass ein großer psychischer Druck auf den Alleinerziehenden lastet", sagt die Verbandssprecherin. Auch Zukunftsängste seien Thema. Durch die Hotline sei die Möglichkeit geboten, überhaupt ein Gespräch zu führen. Den Alleinerziehenden, die sich den ganzen Tag mit den Kindern beschäftigten, fehle der Austausch mit einem Erwachsenen.

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Zukunftsangst habe sie nicht, sagt Agnes Ibrahimi. "Mir ist bewusst, das ich in die Privatinsolvenz gehen muss, wenn ich meine Rechnungen nicht bezahlen kann", sagt sie. "Es macht mich machtlos." Doch das System wolle es so.

Verband stellt Forderung an die Politik

Und so fordert der VAMV NRW von der Politik: "Wenn über Lockerungen der corona-bedingten Einschränkung der Kinderbetreuung nachgedacht wird, muss die Politik an die erwerbstätigen Alleinerziehenden denken. Sie erwirtschaften in der Regel das Familieneinkommen alleine. Für sie bedeutet Zugang zu Betreuung Zugang zu Arbeit und damit Zugang zu Einkommen", sagt Nicola Stroop, Vorstandsmitglied des Verbandes.