Bochum. . Selbsthilfegruppe trifft sich monatlich zum Frühstück und Austausch. Für einige ist das die erste Gelegenheit seit Tagen, um durchzuatmen.
Ute erkundigt sich, ob die Nachnamen in der Zeitung erscheinen. Sie befinde sich gerade in der Bewerbungsphase für einen neuen Job – und habe nicht angegeben, dass sie alleinerziehend sei. „Dann sinken die Chancen wohl“, weiß die 46-Jährige, die seit vier Jahren alleinerziehend ist.
„Alleine für Haushalt, Betreuung, Erziehung und Existenzsicherung zuständig“, beschreibt Susanne den Berg an Aufgaben, vor dem sie und die anderen stehen. Aber auch alleine in den Momenten, in denen das Kind die ersten Schritte macht, sich auf Weihnachten freut und lesen lernt.
Meister im Organisieren und Netzwerken
In der Selbsthilfegruppe hingegen dominiert das Gefühl des Zusammenhalts: Sarah versteht Sofia, wenn sie vom schwierigen Verhältnis zum Kindsvater berichtet und Jasmin weiß, was Rebecca meint, wenn sie über die Kitaplatz-Suche klagt. „Mich stört das Image der Alleinerziehenden. Wir wollen in keine Opferrolle, sondern kriegen so einiges auf die Kette“, sagt Ute.
Sie alle seien Meister im Organisieren und Netzwerken. Das stellen sie hier gerade unter Beweis: Während die Gruppe sich beim monatlichen Frühstück austauscht, sorgen unterstützende Ehrenamtliche im Nebenraum für die Kinderbetreuung.
Wichtige Atempausen
Ein-Eltern-Familien treffen sich im Wiesental
Die Selbsthilfegruppe für Eineltern-Familien trifft sich monatlich in der Freien Evangelischen Kirchengemeinde im Wiesental (Dirschauerstraße 16). Kinder sind dabei auch herzlich willkommen, eine Kinderbetreuung ist vorhanden.
Die nächsten Treffen finden am 21. April, 12. Mai und am 16. Juni von 10 bis 13 Uhr statt. Die Teilnahme am Frühstück kostet 3,50 Euro für Erwachsene und 2 Euro für Kinder.
Anmeldung wird erbeten, entweder per Mail an ae.treff.bochum@gmail.com oder telefonisch unter 0234/ 325 79 76 (Susanne Biniasch).
Das Treffen findet in Kooperation mit dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter NRW statt.
„Mein Highlight der letzten Tage: in Ruhe ein Brötchen essen“, sagt Rebecca. Sie ist noch relativ frisch alleinerziehend und findet in der Gruppe starke Vorbilder, die ihr zeigen: Man kann es schaffen. „Ich wache jeden Morgen mit Kindergeschrei auf. Die Gruppe gibt mir Atempausen, um meine Kinder wieder außerhalb des Drucks wahrzunehmen“, sagt sie.
Jasmin berichtet: „Meine Tochter kam oft weinend aus dem Kindergarten und sagte, sie sei die einzige ohne Papa. Hier sieht sie, dass das nicht so ist.“ Sie sage ihrer Tochter: „Wir sind auch eine tolle Familie.“ Als defizitär sehen die Einelternfamilien sich ganz und gar nicht: „Ich bin flexibel und muss oft kreative Lösungsmöglichkeiten finden“, sagt Susanne und Christina ergänzt: „Ich finde es wichtig, Familie neu zu denken.“
Kirsten, die als Alleinerziehende viele neue Freundschaften geschlossen hat, sagt: „Wir sind füreinander da und unternehmen Gemeinsames. Wenn ein Kind krank wird, organisieren wir Betreuung oder bringen Essen vorbei.“ Bald fährt die Gruppe sogar in den Urlaub. „Ein liebendes Umfeld ist für ein Kind immer besser, als eine kaputte Ehe“, sind sich alle sicher.
Dreh- und Angelpunkt: Betreuung und Job
Der Dreh- und Angelpunkt seien Betreuung und Job: „Wir sitzen hier nicht, um nur zu meckern“, stellt Susanne, die die Gruppe vor zwei Jahren gründete, klar. „Es ist eine Stärke, über seine Probleme zu reden.“ Aus den Alltagsproblemen leiten die Alleinerziehenden sogar politische Forderungen ab.
So halten Ute und Barbara einen Vortrag über die Abschaffung des Ehegattensplittings. „Länder wie Neuseeland zeigen, dass es auch anders funktioniert“, wirft Rebecca ein. Ihr bereitete die Kitaplatz-Suche für ihre Kinder, deren Altersunterschied nur 18 Monate beträgt, schlaflose Nächte. In der Gruppe werden Tipps ausgetauscht: von Anerkennung der Elternschaft über Randzeitenbetreuung bis Zahlung des Unterhalts.
Auch wenn nicht jeder die gleichen Baustellen hat, ist ihnen eins gemeinsam: Vor Wäscheberg, unbeglichener Rechnung, Müdigkeit oder Arbeitsstress bleibt unangefochten an Platz Nummer 1 – das Kind.
>>> Jede Alleinerziehende hat einen individuellen Fall
Daniela Kolenda ist im Referat für Gleichstellung, Familie und Inklusion für die Alleinerziehenden in Bochum zuständig. Immer wieder hört sie von Problemen bei Betreuung, Jobsuche und allgemeiner Orientierung.
Wo stoßen Alleinerziehende auf Probleme?
Zum einen dann, wenn sie akut in die Situation kommen und vor den Fragen stehen: Was kommt auf mich zu? Was muss ich regeln? Wo bekomme ich finanzielle Unterstützung? Wie sieht es mit weiterer Betreuung aus? Wer kann mir helfen? Zum anderen beim Zusammenspiel von Betreuung und Jobsuche. Oft bekommt man einen Job erst, wenn eine Betreuung besteht und andersherum. Da geht es auch um Randzeitenbetreuung und zu ungewöhnlichen Zeiten.
Was tut die Stadt für Alleinerziehende?
Wir haben eine Anlaufstelle mit einer externen, neutralen Supervisorin, die Alleinerziehende bei uns im Haus berät. Dort wird geklärt, wo Hilfebedarf besteht, Anlaufstellen und Ablauf besprochen. Oft stehen Alleinerziehende vor vielen Problemen gleichzeitig und wissen nicht, welche Seite des Berges sie zuerst besteigen sollen. Im Rahmen der Bochum Strategie soll ab 2019 außerdem in jedem Stadtteil eine flexible Kita eröffnet werden, auch ein neues Familienbüro ist geplant.
Wie viele Alleinerziehende gibt es in Bochum und hat sich ihre Situation gewandelt?
Circa 7700. Von den Haushalten mit Kindern ist es etwa jeder Vierte, ein Großteil davon ist im Leistungsbezug. Zuletzt sind die Zahlen und Problemlagen relativ konstant geblieben. Für die Ämter, bei denen oft verallgemeinert wird, kann es manchmal schwierig sein, zu reagieren: Jeder Alleinerziehende hat einen individuellen Fall – manchmal mit ergänzenden Problemen wie psychischer Krankheit oder pflegebedürftigen Angehörigen.