Berlin. Es sind Chiffren, die für viel Aufregung sorgen. Vizekanzler Gabriel will mit mehreren roten Linien für Investoren die Freihandelsabkommen retten.

Sigmar Gabriel kämpft. Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister will die geplanten und von der Wirtschaft geforderten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA (Ceta und TTIP) retten. Er setzt auf neue Arbeitsplätze, mehr Wachstum - und auf eine in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten noch engere transatlantische Bindung. Er will zugleich den Ruf widerlegen, die SPD sei nicht wirtschaftsfreundlich genug - und Wähler in der Mitte so zurückgewinnen. Es ist ein schwerer Spagat.

Denn auch in der SPD ist der Widerstand groß. Gabriel war am Samstag in Madrid, mit sozialdemokratischen Amtskollegen hat er einen Kompromissvorschlag für Ceta beschlossen. Ceta ist die Blaupause für das weitaus größere Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. An diesem Montag gibt es Kongresse von Wirtschaft und SPD hierzu. Die Ceta-Verhandlungen sind abgeschlossen, aber es sollen nun noch strenge Klauseln für den heikelsten Punkt, die Klageoption vor Schiedsgerichten, eingefügt werden. Bis 2016 sollen die nationalen Parlamente, auch der Bundestag, abstimmen.

Risiko: Investitionsschutzklauseln

Hauptstreitpunkt sind derzeit die Buchstaben ISDS - die englische Abkürzung für sogenannte Investor-Staat-Streitigkeiten. So klagt zum Beispiel derzeit der schwedische Energiekonzern Vattenfall vor einem Schiedsgericht in Washington auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz von den deutschen Steuerzahlern wegen des Atomausstiegs. Das ist wegen Regelungen in der Energiecharta möglich, dient aber als Beispiel für das Risiko von Investitionsschutzklauseln. Vattenfall als ausländischer Konzern hat diese Klageoption, zugleich klagt man auch noch wie die deutschen Konzerne Eon und RWE vor dem Bundesverfassungsgericht.

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Das Paradoxe: Karlsruhe könnte den Atomausstieg für rechtens erklären, das Schiedsgericht in Washington dennoch die Bundesrepublik Deutschland zur Schadenersatzzahlung verurteilen.

Schaffung eines Handelsgerichtshofes geplant

Gabriel will, dass so etwas bei Ceta und TTIP ausgeschlossen wird, Konzerne sollen sich für eine Klageoption entscheiden. Und: Nationale Entscheidungen, wie zum Beispiel zur Abschaltung von Atommeilern, sollen keinen Klagegrund bilden - auch wenn Konzernen dadurch viel Geld durch die Lappen geht. Auch Schuldenschnitte und Bankenabwicklungen sollen kein Grund für ISDS-Verfahren sein.

Zudem schlagen Gabriel und seine Amtskollegen etwas ganz Neues vor: die Schaffung eines Handels- und Investitionsgerichtshofes an Stelle privater Schiedsgerichte. "Die Schiedsrichter sollten aus einem festgelegten Pool von hochqualifizierten, von der EU, Kanada und den EU-Mitgliedstaaten benannten Schiedsrichtern ausgewählt werden", heißt es in einem Papier. Es soll auch eine Quarantänezeit für Richter geben, wenn Interessenskonflikte vorliegen könnten.

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Der größte Wirtschaftsraum der Welt

Klar ist: Wenn diese Linie von EU-Kommission und Kanada in der derzeit laufenden Prüfung der Rechtsförmlichkeit akzeptiert und bis 2016 von den nationalen Parlamenten gebilligt wird, könnte man bei TTIP nicht hinter solche strengen Maßstäbe zurück.

Mit rund 800 Millionen Verbrauchern soll dank TTIP der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen. Zölle und Handelshemmnisse sollen wegfallen, wie zum Beispiel unterschiedliche Blinker und Spiegel für Autos. Besonders die SPD-Linke hatte Gabriel zu Nachbesserungen aufgefordert und mit Veto gedroht. Sie lobt ihn nun. "Es ist gut, dass Sigmar Gabriel seine ganze Kraft auf diesen wichtigen Punkt der Schiedsgerichtsbarkeit konzentriert hat", sagt Carsten Sieling, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Standards bleiben, werden aber nicht verbessert

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gabriel betonen, weder werde bei TTIP die Buchpreisbindung fallen noch könnten US-Konzerne deutsche Wasserversorger aufkaufen. Zum Schreckgespenst wurde das Chlorhühnchen: Das Wirtschaftsministerium betont, nach der Schlachtung dürfe Fleisch in der EU nur mit Wasser gereinigt und nicht wie in den USA mit Chlor desinfiziert werden. Importe aus den USA müssten die EU-Hygienestandards nachweisen, heißt es.

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"Das Versprechen, unsere Standards bleiben erhalten, erweckt den falschen Eindruck", kritisiert aber Matthias Wolfschmidt von der Organisation Foodwatch. Es gebe heute etwa in der Landwirtschaft untragbare Tierhaltungsbedingungen, Antibiotika-Einsatz und Gülleprobleme. "Die eigentliche Aufgabe bestünde darin, die Standards zu verbessern." Darüber werde aber gar nicht beraten. (dpa)