Essen. Wenn der Berg ruft, ist dem 59-Jährigen Norbert Wieskotten kein Gipfel zu hoch und kein Abhang zu steil. Der Essener erklimmt (fast) jeden Gipfel.
Norbert Wieskotten ist im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen. Fernab der Alpen. Deren Gipfel ziehen den Essener Ingenieur seit Jahrzehnten geradezu magisch an. Doch weder mit einer Gondel noch auf normalen Pfaden will es der 59-Jährige immer ganz nach oben schaffen. Lieber klettert er in einer Seilschaft mühsam nahezu senkrecht nach oben. Die Eiger Nordwand, das Matterhorn oder den Terminator-Eisfall hat er so bezwungen.
Kein Berg scheint ihm zu hoch: Norbert Wieskotten zählt zur Szene der extrem ambitionierten Kletterer. Mit seinen 2,01 Metern Länge ist er gegenüber kleineren Zeitgenossen ohnehin jedem Gipfel ein paar Köpfe näher. Aber das reicht dem an der Stadtgrenze zu Mülheim lebenden Alpinisten nicht. 2015 kletterte Wieskotten über die gefährliche Nordwand-Route aufs mächtige Matterhorn. Damit schloss er erfolgreich eine persönliche Challenge ab: die Nordwände-Trilogie.
Am Matterhorn hatte er sich mehrfach vergeblich versucht. Einmal wurde es richtig brenzlig, erinnert sich unser Gesprächspartner. „Den Bruchteil einer Sekunde sah es düster aus. Eine Steinlawine prasselte von oben herab. Soeben konnten wir uns an das Eis in der Nordwand schmiegen, wobei wir krampfhaft die Eispickel festhielten“, erzählt er. Auch dieses Abenteuer (Mai 2015) in den Walliser Alpen nahm zum Glück ein gutes Ende: Wieskotten und sein Begleiter aus dem Schwarzwald erlitten nur leichte Prellungen. Sie kehrten zurück nach Zermatt, ins Tal, wo das Wohnmobil wartete.
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Der „Ironman“ der Alpinisten
„Noppes“, wie Freunde den Kletterer nennen, ließ sich nicht entmutigen. Er kämpfte weiter um die Trilogie, wollte diesen „Ironman“ der Alpinisten unbedingt absolvieren. Das Matterhorn (4478 m), genauer seine schroffe Nordwand, rief ihn nach wie vor. Und Wieskotten kehrte zurück. Ab 3000 m wird die Luft dünn, doch diesmal passte alles: Wetter, Kondition und Ausrüstung. Mit Eisschrauben und Eispickeln, Karabinern, Seilen und Steigeisen zieht er mit zwei weiteren Freunden im Oktober 2015 los. „Nachts um 1.30 Uhr starteten wir an der Hörnli-Hütte.“ Über brüchigen Fels, glitzernden Firn und frischen Schnee bahnen sie sich ihren Weg nach oben. An einem Tag lässt sich die Route hin und zurück kaum überwinden. Schafft man es beim Abstieg nicht bis zur Solvay-Schutzhütte auf dem Hörnligrat, wird ein Biwak fällig. Ein Lager in eisiger Höhe.
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Wieskotten: „An diesem Tag waren wir bereits am Gipfel in einen Höhensturm geraten. Als wir uns abseilten, war es schon dunkel. Minus 15 Grad und Sturm mit Böen über 90 km/h bremsten uns aus. So verbrachten wir die Nacht auf einem Felsabsatz in etwa 4100 m Höhe.“ Oberhalb der ersehnten Schutzhütte, sitzend im Biwaksack. Am nächsten Tag ging es retour, bei besserem Wetter runter nach Zermatt.
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Zwölf bis 14 Eisschrauben hängen für eine kommende Eisroute an dem Klettergurt, den uns Wieskotten in seinem Reihenhaus im Schatten des Rhein-Ruhr-Zentrums zeigt. Ein paar Jahre habe er gebraucht, die perfekte Ausrüstung zu finden. „Die modernen Schrauben sind teils aus Titan und damit sehr leicht und extrem stabil. So eine Schraube kostet um die 60 Euro. Wenn die am Berg aus der Hand rutscht, ist das ärgerlich.“ Er schlüpft fürs Fotos in die speziellen Kletterschuhe, unter die er Steigeisen schnallen kann. Der Helm soll vor bösen Verletzungen schützen.
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Unter Umständen lebensrettend bei Felsrissen sei ein mobiles Klemmgerät. Der „Camalot“ sichert Bergsportler bei vertikalen Abenteuern. Solche „Cams“ haben enorme Haltekräfte und werden in verschiedenen Größen angeboten. Dynamische Seile, die die bei einem Sturz auftretende Kräfte absorbieren und somit Verletzungen vorbeugen, gibt es in vielen Längen. „Je nach Anforderung. Im alpinen Gelände oder in Eisfällen haben wir meist ein 60-Meter-Seil dabei.“
Eine frei stehende Säule aus Eis
Schwächeln die Winter in den Alpen, zieht es Profi-Bergsteiger in die Ferne. Wieskotten flog ab 1996 mehrmals zum Eisfallklettern nach Kanada. Dort lockten die kanadischen Rockies und „The Terminator“, eine 180 Meter hohe, frei stehende Säule aus Eis. „Diese Route wurde 1985 erstbegangen. In den Folgejahren war es nie kalt genug, der Eisfall formte sich nicht mehr vollständig.“ Erst 1997 sei die Säule ausreichend zusammengewachsen. Dieses seltene und filigrane Naturgebilde wollte er erklimmen. Kein leichtes Unterfangen.
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„Die Schwierigkeit liegt neben der andauernden Steilheit darin zu beurteilen, ob das Eis dem Klettern standhält und nicht zusammenbricht“, räumt er ein. Kein Zweifel: Das wäre eine Katastrophe. Solche Eisfälle seien daher nur Profis vorbehalten. Das Team Matthias Kerkmann (Velbert) und „Noppes“ war übrigens das erste europäische, das den Terminator bezwingen konnte.
Ein spannendes Wettrennen rankt sich auch um die Matterhorn-Erstbesteigung. Am 14. Juli 1865 bezwang der Brite Edward Whymper als Erster in einer 7er-Seilschaft den legendären Berg. Auf dem „Normalweg“. So viel steiler und gefährlicher hingegen ist die Route, die Wieskotten bevorzugt. Das „Bergsteiger-Virus“ treibe ihn an, von dem sei er seit der Jugend befallen. Bei unzähligen Klettertouren nah und fern sammelte der Essener reichlich Erfahrungen. Die geben ihm die nötige Sicherheit, selbst in brenzlichen Situationen in den Bergen. Da laute das erste Gebot: „Ruhe bewahren“.
Nur die Besten wagen sich an die Trilogie, die „Top 3“ – Grandes Jorasses, Eiger und Matterhorn. Die erste dieser Hochtouren hatte der hochgewachsene Ruhri bereits 1990 in der Montblanc-Gruppe absolviert. In Chamonix brach er damals mit einem Kumpel auf, um die 1200 Meter Wand des Grandes Jorasses Pointe Walker (4298 m) zu bezwingen. Die Kletterzeit beträgt dort 14 bis 24 Stunden. Rund 1800 Meter sind zu überwinden. „Nach einer Weile zogen Wolken auf, hüllten uns in Nebel, echte Nordwand-Atmosphäre.“ Schnell kam die Nacht, die Bergsteiger mussten pausieren. Gute Biwak-Plätze seien auf 4000 m Höhe eher selten. „Wir quetschten uns beide in eine schmale Felsspalte. Die Nacht wurde alles andere als bequem.“ Doch die Morgensonne „mit dem Wolkenmeer weit unter uns“ ließ alle Strapazen vergessen. Kurze Zeit später erreichten die Männer den Gipfel – der „Wow“-Moment dieser Tour.
Mythos Eiger Nordwand
Durch seinen Vater, ebenfalls Bergsteiger, kam Wieskotten früh ins Gebirge. „Später bin ich hier in den Alpenverein eingetreten. In der Sektion Essen betreue ich ehrenamtlich mit anderen den Klettergarten am Isenberg.“ Das ist der Hattinger Übungsfels für Mitglieder des Deutschen Alpenvereins oder eines anderen Bergsportverbandes. Dorthin zieht es den Sportler seit rund 40 Jahren. Gern auch bei Eis und Schnee. Was Wieskotten beim Klettern alles erlebte, kling extrem. Dennoch: „Zu den Extremkletterern gehöre ich nicht“, betont der Elektrotechnik-Ingenieur. „Ich bezeichne mich eher als ambitionierten Amateur.“
Eiger-Nordwand. Noch so eine Legende, die „Noppes“ zu seinen sportlichen Erfolgen zählen darf. Das war 1992. Zwei Tage und ein paar Stunden brauchten er und sein Seilpartner Matthias. „Die Wand ist ein Mythos. Neun Bergsteiger haben dort ihr Leben gelassen, bis es eine Seilschaft ganz nach oben geschafft hat.“ Der Eiger (3970 m) liegt in den Berner Alpen, seine Nordwand misst über 1800 Meter. Die bis zu vier Kilometer langen Kletterrouten durch die Wand gehören zu den längsten und anstrengendsten der Alpen. Am meisten gefürchtet sind Steinschlag und Lawinen.
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Bei einem früheren Besteigungsversuch 1935 starben die Münchener Max Sedlmayr und Karl Mehringer am Eiger. Und 1936 verunglückten sogar alle vier Bergsteiger einer Seilschaft tödlich. Erst 1938 gelang dem Team aus Anderl Heckmair, Heinrich Harrer, Ludwig Vörg und Fritz Kasparek die Erstbegehung. Seither gilt die „Heckmair-Route“ als bekannteste. Sie hat 17 markante Passagen mit verschiedenen Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Die werden in Buchstaben und Zahlen angegeben. Von „L“ für „leicht“ bis „EX“ für „extrem“ reicht die Einteilung auf der Berg- und Hochtourenskala des Schweizer Alpen-Clubs (SAC). Die Heckmair-Route wurde mit zwei „S“ klassifiziert. Das steht für „sehr schwierig“. Wieskotten schreckte nicht zurück davor. Vielleicht half es, dass sein Vater bei Anderl Heckmair klettern gelernt hatte.
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