Essen. Die Bergsteigerlegende zeigte in Essen seine Doku „Sturm am Manaslu“ und spottet über die heute üblichen Himalaya-Begehungen. „Nicht meine Welt“.
Reinhold Messner hat in seinem Leben viele Rekorde aufgestellt. Er hat alle Achttausender-Gipfel der Welt bestiegen und als erster Mensch den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erklommen. Eines hat der südtiroler Gipfelstürmer in seinem langen Bergsteigerleben aber niemals abgelegt - die Angst, denn „ohne die würde kein Bergsteiger lange leben“.
Messner hat überlebt, im September feiert er seinen 80. Geburtstag. Über sein Leben am Limit hat der Südtiroler schon etliche Interviews gegeben, Bücher geschrieben, Filme gemacht. Ein ebenso spektakuläres wie tragisches Kapitel seiner Bergsteiger-Vita hat er nun in einer besonderen Dokumentation verarbeitet. Zur Deutschlandpremiere seines von der Brost-Stiftung präsentierten Films „Sturm am Manaslu“ war Messner zusammen mit seiner Ehefrau Diane jetzt persönlich ins Essener Astra-Theater gekommen.
„Die Berge werden zu Attrappen gemacht“, sagt Reinhold Messner
Roter Teppich für einen, der mittlerweile kritisch auf die Bergbegeisterung blickt, bei der es den Teilnehmern nicht mehr um eine einmalige Grenzerfahrung ginge, sondern um die - bisweilen teuer erkaufte - Trophäe des Gipfelbildes, glaubt Messner: „Die Berge werden zu Attrappen gemacht.“ Das Abenteuer Bergwandern werde kommerzialisiert. Sei vor dem Himalaya-Hype gerade mal eine Expedition pro Saison auf den Berg gelassen worden, stiegen heute Hunderte von Bergsteigern auf vorbereiteten Pisten in Kolonnen gen Gipfel. „Die Leute gehen wie an Mamas Hand in den Kindergarten. Das ist nicht meine Welt“, sagt Messner, der sich trotz seiner publizistischen Erfolge keineswegs als Wegbereiter dieser Massenwanderung sieht. „Was ich damals getan habe, ist etwas ganz anderes.“
Man versteht den Satz, wenn man die Bilder von „Sturm am Manaslu“ sieht: Sieben Männer im besten Sturm- und Drangalter, die 1972 mit glühender Begeisterung, aber übersichtlicher Erfahrung und für heutige Verhältnisse archaischer Ausstattung (das Funkradio hat noch die Größe eines Aktenkoffers) den Berg in Nepal erstmals über die Südwestflanke bezwingen wollen. Als die Tiroler Expedition von einem schweren Sturm überrascht wird, gerät die Bergtour zur Tragödie.
Nur fünf Männern gelingt der Abstieg, zwei der Kameraden bleiben am Berg. 50 Jahre später haben sich die Überlebenden von einst noch einmal wiedergesehen und die entscheidende Frage gestellt: Durften wir das? Die Angehörigen der Angst aussetzen, das eigene Leben aufs Spiel setzen, obwohl der eine damals gerade Vater geworden ist. Und die Frau des anderen in dem Moment einen kleinen Jungen zur Welt bringt, als ihr Mann Franz Jäger im eisigen Schneesturm seinen letzten Atem aushaucht.
Wer jemals ein Bergdrama gesehen hat, hat die spektakulären Bilder von halsbrecherischen Kletteraktionen in eisigen Felswänden, von donnernden Lawinenabgängen und Überlebenskämpfen in bitterkalten Biwaknächten vor Augen. „Sturm am Manaslu“ zeigt solche Bilder und funktioniert doch ganz anders. Oft genug verharrt die Kamera ganz ruhig im Gesprächskreis dieser nun auf die 80 zugehenden älteren Herren, die sich noch einmal intensiv, aber nicht ohne Humor befragen, was da vor 52 Jahren am Berg passiert ist. Ihre Erzählung, verquickt mit den originalen Tonmitschnitten der damaligen Exkursion und Dias der gemeinsamen Tour, sorgen für den reizvollen authentischen Thrill dieser ungewöhnlichen Bergsteiger-Doku, die Messner mit dringlichen Spielfilmszenen anreichert. „Man muss verstehen, wie die Leute sterben.“
Himmelsbestattung: Wenn sich die Geier auf den Leichnam stürzen
„Sturm am Manaslu“ ist damit auch ein Zeugnis jener Form von Alpinismus, wie Messner ihn versteht - eine stete Gratwanderung „zwischen Durchkommen und Umkommen: Dieses Nicht-Unkommen ist die Kunst.“ Messner hat sich seither immer wieder Gedanken übers Sterben gemacht. Es gehöre zum Leben unbedingt dazu. Eine „Himmelsbestattung“, wie sie dem 79-Jährigen vorschwebt, dürfte allerdings ein unerfüllter Wunsch bleiben.
Praktiziert wird diese Zeremonie in Tibet, wo sich unzählige Geier auf den von einem Mönch vorbereiteten und aufgeschlitzten Leichnam stürzen und binnen Minuten bis auf das Skelett vertilgen. Am Ende würden auch die Knochen zerschlagen und den Geiern zum Fraß vorgeworfen, berichtet Messner in Essen. Alles Irdische würde gewissermaßen gen Himmel steigen und mit den Vögeln verschwinden. Da ihm die juristischen wie pragmatischen Hürden in Europa allerdings unüberwindbar scheinen, hat er sich auf seinem Wohnsitz Schloß Juval, wo ein Großteil der Gesprächssequenzen gedreht wurden, schon einen Platz für seine Urne ausgesucht.
Von dort hat man einen exquisiten Blick in die Ferne und auf alle Ankommenden. Nicht auszuschließen, dass irgendwann auch
mal wieder vorbeischaut, mit der Messner schon die ein oder andere Wanderung unternommen hat „Sie hatte am Anfang eine gute Kondition, die durch ihre Arbeit gelitten hat“, berichtet Messner. Dennoch freue er sich über jede Begegnung mit der CDU-Politikerin, „weil sie jetzt auch lustig sein kann“.
Hier ist der Film zu sehen
Weitere Vorstellungen von „Sturm am Manaslu“: 21. Februar, 20 Uhr, im Essener Filmstudio Glückauf, 26. Februar, 20.15 Uhr, Schauburg Dortmund, 3. März, 18 Uhr, Metropolis Bochum, 13. März, 18 Uhr, Schauburg Gelsenkirchen, 26. März, 18.30 Uhr, Filmforum Duisburg.
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