Essen. Als Top-Sportler stehen sie im Scheinwerferlicht - doch was kommt nach der Karriere? Wer nicht gut plant, dem droht der Fall in ein tiefes Loch.

Sie gewinnen Goldmedaillen unter deutscher Flagge, liefern mitreißende Wettbewerbe, zeigen Emotionen. Sie sind Vorbilder, die Lust auf Sport machen, die uns vor Augen halten, was gesunde, fitte Menschenkörper zu leisten vermögen. Sie sind auch Botschafter Deutschlands, die der Welt zeigen, was wir können und unsere Werte und unsere Kultur hinaustragen. Sie treten mit Athletinnen und Athleten anderer Nationen in freundschaftlichen Kontakt, betreiben Völkerverständigung. Sie sind Gewinner. Zumindest für uns, die wir ihre Siege im Leichtathletik-Stadion, im Eiskanal oder auf der Kanu-Rennstrecke gern feiern.

Aber was denken und tun Spitzensportlerinnen und Spitzensportler nach einer langen, oft entbehrungsreichen und nicht immer von Spaß geprägten Karriere?

Zuletzt haben Sporthilfe und DFL Stiftung in Düsseldorf rund 20 ehemalige Top-Athletinnen und -Athleten geehrt, die ihre Karriere in den letzten zwei Jahren beendet haben. Es wurden auch die „Sporthilfe Juniorsportler:in“ ausgezeichnet, da trafen also die Generation von morgen auf die Generation von gestern. Spannend, wo doch der deutsche Spitzensport aktuell viel Schelte einstecken muss. Immer weniger Medaillen bei Olympischen Spielen, die Leichtathleten abgehängt, die Senioren-Fußballer straucheln, allein die Basketball-Weltmeister sorgten zuletzt für diesen Glanz, diese Begeisterung, dieses Wir-Gefühl, das Sport erzeugen kann.

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Woher soll der Ehrgeiz kommen?

Vier der hoch dekorierten Ehemaligen blicken mit uns auf ihre Karrieren zurück. Sehr offen sprechen Kugelstoßerin Christina Schwanitz, Bob-Pilotin Mariama Jamanka, Kanute Max Hoff und Prothesen-Sprinter David Behre über Glücksmomente, aber auch über Entbehrungen und verlorene Zeit im Beruf. Sie alle sind stolz auf das, was sie im Sport erreicht haben. Aber pure Freude ist ein Leben als Spitzensportler nicht, da sind sie sich einig.

Würden Sie sich wieder für den Sport entscheiden? Würden sie noch einmal beruflich für viele Jahre zurückstecken, um sich tagtäglich im Training zu quälen? Haben sie das Gefühl, hinreichend wertgeschätzt und gerecht entlohnt zu werden für ihre Leistungen im Namen Deutschlands? So viele Fragen. Und dann wird wild diskutiert über neue Spielformen im Kinderfußball und weniger Leistungsdruck bei den Bundesjugendspielen an Grundschulen. Gut so, sagen die einen, weil wir wieder mehr Kinder auf sanfte Art für Bewegung begeistern müssen. Nicht im Sinne eines erfolgreichen Leistungssports, sondern im Sinne der Gesunderhaltung unserer Gesellschaft. Geht gar nicht, sagen die anderen. Wer nicht lernt zu verlieren und Siege zu feiern, wer sich nicht misst und am Vergleich mit anderen wachsen darf, der kann ja gar nicht leistungsfähig werden. Woher soll der Ehrgeiz für spätere Großtaten kommen?

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„Kinder hatten früher mehr Zeit“

Max Hartung, ehemaliger Weltklasse-Säbelfechter und Geschäftsführer der Sportstiftung NRW, sieht das pragmatisch: „Wir brauchen gute, lokale Wettbewerbsangebote für Kinder und Jugendliche, basierend auf Freiwilligkeit. Wer sich messen will, soll das tun können. Wer das nicht will, soll es aber auch nicht müssen.“ Das Hauptproblem bei der Nachwuchsfindung sind seiner Ansicht nach die langen Schultage. „Kinder hatten früher mehr Zeit, und mehr Zeit ist gut für den Sport, gut für jedes Hobby.“

Die Ratschläge der Ex-Athleten an den Nachwuchs drehen sich recht einheitlich darum, das Leben nach dem Sport frühzeitig in den Blick zu nehmen. Für Hartung lief es gut. Vier Wochen nach seiner dritten Olympiateilnahme 2021 in Tokio bekam er den Posten bei der Sportstiftung. Das verdankt er seiner unbändigen Energie, neben dem Leistungssport Politik, Soziologie und Wirtschaft studiert und sich unter anderem als Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund und Gründungspräsident von Athleten Deutschland e.V. engagiert zu haben.

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1000 Euro im Monat als Förderung sind nicht viel

Das schafft nicht jeder. „Das ist nur möglich, wo die Gegebenheiten des Sports, die Trainer, der Verband das zulassen. Ich hatte gute Sponsoren und deshalb diese Chance“, sagt der 34-Jährige. Nun will Hartung Kraft seiner Position jungen Talenten in NRW den Weg ebnen. 427 Nachwuchs-Athletinnen und -Athleten erhalten von der Sportstiftung eine Talent-Förderung in Höhe von 250 Euro pro Monat. 81 bekommen zusätzlich das NRW-Sportstiftungs-Stipendium, das sind 300 Euro pro Monat.

Zudem werden gut 150 Internatsschüler mit bis zu 350 Euro pro Monat bedacht. Wer es später auf Bundesebene in einen der Spitzenkader schafft, kann auf Unterstützung durch die Sporthilfe setzen. „Die meisten geförderten Spitzensportler in Deutschland, die nicht bei Bundeswehr, Polizei oder Zoll angestellt sind, bekommen etwa 1000 Euro im Monat – das ist so gerade zu wenig zum Leben“, sagt Hartung.

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Trotzdem rät er jedem, der die Chance bekommt, sich als Spitzensportler zu versuchen: „Auszuprobieren, wie weit das Talent reicht, seine Grenzen auszutesten, das ist eine großartige Lebenserfahrung, das lohnt sich auf jeden Fall. Jeder Sportler muss aber immer wieder für sich prüfen: Kann ich mir einen weiteren Olympiazyklus leisten? Sowohl finanziell als auch biografisch?“ Bleibt die Frage, ob die jungen Leute sich noch für Höchstleistungen quälen wollen? Hartung: „Das Sportsystem und das Schulsystem verändern sich. Wir müssen es so bauen, dass junge Menschen abgeholt werden und sich für den Spitzensport motivieren können. Wenn das funktioniert, sind die Kinder und Jugendlichen von heute genauso motiviert und leistungsbereit wie früher.“

Drei Ex-Top-Profisportler berichten: Viele fallen in ein Loch

Christina Schwanitz, 37, ehemalige Kugelstoßerin, Weltmeisterin 2015, Europameisterin 2014 und 2016, Mutter sechsjähriger Zwillinge, gelernte Verwaltungswirtin, Bundeswehrsoldatin:

„Ich habe als Kugelstoßerin mehr erreicht, als ich mir je erhofft, erträumt, zugetraut hätte. Und ich bin unheimlich stolz auf alles, was ich erleben durfte – egal ob positiv oder negativ. Es war eine tolle Zeit. Aber meine Kinder kamen mit der stetigen Abwesenheit ihrer Mutter nicht mehr klar. Und die Leistung, die ich noch abgeliefert habe, war in meinen Augen nicht mehr so, dass es das wert war. Ich hatte das Glück, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte, weil ich Soldatin war und weil mich die Sporthilfe in vielen Situationen gerettet hat.

Christina Schwanitz.
Christina Schwanitz. © AFP | SERGEI GAPON

Irgendwann kam aber die Frage im Hinterkopf an: Was machst du eigentlich danach? Wo kannst du die nächsten 30 Jahre arbeiten? Ich habe das Glück, dass ich über die Sportfördergruppe hinaus bei der Bundeswehr Anschluss gefunden habe. In den nächsten fünf Jahren entscheidet sich, ob ich Berufssoldatin werde. Als Sportfeldwebel unterstütze ich unter anderem die Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten zu C-Trainern. Heute würde ich, glaube ich, keinen Leistungssport mehr betreiben. Es wird immer schwerer für Athleten, am Ende ihrer Karriere mit mehr dazustehen als mit Ehre und Stolz. Nur wenige haben eine dauerhafte wirtschaftliche Absicherung.“

David Behre, 37, ehemaliger Prothesen-Sprinter, unter anderem Paralympics-Sieger 2016 mit der 4x100-Meter-Staffel. Er verlor mit 20 Jahren bei einem Unfall beide Unterschenkel, er ist Gesellschafter eines deutschen Prothesenherstellers:

„Ich blicke mit viel Freude auf meine Karriere zurück. Nach den Paralympischen Spielen von Tokio 2021 war für mich aber Schluss mit dem Leistungssport. Meine Frau und ich haben eine kleine Tochter bekommen, und ich wollte nicht, dass man mich irgendwann von der Bahn kratzen muss. Es war einfach an der Zeit aufzuhören. Zumal ich im Beruf endlich richtig durchstarten wollte. Jetzt bin ich geschäftsführender Gesellschafter einer Vertriebsholding, die mehrere Sanitätshäuser hat. Das ist viel Arbeit, aber ich brauche Herausforderungen, dann bin ich glücklich. Thomas Kipping, der Gründer meines Prothesenversorgers ATP Prothesen, hat mich schon 2017 gefragt, ob ich nicht Lust habe, nach meiner Karriere voll bei ihm ins Geschäft einzusteigen. Ich wusste, dass eine Sportkarriere endlich ist. Ich wollte nicht in ein tiefes Loch fallen und erstmal nachdenken müssen, was ich vom Leben will.

David Behre.
David Behre. © KKH Bottrop | Daniel Beiser

Ich habe tatsächlich mit dem Sport gutes Geld verdient, ich war der erste paralympische Athlet in Deutschland, der vom Sport leben konnte. Ich denke, es ist zwingend notwendig für einen Spitzensportler, schon während der Karriere auf die Zukunft zu schauen. Außer vielleicht im Fußball, da wird so viel Geld verdient, dass man davon ein Leben bestreiten kann – wenn man sich nicht ganz doof anstellt.“

Mariama Jamanka, 33, ehemalige Bobpilotin, unter anderem Zweierbob-Olympiasiegerin 2018 und Olympiazweite 2022, Weltmeisterin 2019 und Teamweltmeisterin 2017, Psychologiestudentin und Fernsehmoderatorin:

„ Ich blicke sehr positiv zurück auf meine Karriere. Als kleines Kind bin ich niemals auf die Idee gekommen, Olympiasiegerin zu werden. Ich habe freizeitmäßig Leichtathletik gemacht, und mein Trainer hat mir damals vorgeschlagen, es mal mit dem Bobfahren zu probieren. Mein Tenor war immer: Ich gucke mal, was das hier wird. So bin ich Profisportlerin geworden, war auf einmal Pilotin, bin im Weltcup gestartet, war in der Vorbereitung auf Olympische Spiele – und plötzlich war ich Olympiasiegerin. Dass ich nach den Spielen in Peking aufhören würde, hatte ich für mich selbst schon Jahre vorher festgelegt. Ich wollte nicht, dass irgendwann meine Trainer sagen, dass es nicht mehr reicht. Ich wollte nicht aufgehört werden, sondern das selbstbestimmt machen.

Mariama Jamanka.
Mariama Jamanka. © imago images/Karina Hessland | imago sport

Irgendwann ist Leistungssport natürlich nicht mehr nur Spaß, sondern auch viel Quälerei, man erlebt immer wieder Rückschläge. Ich bin kein Mensch, der irgendwas bereut. Der Sport gibt einem viel, wenn schon nicht finanziell, dann für die Selbstfindung. Als Sportsoldatin war ich abgesichert, aber beruflich habe ich Zeit verloren. Ich habe letztes Jahr mit dem Psychologie-Studium begonnen. Da war ich 32, alle anderen waren so 18, 19. Ich habe mich sehr alt gefühlt.

Leistungssport ist wie eine große Pause im Leben. Alle anderen ziehen an einem vorbei. Andererseits bekommt Kontakte und Chancen, die man ohne den Sport nicht hätte. Wie bei mir das Engagement als Fernsehmoderatorin. Deshalb würde ich nicht sagen, dass man als Leistungssportler durchgehend schlechtere berufliche Möglichkeiten hat. Das Wichtigste ist: Man muss sich damit auseinandersetzen. Viele haben während ihrer Karriere keinen Plan und fallen dann in ein Loch.“

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent?Hier geht es zu unseren Angeboten.