Essen. Jan Ullrich hat ein Doping-Geständnis abgelegt. Der Tour-Sieger von 1997 wird an diesem Samstag 50. Er hofft auf einen Neuanfang.
Ob es sich der Regisseur oder der Protagonist ausgedacht hat, bleibt offen. Jedenfalls hat Jan Ullrich, der am Samstag 50 Jahre alt wird, endlich das von ihm so brüchig gezimmerte Haus der Lügen verlassen. 16 Jahre nach seinem größten Triumph kehrte Jan Ullrich an den Ort zurück, an dem er mit dem Sieg bei der Tour de France 1997 Sportgeschichte geschrieben hatte, und offenbarte in der Doku-Serie „Der Gejagte“ (seit 28. November bei Amazon Prime) das, was alle längst wussten. „Ja, ich habe gedopt. Ja, ich habe betrogen“, gibt Jan Ullrich jetzt zu.
Wie die anderen deutschen Sport-Idole Franz Beckenbauer und Boris Becker erlebte Jan Ullrich – wenn auch aus anderen Gründen – einen krassen Absturz. Nicht nur in der Popularität. Als der damals erst 23-jährige Jan Ullrich bei der Tour de France 1997 allen Gegnern sowohl auf den schwierigsten Steigungen der Alpen und Pyrenäen als auch auf den so wichtigen Zeitfahren enteilte und als erster Deutscher die schwerste Radrundfahrt der Welt entschied, saßen Millionen Deutsche vor dem Fernseher und fieberten mit dem Rostocker. Er war der Liebling der Nation, auch wenn er in den folgenden Jahren seinen Dauer-Rivalen Lance Armstrong nicht bezwingen und somit seinen Tour-Erfolg nicht wiederholen konnte.
Die Triumphe überdeckten die Zweifel. Und alle machten mit. Die ARD jazzte das Team unkritisch hoch, der Sponsor Telekom verschloss die Augen, und auch die große Mehrzahl der Zeitungen oder Magazine schrieb die Geschichte des Ausnahmefahrers aus Rostock mit, ohne Zweifel zu verbalisieren. Und das, obwohl die Geschichte des Dopings so alt ist wie die Historie des Radsports. Früher schreckten die Pedaleure selbst vor Nitroglyzerin nicht zurück, um bei der Tour der Leiden die letzten Körner aus ihren Körpern auszupressen. Wie wir längst wissen, griff die Generation um Armstrong und Ullrich zu Epo-Spritzen und Eigenblut-Behandlungen. Ullrich war ein Jahrhunderttalent, das auch ohne Doping ganz vorne gewesen wäre. Wenn die Konkurrenten auch sauber gewesen wären.
Beim Thema Doping schaltete Ullrich auf stur
2006 fiel das Kartenhaus zusammen, weil Ullrich als Kunde von Eufemiano Fuentes identifiziert wurde. Der spanische Arzt hatte bei vielen Radprofis, Leichtathleten und Tennisspielern Eigenblut-Transfusionen durchgeführt. Ullrich wurde vom Team Telekom suspendiert und beendete am 26. Februar 2007 seine Karriere. Aus dem einstigen Strahlemann wurde ein verbitterter Ex-Profi.
Während viele seiner Kollegen ihre Doping-Vergehen gestanden, schaltete Ullrich auf stur. Er habe niemanden betrogen, lautete sein Mantra. Was er meinte: Ich habe ja nur das getan, was meine Gegner auch getan hatten. In einer Mischung aus Selbstmitleid, Wut und Naivität baute er um sich eine Wagenburg. Der Publikumsliebling wurde zur unerwünschten Person. Erst jetzt, kurz vor dem 50. Geburtstag, besann er sich eines Besseren: „Ich entschuldige mich bei meinen Fans, die ich betrogen habe, und sicherlich haben nicht alle meine Gegner etwas medizinisch gemacht.“
Jan Ullrich hatte immer eine Persönlichkeit der Extreme. In der wettkampffreien Zeit aß und trank er maßlos und nahm einige Kilos zu, die er sich dann bis zum Start der Tour wieder abhungerte. Es gab Tage, an denen er 200 Kilometer auf dem Rad trainierte und nur einige Blättchen Salat zu sich genommen hatte.
Alkohol, Zigaretten und Kokain
Nach Beendigung der Karriere blieb Jan Ullrich auf der Suche nach dem Kick. Whisky trank er nach eigenen Worten wie Wasser. Als das nicht mehr genug war, verfiel er auch noch dem Kokain. Das Extreme reizte ihn: An einem Tag rauchte er 700 Zigaretten. Ein Skandal reihte sich nach dem anderen. In der Schweiz verursachte er betrunken einen Verkehrsunfall, nach einem Streit mit seinem Nachbarn Til Schweiger landete er in einem Gefängnis auf Mallorca, sein einstiger Rivale Lance Armstrong holte den völlig hilflosen Jan Ullrich aus einem Krankenhaus in Mexiko. Seine Frau Sara verließ ihn wegen der Exzesse mit den gemeinsamen drei Kindern.
Nach einigen Entziehungskuren lebt Jan Ullrich in Merdingen im Schwarzwald. Inzwischen sitzt er auch wieder auf dem Rad und lässt sich für gemeinsame Touren mit Hobbyradlern bezahlen. Mit jetzt 50 Jahren hofft er auf einen Neuanfang. Es ist nicht sein erster. Die bisherigen Versuche endeten mit Rückfällen. Bleibt zu hoffen, dass Jan Ullrich nach seinem Doping-Geständnis endlich zu sich findet. Es wäre sein größter Sieg.