Münster. Studenten schlugen in der Frauenstraße 24 ihr Lager auf. Und blieben fast zehn Jahre. Jetzt gibt es Ausstellung und Buch.
Der Begriff Wohnklo steht für dramatische Wohnungsnot und ist eine studentische Erfindung. Er wurde vor Jahrzehnten kreiert. Vielleicht sogar in Münster: immer schon begehrte Uni-Stadt mit immer schon zu wenigen günstigen Zimmern. Folgerichtig fand in Münster eine der ersten und längsten, aber auch nachhaltigsten Hausbesetzungen statt. Studenten und Studentinnen schlugen im Oktober vor 50 Jahren in der Frauenstraße 24 ihr Lager auf und blieben: Hausbesetzer, die sich wehrten gegen den Abriss. Der AstA der Uni („Allgemeiner Studierendenausschuss“) und linke Unterstützer-Gruppen hatten zur Besetzung aufgerufen, ein TV-Team des WDR konnte die Aktion filmen und ging mit dem Thema ein paar Tage später auf Sendung. Was folgte war ein langer, zäher, harter und politischer Kampf um den Erhalt des schönen Jugendstilhauses.
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Längst als Denkmal eingestuft und eingetragen steht die Frauenstraße 24 – heute mit Kulturkneipe im Erdgeschoss – als Symbol gegen Spekulanten, für den erfolgreichen Widerstand von Bürgern und für den Erhalt von historischer Bausubstanz. Wer weiß, hätte der Bagger das Gebäude aus dem Jahre 1905 damals „geschleift“, gäbe es möglicherweise auch Wilsbergs Antiquariat in unmittelbarer Nachbarschaft nicht.
Abrisswahn und Geldgier gingen Anfang der 1970er im erzkonservativen Münster eine unheilige Allianz ein. Immobilienspekulanten, die nicht selten auch CDU-Parteifreunde waren, gingen im Rathaus ein und häufig mit Rückenwind aus.
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Da mussten erst ein paar Langhaarige in Parkas und Strickpullovern kommen, um der Immobilien-Connection (zumindest in der Frauenstraße 24) die Stirn zu bieten. Der politische Kampf dauerte allerdings fast 10 Jahre mit wechselnden Wohngemeinschaften. Ein knapp 350 Seiten starkes Buch und die dazugehörige aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum erzählen diese Geschichte einer erfolgreichen Besetzung - so spannend wie ein Krimi.
Denn zur ganzen Story gehörten mehrere Abrissgenehmigungen von Seiten der Stadt, immer wieder Einsprüche dagegen, Zwangsverwaltungen, Zwangsversteigerungen, drohende Räumungen und mehrere Besitzerwechsel. Bis hin zu einem Gasanschlag, der die unliebsamen Latzhosen-Träger schocken sollte. Am Ende redete sich der letzte Besitzer, ebenfalls ein Makler, in einem Jugendjournal um Kopf und Kragen. Jetzt war die Sache klar wie in einem Film-Western: Hier kämpfte auch Gut gegen Böse.
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„Wir waren ja keine Spinner. Wir wollten das Thema Wohnungsnot öffentlich machen“, sagt Rita Weißenberg, zusammen mit Bernd Uppena und Joachim Hetscher Herausgeberin des Buches. Sie war gerade 20, als sie 1974 Mitglied der Wohngemeinschaft wurde. WG? Das war neu. Die Szene wurde kritisch beäugt, dann machten sich die Nachbarn aber selbst ein Bild vom alternativen Wohnen, denn die Frauenstraße 24 war immer ein offenes Haus. Lebensmittel wurden gespendet, Möbel, Hausrat, auch mal „’ne Kiste Bier“. Die Solidarität mit den Hausbesetzern wuchs. Die Stadtgesellschaft erkannte das Problem Wohnungsnot, selbst die Kirche stellte sich an die Seite der Protestler. Außerdem waren die jungen Wilden gar nicht wild, sondern ganz patent. Sie waren auch „Instandbesetzer“, sie konnten einen Nagel in die Wand schlagen, fingen an zu reparieren, sanierten Fenster und Fassade. Und ihre Zimmer waren richtig gemütlich – mit Korbsesseln auf dem Flokati, Teekanne und Tropfkerze auf dem Tisch.
Bis das Gebäude durch den Kauf durch die LEG dank Intervention des damaligen Städtebauministers Christoph Zöpel 1981 schließlich gesichert wurde, war es ein langer Weg. Vor allem war es ein kreativer Kampf, der auf Kunst und Kultur setzte und auf ein demokratisches offenes Miteinander. Insofern ist das Buch mit zahlreichen Statements von Bewohnerinnen und Bewohnern, Interviews mit Unterstützern, vielen Bildern von Demos oder Aktionen, Presseartikeln, Gastkommentaren, Einordnungen von Prominenten und einer akribisch verfassten Chronologie der Ereignisse Lese- wie auch Lehrbuch. Denn es zeigt, wie selbst schwierigste politische Konflikte zu einer Lösung kommen können. Bernd Uppena, lange Zeit auch Sprecher der F24, ist heute noch der Meinung: „Widerstand lohnt sich!“
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Das Haus Frauenstraße 24 befindet sich übrigens zwischenzeitlich im Besitz der Stadt Münster.
In Leipzig, Jena, Berlin, selbst im norddeutsch zurückhaltenden Oldenburg werden 2023 auch wieder Häuser besetzt. So denn welche leer stehen. Akute Wohnungsnot treibt die Mietpreise ins Utopische. Kult-Studenten-Städte wie Münster rufen aktuell bis zu 17 Euro pro Quadratmeter auf. Das können sich Doppelverdiener mit Kindern kaum leisten. Erstsemester schon gar nicht. Die müssen mitunter monatelang auf einer fremden Couch schlafen.
Anfang der 1970er-Jahre gab‘s auch schon keine Zimmer in Münster, deshalb trieb es die Studenten auf die Straße und in den Kampf um bezahlbaren Wohnraum. Der war damals erfolgreich und rettete wahrscheinlich nicht nur die Frauenstraße 24 vor dem Abriss…
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Und heute? Alles gut?
„Es ist noch viel schlimmer geworden“, gab Bürgermeisterin Maria Winkel bei der Eröffnung der Ausstellung Frauenstraße 24 unumwunden zu. Deshalb sind das Thema, die Ausstellung und das lesenswerte Buch so aktuell wie vor 50 Jahren.
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