Duisburg. Kanzler Scholz vor Tor 1 von Thyssenkrupp in Duisburg. Mit Blick auf Investor Kretinsky sagt er: „Wir bestehen auf Investitionen.“
Am Tor 1 von Thyssenkrupp Steel in Duisburg werden die Tage gezählt. Schon seit 198 Tagen steht eine Mahnwache vor dem Werksgelände von Deutschlands größtem Stahlkonzern. So steht es auf einer großen Anzeigetafel neben dem Eingang zum Betriebsratsbüro. Im Laufe der Zeit sind schon viele Politiker zu den Thyssenkrupp-Beschäftigten gekommen, die um ihre Arbeitsplätze bangen. Am Dienstag ist es Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich auf Wahlkampftour befindet. Als der SPD-Politiker eine kurze Pressekonferenz vor dem roten Zelt der Mahnwache bestreitet, stellen sich führende Arbeitnehmervertreter demonstrativ hinter ihn.
Die Unruhe im Konzern ist groß. 11.000 Stahl-Arbeitsplätze sollen nach dem Willen des Vorstands abgebaut oder ausgegliedert werden. Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López lotet auch die Chancen für einen Teilverkauf des traditionsreichen Stahlgeschäfts an den tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky aus. Wie er die Pläne für den Einstieg von Kretinsky bewerte, wird Scholz gefragt.
Kanzler Scholz: „Stahlproduktion in Deutschland sichern“
Das Ziel müsse sein, dass es eine „langfristige unternehmerische Perspektive gibt, die die Stahlproduktion in Deutschland sichert“, antwortet der Kanzler. Scholz pocht darauf, „dass hier auch investiert wird“ – und fügt hinzu: „Da haben wir Fragen.“ Die Stahlproduktion könne und müsse „wirtschaftlich sein“, so Scholz, die Voraussetzung dafür seien allerdings Investitionen.
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Im Anschluss an den Auftritt von Scholz vor der Mahnwache kritisiert der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp, Jürgen Kerner, der als Zweiter Vorsitzender der IG Metall die Interessen der Beschäftigten im Kontrollgremium des Konzerns vertritt, Kretinsky lasse Fragen, die es aus Sicht der Arbeitnehmer zu einem möglichen „Stahl-Deal“ gebe, schon seit geraumer Zeit unbeantwortet. Zwar könne er mit Kretinsky via WhatsApp kommunizieren, doch der Geschäftsmann lasse sich nicht in die Karten schauen. Kretinsky müsse endlich sagen, was er mit Deutschlands größtem Stahlkonzern vorhabe, mahnt Kerner, „sonst kommen immer mehr Zweifel“.
Steigt der tschechische Milliardär noch größer bei Thyssenkrupp Steel ein?
20 Prozent an Thyssenkrupp Steel hat Kretinsky bereits gekauft, allerdings könnte er auf auch eine Ausstiegsklausel zurückgreifen. Nach eigener Darstellung verhandelt der Thyssenkrupp-Vorstand mit Kretinsky über ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem beide Seiten jeweils die Hälfte der Anteile halten.
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Bundeskanzler Scholz bekräftigt bei seinem Besuch in Duisburg, dass es aus seiner Sicht falsch sei, einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel auszuschließen. „Es darf überhaupt nichts geben, was man ausschließt, wenn es um große Veränderungsprozesse geht“, sagt Scholz.
Auch Friedrich Merz hat sich schon positioniert zum Thema Staatseinstieg
Sein Herausforderer Friedrich Merz positioniert sich an dieser Stelle verblüffend ähnlich. Mit Blick auf eine mögliche Beteiligung des Staates am Unternehmen, die teils von Arbeitnehmervertretern gefordert wird, sagte er vor wenigen Wochen vor Betriebsräten in Bochum: „Ich will es nicht völlig ausschließen. Aber das kann nur eine Notlösung sein auf Zeit.“ Der Staat sei „nicht der bessere Unternehmer“, betont Merz allerdings. „Es ist allenfalls mal für eine Übergangszeit gerechtfertigt, so etwas zu machen. Am Ende des Tages muss ein privatwirtschaftliches Unternehmen am Markt bestehen können.“
Die Bundesregierung und das Land NRW haben bereits zugesagt, den Aufbau einer Grünstahl-Produktion mit bis zu zwei Milliarden Euro zu unterstützen. Früheren Angaben zufolge sollte etwa eine Milliarde Euro für den Bau einer sogenannten Direktreduktionsanlage aus der Konzernkasse kommen. Die Kosten für das historische Großprojekt könnten aber noch steigen.
Scholz dringt auf Umbau der Stahlproduktion
„Trotz aller bestehenden und neuen Herausforderungen halten wir an unserem Plan fest, die erste Direktreduktionsanlage fertigzustellen“, sagte Thyssenkrupp-Vorstandschef López vor wenigen Tagen bei der Hauptversammlung des Konzerns.
Auch Bundeskanzler Scholz macht in seinem Statement vor den Werkstoren deutlich, dass er den Aufbau einer Grünstahl-Produktion als zwingend erforderlich erachtet – auch im Sinne der Beschäftigten. „Es wäre gegen die Interessen aller Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter, wenn wir den begonnenen Prozess beenden würden“, so Scholz. Die Fähigkeit, CO2-neutralen Stahl produzieren zu können, sei die „Grundlage für die Zukunftsfähigkeit“ für die Branche. Kunden der Stahlhersteller, darunter die Autoindustrie, würden künftig grünen Stahl verlangen. „Das müssen wir können.“
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Nach der Ankündigung des Stahl-Vorstands zum Abbau und Outsourcing von 11.000 Arbeitsplätzen lehnt die IG Metall Verhandlungen ab, da das Management bislang betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließt und ein Werk im südwestfälischen Eichen schließen will. Der nordrhein-westfälische IG Metall-Chef Knut Giesler, der auch Vize-Aufsichtsratschef der Stahlsparte ist, bekräftigt am Rande des Kanzler-Besuchs in Duisburg diese Position, betont aber zugleich: „Meine Hand ist ausgestreckt.“ Der Vorstand müsse aber die roten Linien der Arbeitnehmervertreter anerkennen und insbesondere die Schließung des Stahlwerks in Eichen zurücknehmen.
Kanzler Scholz ist auf Einladung von Konzernbetriebsratschef Nasikkol nach Duisburg gekommen. Doch auch mit dem Stahlvorstand spricht Scholz am Rande seines Besuchs. „Wir müssen konsequente Maßnahmen ergreifen, um unser Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen und ihm so eine Zukunft zu geben“, betont Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm im Nachgang. „Der Weg dahin wird harte Einschnitte bringen, aber wir werden ihn mit Augenmaß und sozialer Verantwortung gehen.“ Bei seinem Werksbesuch schaut sich Scholz unter anderem den Hochofen 8 an – eine der Anlagen, die der Vorstand in den kommenden Jahren stilllegen will.
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