Essen/Duisburg. Bei Thyssenkrupp geraten Probleme beim Umbau des Stahlstandorts Duisburg in den Fokus. „Geht das schief, steht die deutsche Autoindustrie still.“

Dass ungeplante Mehrkosten beim Bau der milliardenschweren Direktreduktionsanlage (DRI) von Thyssenkrupp Steel in Duisburg drohen, schürt neue Sorgen um Deutschlands größten Stahlkonzern. „Es handelt sich um ein neues Thema, mit dem wir uns in den nächsten Wochen inhaltlich auseinandersetzen werden“, sagte Miguel López, der Vorstandschef des Steel-Mutterkonzerns Thyssenkrupp in der FAZ. „Es wird voraussichtlich Abweichungen geben. Wie hoch, das gilt es jetzt zu analysieren.“

Kurz zuvor hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm das Thema publik gemacht. Bei dem erst im vergangenen Jahr angelaufenen Großinvestitionsprojekt DRI in Duisburg gebe es „bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“, erklärte Thyssenkrupp-Chefkontrolleur Russwurm in einem Statement zum Führungswechsel in der Stahlsparte. Sowohl Stahlchef Bernhard Osburg als auch Steel-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel sowie mehrere weitere Top-Manager verlassen das Unternehmen.

Dass in dieser Phase Zweifel am historischen Großprojekt für Thyssenkrupp Steel aufkommen, ist bemerkenswert. Schließlich geht es um ein Vorhaben, mit dem Duisburg – Deutschlands größter Stahlstandort – eine Perspektive in einer möglichst klimaneutralen Wirtschaft bekommen soll. Schrittweise, so der ursprüngliche Plan, sollten die Hochöfen verschwinden und stattdessen DRI-Anlagen laufen. Wasserstoff statt Kohle – mit dieser Strategie will Thyssenkrupp erklärtermaßen eines „der weltweit größten industriellen Dekarbonisierungsprojekte“ realisieren.

Schon mehr als 500 Millionen Euro vom Staat überwiesen

Von den bislang erwarteten Kosten in Höhe von drei Milliarden Euro will Thyssenkrupp eine Milliarde Euro tragen. Die Bundes- und die Landesregierung haben zugesagt, das Projekt mit rund zwei Milliarden Euro aus der Staatskasse zu fördern. Den symbolischen Scheck präsentierte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) im Juli vergangenen Jahres persönlich in Duisburg. 170 Millionen Euro seien erst kürzlich beim Unternehmen angekommen, berichtete der neue Finanzchef Jens Schulte vor wenigen Tagen auf Nachfrage bei seiner ersten Zwischenbilanz. Insgesamt sind nach Angaben von Thyssenkrupp bereits mehr als 500 Millionen Euro vom Staat ausgezahlt worden.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López zum historischen DRI-Projekt: „Unser erklärtes Ziel ist und bleibt, die Direktreduktionsanlage wie geplant weiter zu bauen.“
Thyssenkrupp-Chef Miguel López zum historischen DRI-Projekt: „Unser erklärtes Ziel ist und bleibt, die Direktreduktionsanlage wie geplant weiter zu bauen.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Bauarbeiten befinden sich indes noch in einem frühen Stadium. Fundamente werden gelegt. Noch steht die voraussichtlich etwa 135 Meter hohe Anlage nicht. Dem Vernehmen nach muss möglicherweise beim Bau nachgebessert werden. Ein Thema sei der Lärmschutz, heißt es. Damit nicht zu viele Geräusche, die beim Betrieb der DRI-Anlage entstehen, in benachbarten Wohngebieten ankommen, müsse das Aggregat wohl umhüllt werden. Eine entsprechende Konstruktion dürfte erhebliche zusätzliche Kosten verursachen.

Thyssenkrupp-Chef López: Bau von DRI-Anlage ist „erklärtes Ziel“

Hinter vorgehaltener Hand wird auch über ein „Was-wäre-wenn“-Szenario nachgedacht: eine Exit-Strategie für das DRI-Projekt. Thyssenkrupp-Chef López äußert sich mit den Worten: „Unser erklärtes Ziel ist und bleibt, die Direktreduktionsanlage wie geplant weiter zu bauen.“

Ob Thyssenkrupp auf zusätzliche Fördergelder für die erste DRI-Anlage hoffe? „Die Politik hat uns ja schon eine sehr große Fördersumme zur Verfügung gestellt, für die wir wirklich dankbar sind“, sagt Konzernchef López dazu in der FAZ. „Wenn es teurer wird, ist das womöglich eher eine Sache, die wir im Businessplan mit berücksichtigen müssen.“

Sigmar Gabriel: „Das hat noch keiner auf der Welt gemacht“

Im Management von Thyssenkrupp Steel haben sich die Zuständigkeiten für das DRI-Projekt verändert. Mit Ulrich Greiner-Pachter gibt es nun einen „Generalbevollmächtigten“ für das historische Bauvorhaben. Er kommt vom nordrhein-westfälischen Anlagenbauer SMS, der den milliardenschweren Auftrag für das DRI-Projekt ergattert hat.

In einem auf Stern.de veröffentlichten Interview erinnert Sigmar Gabriel, der scheidende Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, auch an das historische Desaster des deutschen Industriekonzerns beim Bau eines neuen Stahlwerks in Brasilien. Das damalige Management habe 17 Milliarden Euro „für ein Stahlwerk im Sumpf von Brasilien versenkt“, so Gabriel. Wenig später spricht der frühere Vizekanzler darüber, dass es nun wieder „gigantische Großprojekte“ bei Thyssenkrupp gebe. „Sie errichten dort neue Stahlanlagen, eine DRI-Anlage für die Produktion von grünem Stahl und sie bauen eine Gieß-Walzanlage im laufenden Betrieb um. Das hat noch keiner auf der Welt gemacht“, merkt Gabriel an. „Geht das schief, steht die deutsche Autoindustrie still.“

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