Essen. Hauptversammlung von Thyssenkrupp: Aktionäre fordern teils radikale Schritte – von der Zerschlagung bis hin zur Auflösung des Konzerns.
Bei manchem Thyssenkrupp-Aktionär macht sich Fatalismus breit. Bei der virtuellen Hauptversammlung des seit Jahren angeschlagenen Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns geht Daniel Vos von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sogar so weit, eine Auflösung des Unternehmens, zu dem immerhin rund 100.000 Beschäftigte gehören, ins Gespräch zu bringen. „Irgendwann haben wir ein Sammelsurium von Resten“, sagt Vos und verweist auf die geplanten Verkäufe von Thyssenkrupp-Firmen, darunter die Stahlsparte und das Marine-Geschäft. Womöglich stelle sich in einigen Monaten die Frage, ob Thyssenkrupp „noch überlebensfähig“ sei. Auch ein „Liquidationsbeschluss“ der kommenden Hauptversammlung in einem Jahr sei schließlich möglich, bemerkt Vos. „Dann wird verkauft, so gut es eben geht.“ Die Marke Thyssenkrupp werde gewiss erhalten bleiben, aber „die Machtverhältnisse sind dann völlig anders sortiert“. Dies könnte seiner Einschätzung zufolge durchaus im Interesse der Aktionärinnen und Aktionäre sein.
Es war die vielleicht radikalste, aber bei weitem nicht die einzige kritische Einschätzung eines Anteilseigners zur Lage des Traditionskonzerns. Hendrik Schmidt, der für die zur Deutschen Bank gehörenden Fondsgesellschaft DWS bei der Hauptversammlung sprach, sagte, es sei bei Thyssenkrupp bereits in den vergangenen Jahren „gefühlt immer fünf vor zwölf“ gewesen, doch mittlerweile stehe der Zeiger wohl eher schon auf zwölf Uhr. „Die Hütte brennt“, mahnte Schmidt. „Damit der Ofen nicht Gefahr läuft auszugehen, tragen Vorstand und Aufsichtsrat dafür Verantwortung, dass das Unternehmen in den kommenden Monaten eine Perspektive und die richtigen Antworten findet und diese dann auch umsetzt.“
„2025 ein Schicksalsjahr für Thyssenkrupp“
Auch Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka zeigte sich alarmiert. Irgendwann stelle sich für Thyssenkrupp wieder „die Existenzfrage“, sagte er. „Der Druck nimmt jeden Tag zu.“ Nach Einschätzung von Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) wird „2025 ein Schicksalsjahr für Thyssenkrupp“. Eine der drängendsten Fragen sei: Wann sei mit einer Entscheidung zur Zukunft der Stahlsparte zu rechnen? Lange warten dürfe das Management nicht. „Die Zeit haben wir nicht“, so Tüngler. Deka-Experte Speich legte den Finger in die Wunde und rief Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López zu, er sei auf dem besten Weg, ein „Ankündigungsweltmeister“ zu werden. Dabei war López doch angetreten, schnelle Veränderungen im Konzern herbeizuführen.
Ende vergangenen Jahres hatte das Thyssenkrupp-Management angekündigt, 11.000 Arbeitsplätze in der Stahlsparte abbauen oder outsourcen zu wollen. Zudem laufen Gespräche mit dem tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky zur Bildung eines Stahl-Gemeinschaftskonzerns, an dem beide Seiten jeweils die Hälfte der Anteile halten sollen. 20 Prozent an Thyssenkrupp Steel hat Kretinsky bereits gekauft. Aktionärsvertreter wie Ingo Speich beklagen „Intransparenz“ beim Stahl-Deal. Auf entsprechende Fragen bei der Hauptversammlung antwortete López nur, mit Kretinsky sei „Stillschweigen“ zu den Verträgen vereinbart worden.
Um Fortschritte bei der Umsetzung der Pläne zu machen, müsste das Thyssenkrupp-Management Einigkeit mit den Arbeitnehmervertretern erzielen. Die IG Metall steht indes auf dem Standpunkt, nur dann über Einschnitte in der Stahlsparte verhandeln zu wollen, wenn betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen vom Tisch sind. Es gilt als möglich, dass es nach der Hauptversammlung Bewegung in der Sache gibt. Mancher im Konzern verweist darauf, dass es beim Autobauer Volkswagen in einer vergleichbaren Situation schon Ende vergangenen Jahres zu einer Vereinbarung gekommen sei.
Vorstandschef López umwarb bei der Hauptversammlung nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Arbeitnehmervertreter. „Wir nehmen unsere Verantwortung auch als Arbeitgeber sehr ernst“, sagte er. „Wir sind und bleiben um einen fairen Interessenausgleich mit den Arbeitnehmervertretungen bemüht.“ Allerdings könne es „nicht für jeden Einzelnen eine dauerhafte Perspektive im Thyssenkrupp-Konzern“ geben.
Thyssenkrupp-Chef López mahnt: „Das wäre zerstörerisch“
So wie in den vergangenen Jahren „kann und darf es nicht weitergehen“, sagte López. Unlängst hatte das Unternehmen erneut einen milliardenschweren Verlust verbucht. „Unverändert lassen, was sich offenkundig seit langer Zeit im Niedergang befindet, kann und darf keine Lösung sein“, betonte López. „Das wäre zerstörerisch, und deshalb wollen und müssen wir es abwenden.“ Leider gehe es „nicht ohne Spannungen“, fügte der Manager hinzu, merkte aber auch an: „Manche öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung ist unnötig und sogar schädlich – vor allem, wenn sie zu Irritationen bei Kunden oder Verunsicherung in der Belegschaft führt.“
Umstrittene Entscheidungen wie den Teilverkauf der Stahlsparte an den tschechischen Investor Kretinsky hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm auch gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter mit seiner sogenannten „Doppelstimme“ im Kontrollgremium des Konzerns durchgesetzt. „Ich wollte das nicht und werde weiterhin alles dafür tun, solche Situationen zu vermeiden“, sagte Russwurm bei der Hauptversammlung. Aber er schloss auch nicht aus, erneut so zu handeln. „Wenn es sich nicht vermeiden lässt, darf mangelnder Konsens notwendiges Vorankommen auch nicht unterbinden.“
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