Berlin. Das Deutschlandticket soll im nächsten Jahr teurer werden. Verkehrsverbandspräsident Ingo Wortmann sagt, wo die Obergrenze liegen darf.

Das Deutschlandticket sorgt bei Verkehrsunternehmen für hohe Einnahmeverluste. Bund und Länder diskutieren deshalb über eine Preiserhöhung. Der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Ingo Wortmann (54), sagt, warum das Deutschlandticket bleiben sollte, welcher Preis auf keinen Fall überschritten werden darf und warum Verkehrsbetriebe immer weniger Busse und Bahnen fahren lassen.

49, 59 oder sogar 64 Euro – wie teuer wird das Deutschlandticket im kommenden Jahr?

Ingo Wortmann: Das wissen wir nicht. Am Ende müssen das die Länder und der Bund entscheiden, die auch die Finanzierung dieses Tickets tragen müssen.

Würde es aus Ihrer Sicht irgendwie auch gänzlich ohne Preiserhöhung für den Endkunden gehen?

Wortmann: Dafür müssten die Zuschussmittel entsprechend erhöht werden. Aber auf Dauer funktioniert auch das nicht, weil wir steigende Material- und Personalkosten haben. Hält man dann den Preis für die Kundinnen und Kunden dauerhaft stabil, führt das zu Bezuschussungskosten, die in der aktuellen Haushaltssituation der Länder schlicht nicht abbildbar wären.

Reichen 1,5 Milliarden Euro, die Bund und Länder jeweils zuschießen, denn aus?

Wortmann: Nein, denn die Kosten bei uns steigen weiter. Die Mittel müssen jedes Jahr entsprechend angepasst werden. Ein Index, der sich an der tatsächlichen Kostenentwicklung orientiert, wäre das Beste. Dann ist auch für die Politik der Zuschussbedarf besser zu kalkulieren. Man weiß, was rauskommt und es wäre dann auch besser möglich, Preiserhöhungen zu erklären.

Verkehrsminister wohl einig: Deutschlandticket wird ab 2025 teurer

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    Wie hoch ist der Fehlbetrag bei den Verkehrsunternehmen derzeit?

    Wortmann: Wir rechnen in diesem Jahr mit 3,5 bis 4,3 Milliarden Euro Zuschussbedarf, genau wissen wir das erst Anfang 2025. Der steigende Ausgleichsbedarf ist auch darauf zurückzuführen, dass die meisten Besitzer des Deutschlandtickets vorher ein teureres Monatsabonnement hatten, wodurch wir deutlich an Einnahmen verlieren.

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    Die Idee, ein Ticket für alle Tarifzonen anzubieten, halten Sie aber nach wie vor für gut?

    Wortmann: Ja, das ist gut und richtig. Wenn sich das Ticket dauerhaft etabliert und auch durchfinanziert ist, können wir langfristig verschiedene Tarifangebote aufgeben und so im Vertrieb auch Kosten einsparen. Dafür muss das Ticket aber so bepreist sein, dass es günstiger ist als bisherige Monatsangebote.

    Ingo Wortmann ist seit sechs Jahren Präsident des Verbands Deutscher  Verkehrsunternehmen. Der 54-Jährige setzt sich für den Erhalt des Deutschlandtickets ein – allerdings nur, wenn es ausreichend gegenfinanziert ist. Wortmann ist zugleich Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchener Verkehrsgesellschaft.
    Ingo Wortmann ist seit sechs Jahren Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Der 54-Jährige setzt sich für den Erhalt des Deutschlandtickets ein – allerdings nur, wenn es ausreichend gegenfinanziert ist. Wortmann ist zugleich Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchener Verkehrsgesellschaft. © Florian Boillot | Florian Boillot

    Ab wann wäre das D-Ticket zu teuer?

    Wortmann: Nach unseren Erkenntnissen wären 70 Euro zu viel. Wir empfehlen zum jetzigen Zeitpunkt eine maßvolle Preissteigerung, damit die jetzigen Kundinnen und Kunden nicht abspringen und das Ticket auch für potenzielle Neukunden attraktiv bleibt.

    Besteht die Möglichkeit, dass Verkehrsunternehmen sparen, um so den Preis für das Deutschlandticket günstig zu halten?

    Wortmann: Einsparungen würden bedeuten, Leistungen zu streichen. Das führt dazu, dass das Angebot unattraktiver wird. Eigentlich müssten wir massiv in das Angebot investieren. Die Marktforschung sagt klar, dass die Menschen unser Angebot dann nutzen, wenn es gut ist. Der VDV hat deshalb immer gesagt, dass zunächst das Angebot verbessert werden muss und danach erst der Preis gesenkt werden sollte. Leider ist es durch das Deutschlandticket andersrum gekommen.

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    Viele Menschen sind von den ewigen Diskussionen um das Deutschlandticket genervt. Wie wichtig wäre eine dauerhafte Lösung für das Angebot?

    Wortmann: Diese wäre sehr wichtig. Viele Menschen verstehen gar nicht mehr, warum eigentlich diskutiert wird. Aber erst bei einer dauerhaften Finanzierung könnten die Verkehrsunternehmen Ticketangebote reduzieren oder Automaten abschaffen. Erst dann ist es überhaupt möglich, zu sparen. Wir benötigen jetzt schnell den Beschluss, dass Mittel überjährig zur Verfügung stehen und auch eine Perspektive ab 2026.

    Im Juni hatten 13 Millionen Menschen hierzulande ein Deutschlandticket – geht da noch mehr?

    Wortmann: Als VDV haben wir uns die Marke 15 Millionen Abos als Ziel gesetzt. Diese sind bei entsprechenden Rahmenbedingungen erreichbar. Wenn nicht mehr kommt, hätten wir lediglich unsere bestehenden, teureren Abos auf ein deutschlandweit gültiges Ticket umgestellt. Aber das ist keine Verkehrs- oder Mobilitätswende. Das ist nur eine Preissenkung im ÖPNV.

    Sollten Deutschlandtickets für Einkommensschwache günstiger sein?

    Wortmann: Der ÖPNV ist Teil der Daseinsvorsorge und war daher noch nie ein profitables Geschäft. Man muss aufpassen, dass nicht Verluste aus dem Sozialbereich in den ÖPNV verschoben werden. Wenn, dann muss dies bezuschusst werden. Zudem gibt es ja bereits fast überall in Deutschland ÖPNV-Sozialtickets.

    Weniger Geld im System: Bedeutet das auch, dass das Ziel der Verkehrswende in Gefahr ist?

    Wortmann: Das Ziel ist nicht nur in Gefahr, sondern in den kommenden Jahren erst mal unmöglich. Derzeit müssen wir darum kämpfen, unser Bestandsangebot, also den Fahrplan von heute, zu erhalten. Wir beginnen bereits jetzt, das Angebot in bestimmten Bereichen zu kürzen. Das tut weh, denn es ist nicht unser Ziel, weniger zu fahren.

    Was heißt das konkret?

    Wortmann: Bei uns in München werden wir zum Fahrplanwechsel zum Beispiel eine Straßenbahnlinie einstellen. Das ist vertretbar, weil es dort noch parallel andere ÖPNV-Angebote gibt. Und auch bei einigen Busverbindungen haben wir Taktungen reduziert. Ich hoffe nicht, dass diese Entwicklung Fahrt aufnimmt.

    Ist das deutschlandweit so?

    Wortmann: Ja. Zwei Effekte überlagern sich hier: Der eine ist der Personalmangel und der andere sind Finanzlöcher. Schleswig-Holstein fängt an, in den Schwachlastzeiten – also morgens und abends – Verkehre einzustellen. Das trifft ausgerechnet die Menschen, zum Beispiel Pflegepersonal oder auch Polizisten, die wir in der Coronazeit noch beklatscht haben. Das ist eine Fehlentwicklung.

    Das Deutschlandticket ist bei vielen Fahrgästen sehr beliebt und führt teilweise zu hohen Auslastungen der Regionalzüge.
    Das Deutschlandticket ist bei vielen Fahrgästen sehr beliebt und führt teilweise zu hohen Auslastungen der Regionalzüge. © dpa | Fabian Sommer

    Ein unterfinanzierter ÖPNV und das mit einer Bundesregierung, an der die Grünen beteiligt sind, die stets die Mobilitätswende propagiert haben. Hatten Sie das für möglich gehalten?

    Wortmann: Wir müssen in der Tat konstatieren, dass wir das ÖPNV-Angebot aktuell nur aufrechterhalten können oder sogar zurückfahren müssen. Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Hoffnung war eher, dass die Verkehrswende jetzt Fahrt aufnimmt. Aber das Gegenteil passiert.

    Wo liegt das Kernproblem?

    Wortmann: Wir hätten erst das Angebot ausbauen müssen und dann ein vergünstigtes Ticket anbieten sollen. Jetzt ist das Deutschlandticket in der Welt – und wir bekommen es auch nicht mehr aus der Welt. Ich bin nicht gegen das Ticket, aber der nötige Ausbau des ÖPNV, der das Ticket attraktiv machen würde, lässt sich jetzt in dem notwendigen Maße nicht mehr finanzieren. Das ist die Tragik, in der wir uns befinden.

    Was wäre nötig, um mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen?

    Wortmann: Wir müssen zwei Dinge tun. In Städten das Angebot verdichten, was viel Geld kostet, und auf dem Land zunächst mal überhaupt überall ein annehmbares Angebot schaffen. Es gibt in einigen Landesteilen zwar schon Schnellbusverbindungen, Rufbusse oder auch reaktivierte Eisenbahnstrecken, aber noch ist das kein flächendeckendes Angebot. Für fünf Busse am Tag kauft sich niemand ein ÖPNV-Abo.

    Angenommen, das Deutschlandticket wird abgeschafft. Würden die früheren Nutzer in die Normaltarife zurückkehren?

    Wortmann: Viele Umsteiger werden wieder ihr Auto nutzen. Frühere ÖPNV-Nutzer, die ihre teureren Abos gegen ein Deutschlandticket eingetauscht haben, werden wohl zurückkehren. Denn die alten Abos haben oft auch Vorteile – wie die Übertragbarkeit auf andere Personen oder die kostenlose Mitnahme von Kindern. Aber ich glaube und hoffe nicht, dass das Deutschlandticket wieder abgeschafft wird.

    Wie könnte das D-Ticket noch attraktiver werden?

    Wortmann: Wenn das Deutschlandticket teurer wird, könnte man erwägen, dass es auch hier eine Mitnahmeregelung an Wochenenden oder nach Feierabend – zum Beispiel für Kinder oder einen weiteren Erwachsenen – gibt. Dies kann aber nicht in Spitzenzeiten gelten. Da sind unsere Verkehrsmittel voll.

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    Bundesweit fallen wegen Personalknappheit immer wieder Busse und Bahnen aus. Wie finden sie neue Mitarbeitende?

    Wortmann: Unsere Jobs sind sehr attraktiv und sicher. Sie sind sinnstiftend, schützen das Klima, sind lokal verankert – und werden nach Tarif entlohnt. Wir haben als Anreiz die Löhne deutlich erhöht. Zudem arbeiten wir an familienfreundlichen Dienstplänen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich wünschen, zu welchen Tageszeiten sie lieber arbeiten möchten. Auf Urlaubsbörsen kann man seine Ferienzeiten tauschen. Manche Unternehmen bieten Kindertagesstätten oder auch Werkswohnungen an. Das könnte von allem mehr sein. Aber wir sind auf gutem Weg. 

    Werden Busse und Bahnen irgendwann autonom fahren?

    Wortmann: Perspektivisch wird das kommen, die Branche testet das ja bereits ausgiebig. Bei der U-Bahn wäre das eigentlich gut umsetzbar. Dazu sind aber erhebliche Investitionen in Fahrzeuge und Sicherungssysteme notwendig. Wir beteiligen uns auch an Forschungsprojekten für autonome Busse. Doch die Industrie muss diese Fahrzeuge erst entwickeln. Das wird die Zukunft sein. Doch wir müssen zunächst die Probleme im Hier und Jetzt lösen.

    Wie weit ist der ÖPNV beim Umstellen auf klimafreundliche Antriebe?

    Wortmann: Die Umstellung auf E-Mobilität hat hohe Priorität. Die Entscheidung der Bundesregierung, jetzt die E-Bus-Förderung quasi auf Null zurückzufahren ist daher wie eine Notbremsung für uns auf dem Transformationsweg. Die Umstellung ist ein Kraftakt: Man muss in Fahrzeuge, Infrastruktur und Personal investieren. Liegt genügend Strom an? Allein ein E-Bus ist noch immer fast doppelt so teuer wie ein moderner Dieselbus.

    Könnten Flugtaxis künftig für Großstädte wie München oder Berlin eine Realität werden?

    Wortmann: Für Visionen sollte man grundsätzlich offen sein. Wichtig ist zu klären: Wo starten und landen diese und wie wird der Verkehr in der Luft geregelt? Für die ÖPNV-Betriebe sehe ich dies in der nächsten Zeit aber nicht als Geschäftsfeld.

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    Sie sind mit der Bahn nach Berlin gekommen. Fahren Sie selbst mehr mit dem ÖPNV oder mit dem Auto?

    Wortmann: Wir haben als Familie nur ein Auto, mit einer Jahresfahrleistung von 5000 Kilometern. Wir nutzen es vor allem zum Transport, also um Dinge wie Blumenerde, Werkzeug oder Materialien vom Baumarkt nach Hause zu bekommen. Um von A nach B zu kommen, fahren wir fast immer mit Bus und Bahn. Mein Sohn nutzt auch mal ein Carsharing-Auto.