Essen. Deutsche Bahn und Ampel wollen bald über Verkauf von Schenker entscheiden. Bei einem der Bieter fürchtet Verdi um 5300 Jobs und die Verwaltung.
Der Ende 2023 gestartete Verkauf der Bahn-Tochter Schenker steht kurz vor einer Entscheidung. Am Logistikriesen mit Sitz in Essen sind dem Vernehmen nach noch der Finanzinvestor CVC und der dänische Schenker-Konkurrent DSV interessiert. Erhielte Letzterer den Zuschlag, seien Tausende Arbeitsplätze in Deutschland und alle Verwaltungsstandorte bedroht, warnt die Gewerkschaft Verdi. In der Stadt geht die Sorge um den Erhalt der Schenker-Zentrale und ihrer rund 700 Arbeitsplätze um.
Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP will Schenker verkaufen, um mit dem Erlös die Deutsche Bahn endlich in die Spur zu bekommen und ihren Schuldenberg abzutragen. Das kriselnde Staatsunternehmen, auf das ein großer Teil der deutschen Bevölkerung angewiesen ist, hat 30 Milliarden Euro Schulden angehäuft und trotzdem seit Jahrzehnten viel zu wenig in seine Infrastruktur investiert. Da kämen die von beiden verbliebenen Bietern dem Vernehmen nach avisierten 14 Milliarden Euro sehr recht.
Verkehrsminister Wissing (FDP): Schenker-Entscheidung fällt „zeitnah“
„Ich gehe davon aus, dass Entscheidungen zeitnah fallen“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vergangene Woche in Berlin. Das deutet auf eine mögliche Entscheidung bereits in der kommenden Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn AG am 18. September hin. Damit naht auch die Entscheidung über die Zukunft der Essener Schenker-Zentrale samt ihrer Beschäftigten. Denn während CVC das Unternehmen als Ganzes übernehmen will, würde Konkurrent DSV Schenker in seinen kaum größeren Konzern integrieren, was zumindest in der Verwaltung enorme Einsparpotenziale mit sich brächte.
In Essen ist Schenker ein unscheinbarer Riese. Dabei ist seine Deutschland-Zentrale am Hauptbahnhof mit dem Namen „The Grid“ (Das Netz) ein spektakuläres Gebäude. Weil aber die Mutter ein Staatsunternehmen und auch noch die Dauerbaustelle namens Deutsche Bahn ist, tritt Schenker medial selten in Erscheinung. Die Öffentlichkeitsarbeit wird in Berlin gesteuert, und dies auf defensivste Weise. Niemand will etwas sagen, was irgendeinem Politiker missfallen könnte.
DSV und Schenker könnten DHL von der Spitze verdrängen
Schenker hat weltweit rund 70.000 Beschäftigte und erzielte zuletzt gut 19 Milliarden Euro Umsatz, DSV als Nummer drei der Branche ist mit 75.000 Beschäftigten und gut 20 Milliarden Euro Umsatz kaum größer. Weltmarktführer der Allround-Spediteure, also Großreedereien wie MSC und Maersk ausgenommen, ist mit großem Abstand die deutsche DHL, die mit ihrem globalen Frachtgeschäft zu Lande, zu Wasser und in der Luft im vergangenen Jahr rund 36 Milliarden Euro Umsatz erzielt hat, gefolgt vom Schweizer Logistiker Kühne + Nagel mit umgerechnet rund 28 Milliarden Euro.
Auch Maersk hatte anfangs großes Interesse an einer Übernahme von Schenker, ist inzwischen aber aus dem Bieterkreis ausgeschieden. DHL war gar nicht erst in den Bieterprozess eingestiegen. Dies, obwohl DSV und Schenker zusammen DHL die Weltmarktführerschaft streitig machen könnten.
Über einen Verkauf der Bahn-Tochter wird bereits seit zehn Jahren gerungen
CVC, einer der weltgrößten Private-Equity-Fonds, sucht offenkundig ein Großinvest, dessen Renditepotenzial noch Luft nach oben hat und das bei erfolgreicher Weiterentwicklung in einem Börsengang münden könnte. Dass in Schenker noch viel Potenzial steckt, steht außer Frage, bei den Gewinnmargen hinkten die Essener der Konkurrenz meist hinterher. Nicht nur Marktbeobachter sahen Schenker in den vergangenen Jahren von ihrer maroden Mutter, der Bahn, in seiner Entwicklung gebremst.
Auch intern ist der Wunsch nach einer Loslösung vom Staatskonzern seit langem vernehmbar, das Gerangel verschiedener Bundesregierungen um Verkauf oder Nichtverkauf der Logistiktochter war bereits in vollem Gange, als Schenker 2016 seine neue Zentrale in Essen bezogen hat. Freilich dürften sich in der Essener Zentrale wenige eine Übernahme wünschen, bei der sie selbst überflüssig werden.
Essener Wirtschaftsförderer wirbt für den Erhalt der Schenker-Zentrale
Nun sorgt man sich in der Ruhr-Stadt tatsächlich um die schicke Zentrale und ihre rund 700 Arbeitsplätze: „Wir sind sehr daran interessiert, dass eine Lösung gefunden wird, die die Standort-Interessen Essens und die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt“, sagte André Boschem unserer Redaktion, der Chef der Essener Wirtschaftsförderung.
Der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer betonte auf Anfrage, die Unions-Fraktion im Bundestag sei grundsätzlich gegen einen Verkauf von Schenker, der Konzern solle in Bundeshand bleiben. Das sei „gerade mit Blick auf Mitbewerber wie China von strategischer Bedeutung“. Einen Favoriten für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass Schenker jetzt trotzdem verkauft, wollte er nicht nennen, sagte aber: „Die Haushaltsprobleme der Bundesregierung dürfen nicht zu Lasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DB Schenker gelöst werden.“
„Wir sind sehr daran interessiert, dass eine Lösung gefunden wird, die die Standort-Interessen Essens und die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt.“
Verdi warnt: Verkauf von Schenker an DSV würde 5300 Jobs kosten
Noch klarer drückt es Verdi aus: In einem internen Papier an den Bahn-Aufsichtsrat, das nicht intern blieb, warnt die Gewerkschaft vor dem Verlust von 5300 der rund 14.000 Arbeitsplätze in Deutschland, sollte DSV zum Zuge kommen. Auch bei CVC rechnet Verdi mit dem Abbau Hunderter Stellen in der Verwaltung, aber nur einem Bruchteil dessen, was mit DSV drohe. Verdi verweist auf Erfahrungen etwa nach der Übernahme des kleinen Schweizer Konkurrenten Panalpina durch die Dänen: DSV strich mehr als die Hälfte der 300 Stellen in der Baseler Zentrale und schreckte auch nicht vor Kündigungen zurück.
In Essen rechnet man gar mit der Schließung der Schenker-Zentrale, sollte die Bahn DSV den Zuschlag geben. Da sowohl die Dänen als auch CVC 14 Milliarden Euro bieten sollen, sollten soziale Aspekte den Ausschlag geben, wünscht sich Verdi von der Politik, die im Bahn-Aufsichtsrat das entscheidende Wort haben wird. Auf der Eigentümerseite sitzen zwei Staatssekretärinnen aus dem Verkehrs- und aus dem Wirtschaftsministerium sowie drei Bundestagsabgeordnete. Der Favorit der Arbeitnehmerbank ist ohnehin CVC.
Dänen versprechen Milliardeninvestitionen und mittelfristig sogar mehr Jobs
Da den Dänen die deutschen Bedenken nicht verborgen geblieben sind, haben sie jüngst Milliardeninvestitionen in Schenker versprochen und gestreut, dass mittelfristig nicht weniger, sondern mehr Menschen bei Schenker beschäftigt sein würden. Sie wollten auch keine Einzelteile des Unternehmens verkaufen, berichtete das Manager Magazin unter Berufung auf Verhandlungskreise. Zudem wolle sich DSV an die zweijährige Beschäftigungsgarantie ab Übernahmedatum halten, was Verdi zuvor angezweifelt hatte.