Essen. Bahn verkauft Essener Logistiktochter Schenker. Wem neben DHL Interesse nachgesagt wird. Und für wen ein Börsengang am besten wäre.
Es regt sich was in der Schenker-Zentrale am Essener Hauptbahnhof: Im Netz („The Grid“), wie der Konzern sein Hauptquartier passend für einen globalen Logistikriesen getauft hat, laufen alle Fäden der 1850 Standorte in mehr als 130 Ländern zusammen. Ob das so bleibt, ist seit Mittwoch nicht mehr gewiss: Die Deutsche Bahn, der Schenker gehört, hat ihre erfolgreiche Tochter nach jahrelangem Hin und Her offiziell zum Verkauf gestellt. Gut möglich also, dass die Schenker-Geschicke künftig von Bonn aus geführt werden, wo der deutsche Platzhirsch Post DHL sitzt, oder aus Bremen, dem deutschen Sitz des dänischen Logistikriesen DSV. Beiden Konkurrenten wird in Finanzkreisen Interesse nachgesagt, aber auch Finanzinvestoren aus den USA und vom Golf. Möglich wäre auch ein Börsengang. Der könnte Schenker aufgrund seiner Größe in den Dax katapultieren.
Die Deutsche Bahn hat am Dienstag ein für alle offenes Bieterverfahren für DB Schenker mit einer Anzeige im Wall Street Journal gestartet. Ziel des Staatskonzerns ist es, möglichst viel Geld einzunehmen, weshalb ein Komplettverkauf ausdrücklich erwünscht ist. Auf zwölf bis 15 Milliarden Euro taxieren die Märkte den Wert von Schenker. Die Bahn will sich auf ihr ganz und gar nicht rund laufendes Kerngeschäft konzentrieren und jeden Cent aus dem Schenker-Verkauf selbst ausgeben, den Großteil davon für den Schuldenabbau. Ob in der Berliner Bahn-Zentrale ein Verkauf an einen Konkurrenten oder einen Finanzinvestoren bevorzugt wird, ist schwer auszumachen. Das Handelsblatt will aus Regierungskreisen erfahren haben, es werde eine europäische Lösung bevorzugt - ein Fingerzeig auf DSV. Zumal die Dänen seit Jahren um Schenker buhlen.
Börsengang wäre am besten für die Beschäftigten
Als derzeit unwahrscheinlichste Variante gilt in der Hauptstadt ein Börsengang von Schenker. Dabei wäre das „für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die beste Lösung“, wie Marc Tüngler betont. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vertritt die Kleinanleger bei der Deutschen Post DHL und weiß, dass Schenker für den Marktführer „unglaublich attraktiv“ wäre, um weiter zu wachsen, zumal „DHL die Taschen voller Geld hat“, so Tüngler. Doch für den Erhalt der Arbeitsplätze vor allem in der Essener Zentrale wäre die Übernahme durch einen größeren Konkurrenten die schlechteste Variante.
„Ein Börsengang von Schenker hätte Charme“, sagt Tüngler, die Essener hätten das Potenzial, sich aus eigener Kraft zu behaupten und zu wachsen. „Global aufgestellte Logistikkonzerne funktionieren an der Börse, wie DHL ja beweist“, sagt der Aktionärsschützer. Die Deglobalisierung mit Kriegen und neuen Abschottungstendenzen einzelner Regionen mache die weltweite Logistik zwar komplexer und schwieriger. Aber umso mehr werde die zuverlässige Lieferung durch gut aufgestellte Logistiker wie Schenker geschätzt und bezahlt, betont Tüngler.
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Schenker zählt mit 76.600 Beschäftigten in mehr als 130 Ländern zu den führenden Logistikdienstleistern weltweit. DHL ist mit rund 395.000 Beschäftigten in über 220 Ländern als früherer Weltmarktführer und aktuelle Nummer zwei hinter FedEx noch einmal deutlich größer. Schenker führt eine Fraunhofer-Rangliste in Europa als Nummer drei hinter DHL und Maersk. Mit einem Umsatz von 27,6 Milliarden Euro und einem operativen Gewinn (Ebit) von 1,8 Milliarden Euro erzielten die Essener 2022 Rekordwerte, das meiste Geld verdiente Schenker mit seiner Luft- und Seefracht. Dieses Jahr läuft wegen der globalen Konjunkturflaute schlechter.
Schenker: Verkauf an Konkurrenten oder Finanzinvestor wahrscheinlich
Mit diesen Werten könnte Schenker auf Anhieb in die erste deutsche Börsenliga aufsteigen, wenn sich denn die Deutsche Bahn doch für einen Börsengang ihrer Logistiktochter entscheiden sollte. „Ich würde Essen einen weiteren Dax-Konzern wünschen“, sagt Tüngler. Nach RWE, Eon und Brenntag wäre es der vierte Dax-Konzern der Ruhrstadt, nur München hätte dann noch mehr.
Wahrscheinlicher ist allerdings der Verkauf an einen Konkurrenten oder Finanzinvestoren. Interesse wird DHL nachgesagt, ohne dass sich der Bonner Konzern je dazu geäußert hätte. Auch die dänischen Schwergewichte DSV und Maersk werden genannt, ebenso der Schweizer Weltkonzern Kühne + Nagel. Unter den Finanzinvestoren fallen am häufigsten die Namen der US-Fonds Carlyle, Advent und Bain sowie die Luxemburger CVC-Gruppe. Laut Handelsblatt ist mit ADQ aber auch ein Staatsfonds aus Abu Dhabi an Schenker interessiert.
Schenker gehörte in den 1990-ern zu Stinnes
Die 1872 in Wien gegründete Spedition Schenker wurde 1931 von der Deutschen Reichsbahn übernommen, transportierte für das NS-Regime im Zweiten Weltkrieg Rüstungsgüter. In den 90er-Jahren gehörte Schenker der Mülheimer Stinnes AG, die von der Deutschen Bundesbahn die Mehrheit am Unternehmen übernahm. 2002 ging es dann zurück zur Deutschen Bahn, die sich Schenker mit der Übernahme von Stinnes wieder einverleibte.
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In der Essener Zentrale hofft man seit vielen Jahren, dass die Bahn ihre Logistiktochter wieder loslässt, mit neuen Investoren sieht man noch deutlich größere Wachstumschancen als unter dem Dach des Staatskonzerns. Dem hat Schenker jahrelang die Bilanz gerettet. „Egal in welcher Konstellation: Außerhalb der Bahn wartet auf Schenker eine bessere Zukunft als im Konzern“, legt sich der Finanzmarktexperte Tüngler fest. Das sieht sogar die Bahn selbst so: Schenker benötige „für eigenes Wachstum künftig mehr Kapital und Flexibilität“, heißt es in der Mitteilung des Staatskonzerns zum Start des Verkaufsprozesses.
Geführt wird Schenker seit inzwischen acht Jahren von Jochen Thewes. Der Vorstandsvorsitzende musste gleich zum Start seiner Karriere an der Schenker-Spitze seine schwerste Phase überstehen, als er 2016 von einem Gericht in Singapur zu zwei Wochen Haft verurteilt wurde, weil er einen Taxifahrer verprügelt hatte. Thewes entschuldigte sich, saß die Haftstrafe ab. Die Deutsche Bahn hielt an ihm fest - und Thewes dankte es mit jährlich wachsenden Umsätzen und Gewinnen. Er leitete zuvor das Asiengeschäft von Schenker, das zuletzt besonders stark gewachsen ist. Im zersplitterten Markt globaler Logistiker ist der amerikanische Markt für die deutschen Branchengrößen wegen der dortigen Konkurrenz durch FedEx und UPS besonders schwierig. Zusammen wären DHL und Schenker in Übersee stärker.