Duisburg/Essen. Bei Thyssenkrupp schwelen die Konflikte um die Stahlsparte in Duisburg weiter. Der frühere Vizekanzler Gabriel hat eine Schlüsselrolle.

Konzernchef Miguel López blieb zunächst einmal still nach der mit Spannung erwarteten Aufsichtsratssitzung zur Zukunft des Thyssenkrupp-Stahlgeschäfts. Ganz anders Sigmar Gabriel, der frühere Vizekanzler, der nun in Diensten der Stahlsparte steht: Gabriel meldete sich zu Wort – und das nicht zum ersten Mal in der schwierigen Lage des Konzerns.

Offensiv zeigt sich Gabriel mittlerweile als Vorkämpfer für eine eigenständige Aufstellung von Thyssenkrupp Steel. Es wäre ein tiefgreifender Umbau in der heimischen Industrie: Denn schon für sich genommen ist der bisherige Teilbereich von Thyssenkrupp, zu dem rund 27.000 der 100.000 Konzern-Beschäftigten gehören, der mit Abstand größte deutsche Stahlhersteller.

Pläne für eine Verselbstständigung des Stahlgeschäfts hatte schon die Vorgängerin von Miguel López, Martina Merz, verfolgt. Doch mit Gabriel und López ist eine bemerkenswerte Dynamik in die Sache gekommen – mit allerlei Konflikten, die längst nicht gelöst sind.

Sigmar Gabriel – einst SPD-Vorsitzender, Wirtschafts- und Außenminister – mischt dabei kräftig mit. Agieren Aufsichtsratsvorsitzende in Deutschlands Industrie meist im Verborgenen, geht Gabriel einen anderen Weg. Er gibt Interviews, bestreitet Pressekonferenzen – oder zeigt sich, bevor er zu einer Gremiensitzung in die Duisburger Stahl-Hauptverwaltung eilt, noch schnell an der Seite von Beschäftigten, die eine „Mahnwache“ vor dem benachbarten Werkstor aufgebaut haben.

Vierseitiges „Statement von Herrn Gabriel“

Andere Großkonzerne veröffentlichen, wenn überhaupt, eine kurze Pressemitteilung nach einer Aufsichtsratssitzung. Thyssenkrupp Steel hingegen verschickt nach dem mehrstündigen Treffen am Freitag ein vierseitiges „Statement von Herrn Gabriel“, in dem die wesentlichen Ergebnisse der Sitzung zusammengefasst sind.

Gabriel ist es auch, der bei Thyssenkrupp Steel die unangenehmen Botschaften verkündet. Im Interview mit unserer Redaktion kündigte er vor einigen Wochen an, dass der Stahlkonzern seine Produktionskapazitäten spürbar verkleinern werde – ein Einschnitt, der viele Arbeitsplätze kosten könnte. Nach der Aufsichtsratssitzung vom 9. August wiederum berichtet Gabriel kaum verklausuliert, dass Thyssenkrupp Steel die Verbindungen zu den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) kappen will – entweder durch einen Verkauf oder durch eine Schließung.

Mit seinen rund 3000 Beschäftigten im Duisburger Süden gehört HKM zu den größten deutschen Stahlherstellern. Thyssenkrupp Steel hält 50 Prozent der Anteile, der niedersächsische Konzern Salzgitter 30 Prozent. „Sollte das Verkaufs-Szenario der HKM nicht umsetzbar sein, arbeitet Thyssenkrupp Steel an einer einvernehmlichen ,Close‘-Lösung für die HKM“, heißt es in dem Gabriel-Statement zur Aufsichtsratssitzung. Damit ist die Option einer Schließung auch offiziell auf dem Tisch. Durch eine Trennung von HKM sollen die Produktionskapazitäten um zwei Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt werden, heißt es in einem Schreiben des Steel-Managements an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr hatte der Stahl-Vorstand um Bernhard Osburg angekündigt, die Werke für eine deutlich geringere Produktion neu zuschneiden zu wollen. Bislang sind die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt, künftig sollten es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein.

Thyssenkrupp Steel und die Montanmitbestimmung

Traditionell hat die Gewerkschaft IG Metall großen Einfluss in der Stahlindustrie. Anders als beim Essener Mutterkonzern Thyssenkrupp gilt bei der Stahlsparte in Duisburg die Montanmitbestimmung. Zur Einordnung: Zwei Mal innerhalb kurzer Zeit hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, wichtige Entscheidungen gegen das Votum der Arbeitnehmervertreter in Essen mit seiner „Doppelstimme“ durchgesetzt – unter anderem beim Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky in der Stahlsparte. In Duisburg bei Thyssenkrupp Steel, wo Gabriel den Aufsichtsrat führt, wäre ein solches Vorgehen nicht möglich. Einfach überstimmt werden können die Arbeitnehmervertreter nicht. Und es gibt es einen „neutralen“ Vertreter im Aufsichtsrat: Wilhelm Schäffer, der früher als Staatssekretär im NRW-Arbeitsministerium tätig war.

Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López steht unter Druck.
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López steht unter Druck. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Der Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende López ist lediglich ein einfaches Mitglied im Stahl-Aufsichtsrat, wenngleich ihm als Chef des Mutterkonzerns eine besondere Rolle zukommt. López soll in den vergangenen Wochen massiv Druck ausgeübt haben auf das Management der Stahlsparte. Von „Hauen und Stechen“ zwischen Duisburg und Essen war die Rede. Dabei sei es insbesondere um die Frage gegangen, wie viel Geld vom Mutterkonzern an die Tochter Thyssenkrupp Steel bei einer Verselbstständigung fließen sollte. Über Summen in einer Bandbreite von 2,5 Milliarden bis vier Milliarden Euro wird spekuliert.

Thyssenkrupp-Chef López unter Druck

López steht jedenfalls unter Druck, da er seine Ergebnis-Prognosen für den Konzern wiederholt nach unten korrigieren musste und die Aktie von Thyssenkrupp nahe am historischen Tiefstand rangiert.

Sigmar Gabriel (links), Detlef Wetzel (rechts) und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol auf dem Weg zur Aufsichtsratssitzung am 9. August in Duisburg.
Sigmar Gabriel (links), Detlef Wetzel (rechts) und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol auf dem Weg zur Aufsichtsratssitzung am 9. August in Duisburg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Viel zu lange ist viel zu wenig passiert bei Thyssenkrupp“, sagte López unlängst im Düsseldorfer Industrieclub vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Es gehe jetzt darum, Deutschlands größten Stahlhersteller „zukunftsfähig“ zu machen, denn die Lage sei „kritisch“ und könne „ohne entschlossenes Gegensteuern schnell existenzbedrohend werden“.

Gemessen an dieser Einschätzung hat López nach der Aufsichtsratssitzung am 9. August eher wenig vorweisen können. Wie hart die Einschnitte bei Thyssenkrupp Steel ausfallen werden, ist nach wie vor unklar. Weder sind Anlagenschließungen noch ein Programm zum Stellenabbau verkündet worden. Zur Frage, wie viel Geld des Mutterkonzerns für die Verselbstständigung der Stahlsparte mit dem Konzernkürzel TKSE fließen soll, wird nun erst einmal ein Gutachten erstellt. „Wenn Sie so wollen, haben wir heute die erste Halbzeit in der Debatte um die Zukunft der TKSE abgeschlossen, zugleich aber die zweite Halbzeit eröffnet“, formuliert es Sigmar Gabriel.

Nächste Aufsichtsratssitzung bei Thyssenkrupp Steel am 29. August

Das kann die IG Metall als Erfolg im Ringen mit Thyssenkrupp-Chef López werten. Arbeitnehmervertreter wie der früher Gewerkschaftsvorsitzende Detlef Wetzel, der nun stellvertretender Aufsichtsratschef der Thyssenkrupp-Stahlsparte ist, werfen dem Manager vor, viel zu rigide vorzugehen. Mit dem Verlauf der Aufsichtsratssitzung zeigt sich Wetzel zufrieden. „López ist mit seiner Dampfwalze gestoppt worden“, sagte Wetzel unserer Redaktion. „Es gibt jetzt ein geordnetes Verfahren.“ So soll unter anderem bei einer weiteren Aufsichtsratssitzung am 29. August über eine Zwischenfinanzierung der Stahlsparte durch den Mutterkonzern Thyssenkrupp entschieden werden.

Auffällig positiv äußert sich Sigmar Gabriel zum tschechischen Investor Kretinsky, der an der Aufsichtsratssitzung der Stahlsparte teilgenommen hat. Das Klima in den Gesprächen sei gut, Kretinskys Positionsbestimmungen seien „eindeutiger und klarer“, als manches, was er vorher von der Thyssenkrupp AG gehört habe, urteilt Gabriel. „Manchmal ist es ja ganz gut, wenn man jemanden hat, der mit seinem eigenen Geld operiert“, fügt Gabriel hinzu. „Ein ordentlicher Kapitalist ist auch für die IG Metall besser als ein unordentlicher.“

Am Tag nach der Aufsichtsratssitzung bezog dann auch Miguel López öffentlich Stellung zur Situation der Stahlsparte. „Uns als Thyssenkrupp AG und verantwortlicher Eigentümerin geht es darum, dass der Vorstand von Steel Europe endlich einen langfristig tragfähigen, soliden und finanzierbaren Businessplan für die Neuausrichtung des Stahlbereichs vorlegt“, betonte López in einem schriftlichen Statement, das der Konzern am Samstag verschickte. „Was wir jetzt brauchen, ist ein nüchterner, realistischer Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei.“ Ein unabhängig erstelltes Gutachten solle nun helfen, ein klares Bild zum künftigen Finanzbedarf der Stahlsparte zu bekommen. Die Finanzierung von Steel Europe werde für die nächsten 24 Monate durch die Thyssenkrupp AG gesichert. „Damit sollten auch die Spekulationen endgültig ein Ende haben. Es gab nie eine Insolvenzgefahr des Stahlbereichs und es gibt sie auch jetzt nicht“, so López.

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier: