Essen. Fast die Hälfte der Stellen in NRW sind noch unbesetzt – obwohl viele Jugendliche leer ausgehen. Woran das liegt und was Betriebe dagegen tun.
Acht neue Auszubildende starten am 1. August in ihre dreijährige Ausbildung in der Bäckerei BorBäcker Siebers in Essen. „Wir sind gut aufgestellt“, freut sich Bernd Siebers, Senior-Chef des Betriebs. Um weiter attraktiv für junge Menschen zu sein, lässt der Bäcker die Azubis auch mal länger schlafen. Andere Betriebe haben mehr Probleme, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen. Rund 40 Prozent der Ausbildungsstellen sind noch nicht vergeben.
Rund 40.000 junge Menschen sind noch ohne Ausbildungsplatz
Mit dem 1. August beginnt traditionell das neue Ausbildungsjahr – für viele junge Menschen der Einstieg in die Berufswelt. Kurz vor Ausbildungsstart sind aktuell 40.241 Stellen unbesetzt, 10,5 Prozent weniger als im Vorjahr, teilt die Bundesagentur für Arbeit NRW mit. Ihnen stehen 37.904 Personen gegenüber, die noch einen Platz suchen. Obwohl es mehr Stellen als Azubis gibt, suchen viele Jugendliche bisher vergeblich. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass erneut Tausende Lehrstellen unbesetzt bleiben.
Dabei suchen in diesem Jahr sogar mehr junge Menschen einen Ausbildungsplatz. Das liege vor allem an mehr Bewerberinnen und Bewerbern mit ausländischer Staatsangehörigkeit – knapp 14 Prozent mehr als im Jahr 2023. Darunter sind auch viele aus den Asylherkunftsländern und der Ukraine, sagte Roland Schüßler, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW.
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Auf 100 angebotene Stellen kommen landesweit 98 Bewerberinnen und Bewerber, es können also rein rechnerisch nicht alle Plätze besetzt werden. Im Ruhrgebiet ist es allerdings umgekehrt: Zwischen Duisburg und Dortmund kommen auf 100 gemeldete Stellen 112 Jugendliche. In Gelsenkirchen haben es Bewerberinnen und Bewerber am schwersten, hier konkurrieren 168 Jugendliche um 100 Plätze.
Ausbildung NRW: Darum finden Auszubildende und Betriebe nicht zueinander
Sowohl Ausbildungsplätze wie potenzielle Auszubildende sind trotz abgeflauter Konjunktur da, trotzdem scheinen sie nicht zueinander zu finden. Das Problem liege weniger darin, dass junge Menschen keinen Ausbildungsplatz finden, sondern dass es nicht der richtige sei, erklärt Anne Kuhlmann von der Handwerkskammer Düsseldorf (HWK).
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Zum einen fehle bei vielen Jugendlichen die frühzeitige berufliche Orientierung. Es bräuchte mehr Praktika in verschiedenen Betrieben, um sich auszutesten. Gleichzeitig haben Unternehmen häufig keine Personalabteilung, um Azubis gezielt anzuwerben. Drittens führe der Bewerbermarkt dazu, dass einige Betriebe in ihrer Not, Nachwuchs zu finden, weniger darauf achten, ob die jungen Menschen ausbildungsfähig sind und in das Unternehmen passen. Parallel dazu sinke bei Azubis die Hemmschwelle, die Lehre abzubrechen und in einen anderen Betrieb zu wechseln.
Bäckerei BorBäcker Siebers aus Essen passt Arbeitszeiten an
Das kennt auch Bernd Siebers. Noch vor wenigen Jahren habe die Bäckerei BorBäcker Siebers im Schnitt drei Auszubildende eingestellt, von denen nach der Ausbildung alle im Betrieb geblieben sind. Mittlerweile stelle er dreimal so viele ein, am Ende würden trotzdem nur drei bleiben. „Das ergibt sich von alleine“, beklagt er. „Wir müssen feststellen, dass sich einige junge Menschen, die bei uns sind, noch während der Probezeit verabschieden.“ Eine Rückmeldung, woran das liegt, bleibe häufig aus. „Am nächsten Tag kommen sie einfach nicht mehr.“
„Wir müssen feststellen, dass sich einige junge Menschen, die bei uns sind, noch während der Probezeit verabschieden.“
Um die Abbruchquote zu minimieren, habe der Betrieb einiges verändert. Da auch Siebers betont, dass es zwischen Betrieb und Azubi passen müsse, arbeiten alle künftigen Auszubildenden zunächst zur Probe. Die Bäckerei geht sogar an ihre unbeliebten Arbeitszeiten und lässt seine Azubis im Zweifel länger schlafen: Denn „nicht alle wollen frühmorgens anfangen.“ Mittlerweile werde der Teig am Vortag herstellt, über Nacht gekühlt und am Folgetag gebacken.
NRW: Das sind die beliebtesten Ausbildungsberufe
Es gehe auch darum, die Reputation von Handwerk aufzubessern. Mittlerweile fange in der Bäckerei Siebers der dritte Auszubildende an, der sein Studium abgebrochen hat, erzählt Bernd Siebers. „Junge Menschen unterschätzen, wie gut sie im Handwerk verdienen können. Es ist wichtig, Handwerk nicht schlecht zu reden. Nicht für jeden ist ein Studium geeignet.“ Auch Kuhlmann betont, die Karrierewege im Handwerk: „ein duales oder triales Studium, die Meisterqualifikation oder den Betriebswirt.“ Es gehe um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Qualifizierung.
Ringen um Auszubildende: Betriebe zahlen mehr
Die Vergütungen für Auszubildende steigen in diesem Jahr in vielen Tarifbranchen stärker als die Löhne, diesen Trend stellte eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung heraus. „Tarifbranchen, in denen weniger als 1000 Euro im Monat gezahlt wird, werden angesichts des bestehenden Fachkräftemangels immer weniger.“
Von 710 Euro monatlich im Friseurhandwerk von NRW im ersten Jahr bis zu 1650 Euro im westdeutschen Bauhauptgewerbe im vierten Jahr: Je nach Branche, Region und Ausbildungsjahr können die Unterschiede groß sein. In einigen Gewerben stieg die Vergütung um bis zu 20 Prozent.
Die meisten Stellen werden, wie im Vorjahr, im Bereich Kaufmann/-frau für Einzelhandel angeboten, gefolgt von der Ausbildung zur Verkäuferin oder Verkäufer und Kaufmann/-frau für Büromanagement. Der beliebteste Beruf bei Bewerberinnen und Bewerbern ist die Ausbildung zur Kauffrau bzw. Kaufmann für Büromanagement, gefolgt von der Ausbildung in der Kfz-Mechatronik, zur medizinischen Fachangestellten, zur Verkäufer oder Verkäuferin, im Einzelhandel und in der Fachinformatik.
Suche nach einem Ausbildungsplatz: Bundesagentur für Arbeit berät
Viele Ausbildungen starten zum 1. August oder 1. September. Ein späterer Beginn ist oft möglich. Wer noch einen Ausbildungsplatz sucht, könnte noch eine gute Chance haben, einen Platz in einem der rund 340 Ausbildungsberufe zu bekommen, sagt Ausbildungsmarktexperte Schüßler. Sein Tipp ist, „jetzt schnell Kontakt zur Berufsberatung der Agentur für Arbeit aufzunehmen.“ Diese unterstütze bei der Suche nach einer passenden Stelle. Beratungstermine gibt es auch kurzfristig online, telefonisch oder via E-Mail.
Die Handwerkskammer Düsseldorf habe das Projekt „Passgenaue Besetzung“ angesetzt, um „Jugendliche über Ausbildungsberufe zu informieren, mit ihnen gemeinsam zu überlegen, welches Berufsbild zu ihnen passt und ein Bewerberprofil zu erstellen, das an Betriebe weitergeleitet wird, die Lehrlinge suchen.“ Die HWK findet aufmunternde Worte: „Suchende können überall und in allen Berufen noch einen Ausbildungsplatz bekommen – wenn sie sich einbringen und engagieren. Die Ausbildungsberater der Kammern stehen bereit.“
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