Essen. Arbeiten im Hotel, am Pool oder in den Bergen: Immer mehr Firmen werben mit „Workation“ am Urlaubsort um kluge Köpfe. Zwei Beschäftigte erzählen.
Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, für eine kurze Zeit in das Leben eines Digitalnomaden eintauchen: Für viele Menschen ist das ein Traum, für Laura Caspers (42) und Martin Spielvogel (39) Realität. Caspers führt das Gespräch mit unserer Redaktion aus einem Haus auf einer kroatischen Insel vor Zadar mit Blick auf das Meer, Spielvogel hat vergangenes Jahr den einwöchigen Familienurlaub in Spanien verdoppelt. Das Ganze hat einen Namen: Workation. Die Idee ist simpel: Arbeit und Urlaub miteinander verbinden. Wie steht es um mobiles Arbeiten aus dem Ausland bei Unternehmen in NRW? Unsere Redaktion hat bei den Firmen nachgefragt.
Um halb sechs steht Laura Caspers auf. Bei einer Tasse Kaffee genießt sie den Sonnenaufgang auf der Terrasse mit Blick auf das Meer. Zusammen mit Freunden wohnt sie in dem Ferienhaus eines Verwandten auf einer kroatischen Insel. An einem abgelegenen Strandabschnitt gehen sie schwimmen, trocknen in der Morgensonne. Gestärkt von einem Frühstück, fährt die Pressesprecherin von dem Telekommunikationsunternehmen Vodafone um kurz nach acht Uhr ihren Laptop hoch. Danach folgen Online-Meetings, Telefonate und das Verfassen von Texten – keine große Veränderung zu ihrem normalen Arbeitsalltag. Ihren Feierabend verbringt sie am Strand, grillt auf der Terrasse. Für sie fühle es sich an, als sei ihr Urlaub um eine Woche verlängert worden.
Flexibilität in der Arbeitswelt: So hat es sich entwickelt
Nach einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) haben im Jahr 2023 rund 15 Prozent der deutschen Unternehmen die Möglichkeit einer Workation, mobiles Arbeiten im Ausland, angeboten. Dazu zählen auch Entsendungen und Dienstreisen. Es handele sich häufiger um größere Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Grund: mehr Ressourcen, Infrastruktur und Flexibilität.
Auch in NRW eröffnen, verstärkt seit 2023, zunehmend Unternehmen ihren Beschäftigten die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz nicht nur vom Büro nach Hause, sondern gleich an ihren Urlaubsort zu verlegen und den „Urlaub damit quasi zu verlängern“, teilt das Touristikunternehmen Schauinsland Reisen aus Duisburg mit. Neben dem Reiseunternehmen sind das mitunter die Apotheker- und Ärztebank Apo Bank, Arag Versicherung, der Energieriese Eon, das IT-Unternehmen G Data CyberDefense, die Industrieunternehmen Henkel und Thyssenkrupp, Urlaubsguru und Vodafone.
„Die Corona-Pandemie hat die weitreichende digitale Transformation der Arbeitswelt bekanntermaßen beschleunigt“, teilt Thyssenkrupp mit Sitz in Essen auf Anfrage mit. Seither hat sich in vielen Firmen in NRW Homeoffice als Standard etabliert, wie eine Bertelsmann-Studie ergab. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach weitergehenden, flexiblen Arbeitsmodellen stark gestiegen.
Firmen reagieren auf den Fachkräftemangel
In Zeiten des Fachkräftemangels reagieren Unternehmen mit ortsunabhängigen Modellen auf den Arbeitnehmermarkt: Firmen ringen um kluge Köpfe, es gilt, die Attraktivität von Firmen zu erhöhen und sich als „modernen Arbeitgeber“ zu präsentieren, wie es die Arag Versicherung aus Düsseldorf formuliert. Gleichzeitig gibt es einen Generationswechsel. Statt des Firmenwagens wünschen sich besonders jüngere Menschen mehr Work-Life-Balance.
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Unternehmen werben daher zunehmend mit flexiblen Modellen. Und zwar nicht nur über die Webseite, sondern auch aus erster Hand im Bewerbungsgespräch. Bei diesen zeigt Martin Spielvogel, der bei Henkel, Unternehmen für Konsumgüter- und Klebstoffindustrie, für die Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zuständig ist, ganz bewusst, wo er sich befindet: Die Kamera fängt den blauen Himmel am Pool oder am Meer im spanischen Chiclana de la Frontera ein. Das spricht für sich, die Botschaft ist klar: Er lebt vor, dass Bewerberinnen und Bewerber, aber auch bereits Beschäftigte, bei Henkel ihren Urlaub mit der Familie, Freunden oder alleine verlängern können.
Als Martin Spielvogel seine Erfahrungen auf Linkedin teilte, war der Zuspruch groß. Der Post erreichte fast 130.000 Menschen, darauf folgten sogar inoffizielle Bewerbungen bei Henkel.
Arbeiten am Urlaubsort: Das sind die Vorteile
Die befragten Firmen sehen klare Vorteile: Das flexible Arbeiten steigere die Motivation und Zufriedenheit. Beschäftigte, die Familie im Ausland haben, könnten diese häufiger und länger sehen. In der Konsequenz erhöhe das auch die Produktivität und stärke die Bindung an das Unternehmen. „Es profitieren aus unserer Sicht also sowohl die Mitarbeitenden als auch das Unternehmen“, sagt eine Eon-Sprecherin.
„Es profitieren aus unserer Sicht also sowohl die Mitarbeitenden als auch das Unternehmen.“
Das bestätigt auch Laura Caspers, die das sogenannte Full Flex Modell von Vodafone bereits zum zweiten Mal nutzt. Für sie bedeute es Freiheit, 20 Tage Workation in Anspruch nehmen zu können. Sie merke auch einen Kreativitätsschub, könne einen frischen Blick auf Probleme werfen und mit kreativen Ideen, Lösungen finden. Für sie sei das Vorurteil, „Leute arbeiten nicht“, unbegründet. Durch den Vertrauensvorschuss und die Freiheit fühle sie sich zu ihrem Arbeitgeber verbunden.
Unternehmen sehen auch Nachteile in flexiblen Arbeitsmodellen
Doch es gibt auch Nachteile: „Wir beobachten eine stärkere Vermischung von Arbeit und Privatleben, die zu mehr Überstunden führen kann“, teilt das IT-Sicherheitsunternehmen G Data mit Hauptsitz in Bochum auf Anfrage mit. Ein weiteres Problem sei, dass die Büroräume teilweise ungenutzt bleiben und das soziale Miteinander darunter leide. Was an Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen zwischen Telefonaten und Konferenzen passiere, falle weg, sagt auch Caspers.
Ein Manko: Nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren von den Regelungen. Wer am Band arbeitet, kann dies nicht an den Strand verlagern. Das Angebot richtet sich daher nur an eine begrenzte Zahl von Beschäftigten, deren Anwesenheit vor Ort, wie beim mobilen Arbeiten insgesamt, nicht zwingend notwendig ist.
Arbeiten im Urlaub: Was gilt es zu beachten?
Lohnsteuer, Sozialleistungen, Versicherungen, Visum, Arbeitsrecht und Datenschutz: Die Arbeit im Ausland birgt eine gewisse Komplexität. Durch die Firmen-Umfrage wird deutlich, dass Workation keineswegs unkontrolliert stattfindet, sondern es, abhängig von Dauer und Zielland, klare Richtlinien und Verfahren gibt. Es gilt, arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Risiken zu beachten, heißt es bei dem IW Köln. Der damit verbundene administrative Aufwand sei nicht zu unterschätzen, sagt eine Sprecherin von Urlaubsguru.
Jeder Antrag auf Workation werde daher individuell geprüft. Firmen wie Thyssenkrupp lassen sich daher durch ein Online-Beratungstool unterstützen. Vorab habe Martin Spielvogel das Team informiert, betont aber: „Auch ich war überrascht, wie unkompliziert es ist und wie gut es sich aus der Perspektive mentaler Gesundheit angefühlt hat, den Kopf freizubekommen und mehr Zeit mit der Familie am Urlaubsort verbringen zu können.“
Ob Spanien, Italien oder Polen: Um mobiles Arbeiten im Ausland zu ermöglichen, sei es entscheidend, „dass es sich um eine zeitlich begrenzte mobile betriebliche Tätigkeit im Ausland handelt und der Aufenthalt aus privaten Gründen stattfindet“, sagt der Pressesprecher Christian Danner von Arag. Insbesondere die Dauer der Workation spielt dafür eine Rolle. Generell gilt: Je länger die Workation geht, desto schwieriger wird es. Voraussetzung sei ebenfalls ein guter Internetzugang und ein ruhiger Ort zum Arbeiten. „Wir waren in einem All-inclusive-Hotel und haben nicht Backpacking in Kolumbien gemacht“, untermalt Martin Spielvogel die unterschiedlichen Bedingungen.
Workation in NRW: Wie lange und wo können Beschäftigte im Urlaub arbeiten?
Die Umfrage zeigt, dass mobiles Arbeiten im Ausland zeitlich begrenzt ist. Wie sehr, ist zwischen den Unternehmen unterschiedlich: zehn Tage im Jahr bei dem Duisburger Reiseveranstalter Schauinsland-Reisen, ApoBank und Arag, 20 Tage bei Vodafone, Thyssenkrupp und Eon, 30 Tage bei Henkel, bis zu 60 Tage bei Urlaubsguru.
Bei den meisten Firmen ist das Zielland beschränkt auf den Europäischen Wirtschaftsraum, teilweise sind darüber hinaus auch das Vereinigte Königreich, die Schweiz und die Türkei als Zielländer möglich. Grundlegend gilt: Workations außerhalb der EU gehen mit komplizierteren Vorschriften und Regeln einher. Martin Spielvogel plant im kommenden Jahr mit seiner Familie nach Kolumbien zu reisen – und das mit Workation zu verbinden. Für sie sei das eine Chance, einen Teil der Familie länger zu sehen, denn seine Frau habe dort Wurzeln. Dafür nehme der 39-Jährige auch in Kauf, aufgrund der Zeitverschiebung in der Nacht zu arbeiten.
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