Essen. Die Betriebskrankenkassen haben neue Zahlen zu Krankschreibungen. In welcher Stadt Beschäftigte am häufigsten fehlten und warum.
Sie kommen jeden Tag: Ältere, die nach Jahren schwerer körperlicher Arbeit unter Schmerzen leiden. Aber auch Berufsanfänger, denen vom langem Sitzen an ihrem Schreibtisch der Rücken und Nacken zwickt. „Wir sehen das tagtäglich in der Praxis“, sagt Christoph Johann, der seit fünf Jahren in einer Recklinghäuser Hausarztpraxis arbeitet. „Rücken- und Nackenprobleme dominieren bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen absolut.“ Die Risiken des Sitzens würden immer noch unterschätzt, so der Allgemeinmediziner. „Da geht es nicht nur um die Schreibtischarbeit. Auch wer anderthalb Stunden mit dem Auto zur Arbeit pendelt, und nicht zwischendurch Pausen macht, tut seinem Rücken nichts Gutes.“
Muskel-Skelett-Erkrankungen sind in NRW der häufigste Grund, warum Beschäftigte 2023 in ihrem Job ausgefallen sind. Das geht aus neusten Zahlen des BKK-Landesverbands Nordwest hervor, die am Mittwoch veröffentlicht werden und vorab dieser Redaktion vorlagen. Danach sind Beschäftigte in NRW 2023 so oft arbeitsunfähig geschrieben worden wie lange nicht: Im Schnitt mehr als 24 AU-Tage kommen auf jeden Versicherten, der Krankenstand lag bei mehr als sechs Prozent. Das sind laut Landesverband die höchsten Werte seit mehr als einem Jahrzehnt.
Laut Kassen stehen erstmals wieder die Muskel- und Skeletterkrankungen an erster Stelle - knapp fünf Tage lang waren Beschäftigte 2023 krankgeschrieben, weil ihnen etwa der Rücken oder der Nacken wehtat. Fachleute vermuten dahinter auch eine Folge der Heimarbeit. Im Büro müssen Arbeitsplätze ergonomisch eingerichtet sein - wie das zu Hause läuft, wird bei mobiler Arbeit nicht kontrolliert. In den Pandemiejahren 2022 und 2021 führt die Atemwegserkrankungen die Liste an. Sie rutschten nun auf Rang zwei (4,7 AU-Tage), gefolgt von psychischen Erkrankungen (4,3).
An der Spitze des aktuellen landesweiten Rankings stehen Ruhrgebietsstädte: Hagen kommt auf knapp 32 AU-Tage je Versicherten, gefolgt von Herne mit über 31 Tagen und Gelsenkirchen mit knapp 30 AU-Tagen - in diesen Städten fehlten Beschäftigte also im Schnitt einen Monat lang. Demgegenüber steht Düsseldorf mit etwas mehr als 18 AU-Tagen.
„Jede halbe Stunde aufstehen, sich strecken und herumlaufen, das kann schon helfen.“
Der Landesverband nennt verschiedene Gründe für die vielen AU-Tage im Ruhrgebiet. Die Versicherten im Ruhrgebiet seien älter als im Landes- und Bundesdurchschnitt. Muskel- und Skelett-Erkrankungen gingen oftmals auf Verschleißerscheinungen zurück. In Düsseldorf hingegen wohnten die jüngsten Versicherten mit einem Job.
Auch Umweltfaktoren könnten eine Rolle spielen, also die Frage, wo man sich erholen kann und wie man medizinisch versorgt werde. Ganz generell hat sich auch die Art des Arbeitens verändert: Der Alltag ist dichter gedrängt und die Digitalisierung bringt mehr Tempo in Veränderungen. Auch das könne eine Rolle bei den vielen Krankheitstagen spielen, heißt es vom BKK-Landesverband, der für drei Millionen Versicherte in NRW und Norddeutschland spricht. Zum Landesverband gehören 14 Betriebskrankenkassen.
Der Hausarzt Christoph Johann aus Recklinghausen mahnt zu mehr Bewegung, um Rückenschmerzen vorzubeugen: „Jede halbe Stunde aufstehen, sich strecken und herumlaufen, das kann schon helfen.“