Essen. Mitten in der Krise deutlich mehr Geld für die Aufsichtsräte von Thyssenkrupp: Das steckt hinter der umstrittenen Entscheidung.
Im jüngsten Geschäftsbericht ist akribisch aufgelistet, wie viel Geld die Aufsichtsratsmitglieder von Thyssenkrupp erhalten. Glatte 200.000 Euro plus 17.000 Euro „Sitzungsgeld“ sind es beispielsweise für Siegfried Russwurm. Der langjährige Siemens-Manager mischt nicht nur als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) auf politischer Ebene mit, sondern führt auch als Vorsitzender den Aufsichtsrat des Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns. Auch Ursula Gather, die Chefin der Thyssenkrupp-Großaktionärin Krupp-Stiftung, ist im Aufsichtsrat vertreten. Ihr fließen laut Geschäftsbericht jährlich 81.500 Euro zu. Beim früheren RWE-Finanzchef Bernhard Günther sind es – inklusive „Sitzungsgeld“ – aufgrund seiner Tätigkeit in zahlreichen Aufsichtsratsausschüssen von Thyssenkrupp 125.000 Euro.
Künftig sollen die Thyssenkrupp-Kontrolleure deutlich mehr Geld erhalten als bisher. Wie aus der Einladung zur Hauptversammlung hervorgeht, ist eine Anhebung der Bezüge um 40 Prozent geplant. So soll die Festvergütung für die Mitglieder des Aufsichtsrats künftig 70.000 Euro pro Jahr betragen. Bislang waren es 50.000 Euro. Hinzu kommt Geld für Tätigkeiten in Ausschüssen des Thyssenkrupp-Gremiums. Das „Sitzungsgeld“ für Aufsichtsratsmitglieder verdoppelt sich voraussichtlich – und zwar auf 1000 Euro pro Person und Treffen. Die Voraussetzung ist, dass es bei der Hauptversammlung am 2. Februar in Bochum grünes Licht gibt.
„Es ist in dieser Zeit nicht vermittelbar“
Die geplante Anhebung der Bezüge werde vom Vorstand und vom Aufsichtsrat des Konzerns vorgeschlagen, heißt es in der Einladung zur Hauptversammlung. Dem Vernehmen nach haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat allerdings ihre Zustimmung verweigert. In dem Gremium, das hinter verschlossenen Türen tagt, sei die Erhöhung der Vergütung lediglich mit den Stimmen der Anteilseigner-Vertreter beschlossen worden.
Arbeitnehmervertreter berichten, sie hätten angesichts des strikten Sparkurses, den Konzernchef Miguel López ausgerufen hat, von dieser Erhöhung „abgeraten und dagegen argumentiert“. „Es ist in dieser Zeit nicht vermittelbar, dass man auf der einen Seite mit einem Performance-Programm, das auf Effektivität und Wachstum zielt, versucht zu sparen – und auf der anderen Seite den Aufsichtsratsmitgliedern eine Erhöhung zugesteht“, erklären Arbeitnehmervertreter.
Einen Großteil der Vergütung reichen die Aufsichtsratsmitglieder der IG Metall eigenen Angaben zufolge an die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung weiter. Von 90 Prozent ist die Rede. Die Stiftung finanziert unter anderem Stipendien und Forschungsprojekte.
Konzernchef López hat strikten Sparkurs ausgerufen
Die Erhöhung der Aufsichtsratsbezüge ist brisant, denn Thyssenkrupp befindet sich in einer schwierigen Lage. Bei seiner ersten Jahresbilanz hat der neue Vorstandschef Miguel López vor wenigen Wochen einen Verlust in Höhe von zwei Milliarden Euro präsentiert. Der Manager verordnet dem Konzern mit rund 100.000 Beschäftigten einen strikten Sparkurs. „Jahrzehntelang sind viele unserer Geschäfte nicht verlustfrei gefahren“, sagte López erst vor wenigen Tagen im Interview mit unserer Redaktion. „Der Moment, ,Stopp!‘ zu sagen, musste kommen, und ist jetzt da. Alles andere wäre unverantwortlich.“
Warum dann eine Erhöhung der Aufsichtsratsbezüge? Das Thyssenkrupp-Management verweist darauf, die Vergütung für die Mitglieder des Aufsichtsrats sei seit dem Geschäftsjahr 2013/14 und damit seit zehn Jahren unverändert. Und die geplante Vergütung orientiere sich am Niveau bei vergleichbaren Unternehmen.
Bei Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm soll die Festvergütung zwar stabil bleiben, aber die bisherige Regelung, wonach mit den 200.000 Euro für den Vorsitzenden des Kontrollgremiums „auch jegliche Tätigkeit in Ausschüssen abgegolten ist, soll aufgehoben werden“. Die Folge: Russwurm bekäme künftig 270.000 Euro im Jahr – also 35 Prozent mehr. Hinzu käme auch hier noch das „Sitzungsgeld“, das sich derzeit noch nicht exakt für das laufende Geschäftsjahr beziffern lässt.
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür
Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sagt, die geplante Erhöhung der Aufsichtsratsbezüge komme „zur Unzeit“. „Während der Konzern sparen muss, schlägt der Aufsichtsrat die Erhöhung seiner eigenen Vergütung vor.“ Das sei unpassend. „Das vorgeschlagene neue Vergütungsniveau ist durchaus nachvollziehbar. Aber das Timing ist schlecht“, merkt Tüngler an.
Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp gegen Erhöhung
Tüngler wirft auch die Frage auf, warum die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat diese Entscheidung nicht „mit aller Macht verhindert“ hätten. Wenn die Arbeitnehmer im Kontrollgremium allesamt gegen die geplante Erhöhung der Bezüge votiert hätten, wäre der Aufsichtsratsvorsitzende Russwurm gezwungen gewesen, seine Doppelstimme einzusetzen, um die Pläne durchzusetzen. Doch dies ist dem Vernehmen nach nicht erforderlich gewesen, da sich – wohl aus taktischen Gründen – nicht alle Arbeitnehmervertreter an der Abstimmung beteiligt haben. So blieb es beim Protest der Mitarbeitervertreter im Aufsichtsrat.
In Kreisen der IG Metall wird betont, es liege vor allem in den Händen der Thyssenkrupp-Eigentümer, die Höhe der Vergütung des Aufsichtsrats zu bestimmen: „Letzten Endes entscheidet die Hauptversammlung – also die Aktionäre als Anteilseigner des Konzerns – über diesen Vorschlag“, so die Arbeitnehmervertreter.