Berlin. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt EU-weit. Doch das deutsche Gesetz hängt im Kabinett fest. Wie Arbeitnehmer damit umgehen.
Deutschland will die Arbeitszeiterfassung gesetzlich regeln. Schon im Frühjahr hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Entwurf vorgelegt. Seitdem hängt das Gesetz fest. Vor allem dem Koalitionspartner FDP gehen die Vorgaben aus dem Haus des Arbeitsministers zu weit. „In seiner jetzigen Ausgestaltung findet der Entwurf im Kabinett keine Mehrheit“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Pascal Kober, dieser Redaktion.
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Dabei müsste die Bundesregierung eigentlich ein Interesse daran haben, klare Verhältnisse zu schaffen. Schon im vergangenen September hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden, dass eine generelle Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit besteht. Die Richter in der thüringischen Hauptstadt bezogen sich in ihrer Entscheidung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Das stammt bereits aus dem Jahr 2019 – und es ist bindend.
Arbeitszeiterfassung: Bundesregierung hat keine Eile bei dem Gesetz
Alle EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, den Richterspruch umzusetzen. Details müssen aber die jeweiligen Regierungen regeln. Das Bundesarbeitsministerium nennt auf Anfrage keinen Zeitplan für das Gesetz. Heils Vorschlag aus dem April befinde sich im „regierungsinternen Abstimmungsprozess“. Eile, das richterliche Urteil in einen praxisnahen rechtlichen Rahmen zu gießen, hat man jedoch nicht. „Eine Frist für die gesetzliche Ausgestaltung der Aufzeichnungspflicht gibt es nicht“, sagte eine Sprecherin des Ministers.
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Ohnehin scheint eine gemeinschaftliche Einigung innerhalb der Regierungskoalition dazu in weite Ferne gerückt. FDP-Politiker Pascal Kober fordert vor allem Flexibilität. Abweichungen bei der täglichen Höchstarbeitszeit sollen möglich sein, damit sich Beschäftigte ihre Arbeitsstunden innerhalb der Woche flexibler und selbstbestimmt einteilen können. In der Angelegenheit sei man sich auch koalitionsintern einig gewesen. „Leider enthielt der Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium dieses vereinbarte Vorhaben nicht“, sagte Kober.
Acht von zehn Beschäftigten in Deutschland erfassen bereits ihre Arbeitszeit
Im Vorschlag von Minister Heil enthaltene Regelungen hätten aus FDP-Sicht darüber hinaus auch Vertrauensarbeitszeit verhindert, auch eine verpflichtende elektronische Erfassung lehnen die Liberalen ab. „Wir wollen nicht, dass Beschäftigte künftig zu gläsernen Mitarbeitern werden und der Arbeitgeber über ihre Arbeits- und Pausenzeiten wacht. Das passt einfach nicht zur modernen Arbeitswelt“, erklärte Kober, der auch auf die Haltung der Europäischen Kommission in der Sachen hinweist: „In einem Bericht zur Umsetzung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie aus dem März 2023 wird Deutschland nicht unter den Ländern genannt, die hier nachbessern müssen“, so der FDP-Mann.
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Laut Daten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ist die Erfassung der Arbeitszeit insgesamt auch ohne gesetzliche Detailregelung weit verbreitet in deutschen Unternehmen. Demnach wird bei acht von zehn Beschäftigten die Arbeitszeit betrieblich (47 Prozent) oder durch die Beschäftigten selbst (32 Prozent) erfasst.
DGB empfiehlt, bei der Arbeitszeiterfassung nicht auf den Gesetzgeber zu warten
Arbeitsministerium und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) halten es auch ohne Gesetz bereits für verpflichtend, die Arbeitszeit zu erfassen. Arbeitgeber sollten deshalb jetzt mit Betriebsräten ins Gespräch darüber kommen – anstatt auf den Gesetzgeber zu warten. Die Spielregeln seien ohnehin „klar gesteckt“, hieß es vom DGB. „Um festzustellen, ob Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, also geltender Arbeitsschutz, eingehalten werden, muss man Beginn und Ende der Arbeitszeit erfassen. Ein entsprechendes Arbeitszeiterfassungssystem muss objektiv, verlässlich und zugänglich sein“, teilte eine Sprecherin mit.
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Deutlich gegen eine gesetzliche Einmischung hat sich hingegen der Arbeitgeberverband Gesamtmetall positioniert, der für 26.000 Betriebe mit rund 3,9 Millionen Beschäftigten spricht. „Der bisherige Entwurf des Arbeitsministeriums zur Arbeitszeitaufzeichnung ist ein Gruselkatalog an Bürokratie, Widersprüchlichkeiten und Fortschrittsverweigerung“, sagte Gesamtmetall-Sprecher Martin Leutz dieser Redaktion. Er warf dem Arbeitsministerium vor, die Vertrauensarbeitszeit abschaffen zu wollen, obwohl der Koalitionsvertrag genau das Gegenteil vorsehen würde. „Diese Ansammlung von Maximalpositionen deutet darauf hin, dass das Arbeitsministerium keine schnelle, pragmatische und für die heutige Arbeitswelt angemessene Regelung will“, sagte Leutz weiter.
Beschäftigte machten 2022 viele Überstunden, aber Arbeitgeber sind gegen das Gesetz
Eile in der Sache sieht Gesamtmetall deshalb auch nicht. „Niemand auf der Welt wartet auf ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung – mit Ausnahme von Unternehmensberatungen und Rechtsanwaltskanzleien, die hier gute Geschäfte wittern“, so Leutz. Da, wo es notwendig sei, würde die Arbeitszeit schon jetzt erfasst und aufgezeichnet. Da die Gegebenheiten von Branchen, Unternehmen und die Wünsche der Beschäftigten sowie deren tatsächliche Schutzbedürftigkeit sehr unterschiedlich seien, würden sich weitere Regelungen verbieten, befand Gesamtmetall. „Ein höherer Autonomiegrad bei der Arbeitszeit muss einhergehen mit einer größeren Eigenverantwortung der Arbeitnehmer für ihre Arbeitszeit und auch deren Erfassung“, sagte Verbandssprecher Leutz.
Zahlen der Bundesregierung legen allerdings durchaus Handlungsbedarf nahe: Allein im vergangenen Jahren haben Beschäftigte hierzulande rund 1,3 Milliarden Überstunden geleistet. Das ging aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor. Die Zahl der Überstunden entsprechen etwa 809.000 Vollzeitstellen. Umgerechnet leistete jeder Arbeitnehmer 2022 gut 31 Überstunden.