Berlin. Fachkräfte fehlen überall, gleichzeitig ist bei vielen die Rente knapp. Die Lösung: Trotz Ruhestand arbeiten. Woran das scheitern kann.
Die Menschen in Deutschland sollen länger arbeiten, um den Arbeitskräftemangel abzumildern. Auch wenn man schon Rentner ist, soll nebenher möglichst noch ein Job erledigt werden. So will es die Bundesregierung und hat dafür auch die Grenze für den Zuverdienst zur Rente aufgehoben. Doch nicht für alle, wie Ellen Borstelmann erfahren musste. Die Hamburger Rentnerin braucht ein zusätzliches Einkommen, weil ihre eigene Rente zusammen mit ihrer Witwenrente nicht ausreicht. 520 Euro wollte sie dazuverdienen. Dann kam das böse Erwachen. Denn für die Witwenrente ist die Zuverdienstgrenze nicht aufgehoben worden. Sie wird auf das Arbeitseinkommen angerechnet. „Da bleiben nur 260 Euro übrig“, sagt sie. Und findet das diskriminierend. „Ich will doch nur das Geld, für das ich arbeite“, kritisiert sie die Regel.
Auch geärgert hat sich ein arbeitsloser Mathematiker auf Jobsuche: Erst nach etlichen erfolglosen Bewerbungen bei Berliner Behörden hatte er kürzlich Erfolg. Obwohl eher überqualifiziert und die Ämter chronisch unterbesetzt, dauerte seine Jobsuche lange. Er vermutet, dass sein Alter von über 60 Jahren Personalverantwortliche abschreckte. Beweisen lässt sich das nicht.
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Rente: Kommunen bestreiten eine Benachteiligung der Älteren
Doch immer wieder berichten Arbeitnehmer, dass sie aufgrund ihres Alters nicht mehr genommen werden. Die Kommunen bestreiten eine Benachteiligung der Älteren. „Insbesondere in den handwerklich-technischen Berufen stellen die Kommunen auch erfahrene Arbeitnehmer ein, um den Bedarf zu decken“, versichert der Städte- und Gemeindebund und fordert mehr Anreize für potenzielle Bewerber. „Man sollte über Anpassungen im Renten- und Steuerrecht nachdenken“, regt der Verband an.
Selten ist Diskriminierung nicht. Von den fast 9000 Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im vergangenen Jahr befasste sich jede zehnte mit einer Benachteiligung aufgrund des Alters. Auf eine Diskriminierung am Arbeitsmarkt entfiel der größte Teil der Beschwerden. Dabei verstößt dies gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Eine Studie der Behörde vom vergangenen Winter belegt weit verbreitete negative Urteile gegen Ältere. Mehr als die Hälfte der Befragten sagten, dass ältere Menschen nichts Entscheidendes mehr zum gesellschaftlichen Fortschritt beitrügen. Jeder Zweite sprach sich für eine Regel aus, die über 70-Jährigen politische Ämter verbietet. „Klischees und Stereotype über ältere Menschen sind fest verwurzelt“, warnt die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman.
Rente: So will die Antidiskriminierungsbeauftragte Ältere schützen
Mit einer Reform des Gesetzes will Ataman bestehenden Lücken im Schutz von ungerechtfertigte Benachteiligungen schließen. „Die Möglichkeit, Mindest- oder Höchstanforderungen an das Alter von Beschäftigten zu stellen, sollte gestrichen werden“, heißt es in Atamans Reformvorschlag. Schon jetzt sind manche Einschränkungen, die einzelne Altersgruppen ausschließen, in Stellenanzeigen verboten, zum Beispiel die gezielte Suche nach Beschäftigten zwischen 25 und 35 Jahren.
In den vergangenen Jahrzehnten hatten Betriebe auch gezielt ältere Beschäftigte ausgemustert. Sie waren nach langer Betriebszugehörigkeit auch die teuersten Mitarbeiter. Mit Regelungen zum vorzeitigen Ruhestand wurde den Betroffenen der Ausstieg schmackhaft gemacht. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, weil überall Arbeitskräfte fehlen, viele Ältere noch fit genug sind und wohl auch, weil zumindest ein paar Euro zusätzlich zur Rente für ein auskömmliches Leben wichtiger geworden sind.
Beschäftigungslage älterer Arbeitnehmer verändert sich erheblich
Und doch verändert sich nach Beobachtung des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Beschäftigungslage älterer Arbeitnehmer erheblich. „Im Jahr 2000 waren 10 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, heute sind es 50 Prozent“, erläutert IAB-Forscher Enzo Weber. Die Jobchancen von über 55-Jährigen lägen zwar deutlich unter denen von jüngeren Arbeitslosen, hätten aber stark zugenommen. „Betriebe versuchen öfter, rentenberechtigte Mitarbeiter noch zu halten“, sagt der Experte.
Aber es gibt auch noch andere Hindernisse bei den Beschäftigung von Rentnern, wie nicht nur das Beispiel der Hamburgerin zeigt. Aktuell gilt bei Neueinstellungen von Rentnern, dass sie unbefristet oder sachgrundlos maximal zwei Jahre lang angestellt werden müssen.
Weber fordert daher weitere Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung. Eine weitere Bremse bei der Beschäftigung Älterer sieht das IAB in den Regel für Bürgergeldempfänger. Sie müssen sogar in Rente gehen, sobald sie 35 Versicherungsjahre erreicht haben. „Der Renteneintritt schadet den Betroffen und der Wirtschaft“, stellt Weber fest. Denn diese Gruppe fällt damit aus der Vermittlung der Arbeitsagentur heraus und steht dem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr zur Verfügung. Grund für die frühe Verrentung sind die Regelungen beim Bürgergeld. Es wird nur gewährt, wenn Betroffene keine andere Möglichkeit zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten haben. Da sie Rente beziehen können, geht diese Finanzierung vor.
Dabei ist der Wille zu einem längeren Erwerbsleben in der älteren Generation durchaus weit verbreitet, zumindest in den weniger belasteten Berufen. Jeder fünfte Akademiker kann sich eine Vollzeitarbeit im Rentenalter vorstellen. Bei Beschäftigten ohne Hochschulabschluss ist es nur jeder achte. Das zeigt eine Studie der Königsteiner Gruppe. Befragt wurden über 50-Jährige nach ihre Plänen für das Alter. 43 Prozent gaben an, dass sie als Teilzeitkraft weiter machen wollen. 41 Prozent strebt einen Minijob als Ergänzung zur Rente an. Eine Vollzeitarbeit können sich 17 Prozent vorstellen. Mehrfachnennungen waren in der Befragung möglich. Auch ehrenamtliche Tätigkeiten stehen hoch im Kurs. Der Trend weist den Weg zu einem längeren Arbeitsleben auch ohne einer Anhebung der Regelaltersgrenze.
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