Essen. Verdi ruft vor dem Fest zu Warnstreiks im NRW-Einzelhandel auf. Arbeitgeber wollen Pilotabschluss in Hamburg. Wo gestreikt wird.

Von wegen Weihnachtsfrieden: Während sogar die kampferprobten Lokführer über die Feiertage und den Jahreswechsel eine Arbeitskampfpause einlegen, gehen die Warnstreiks im NRW-Einzelhandel an den letzten Einkaufstagen vor dem Fest weiter. Die Gewerkschaft Verdi hat bis einschließlich Samstag zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen, zum Beispiel bei der Supermarktkette Kaufland, dem schwedischen Modehändler H&M und an den hiesigen Standorten des Versandriesen Amazon. Wer also auf den letzten Drücker noch Zutaten für das Weihnachtsmenü oder Geschenke besorgen will, könnte hie und da Pech haben.

Grund ist der seit sieben Monaten laufende und inzwischen völlig verfahrene Tarifstreit zwischen Verdi und den Handelsverbänden. In laut Handelsverband Deutschland (HDE) „mehr als 60“ regionalen Tarifrunden hat es bisher keine Einigung gegeben, auch in der Spitzenrunde auf Bundesebene Ende November gab es keine Annäherung. Während die Arbeitgeber nun Verdi aufgefordert haben, am 28. Dezember in Hamburg über einen Pilotabschluss zu verhandeln, spricht die Gewerkschaft von „Erpressung“ und beschuldigt ihrerseits den Handel, sich weiteren Verhandlungen auf regionaler Ebene zu verweigern. Man habe die Arbeitgeber erst in dieser Woche zur Fortsetzung der Gespräche aufgefordert, erklärte Verdi in NRW. Doch die fokussieren sich auf Hamburg.

Verdi spricht von „Erpressung“ der Arbeitgeber

Verdi-Chef Werneke sprach von einem „einseitigen Tarifdiktat“. Die Beschäftigten hätten daher keine andere Wahl als weiter Druck zu machen, erklärte Silke Zimmer, die im Bundesvorstand für den Handel zuständig ist und als frühere Landesvorsitzende ein letztes Mal in NRW selbst die Verhandlungen führt. „Dazu gehören auch die umsatzstarken Tage kurz vor Weihnachten“, betonte Zimmer, „deshalb rufen wir zu bundesweiten Arbeitsniederlegungen auch vor den Weihnachtstagen auf.“ Im Einzelhandel sind bundesweit 3,1 Millionen Menschen beschäftigt, davon 700.000 in NRW.

Auch im Groß- und Außenhandel sieht es kaum besser aus, er beschäftigt in NRW rund 300.000 Menschen. Die Streiks in den Lagern etwa der großen Supermarktketten und der Discounter sorgen seit Monaten dafür, dass in den Regalen Lücken klaffen und einige Artikel zwischenzeitlich nicht verfügbar sind. Anfang Dezember scheiterte auch hier die bereits achte Verhandlungsrunde.

Warnstreiks mit Schwerpunkt in Dortmund

Im Einzelhandel ruft Verdi in NRW bis einschließlich Samstag die Beschäftigten vieler Einzelhändler zu Warnstreiks auf. „Wir werden in dieser Woche mit mehreren tausend Streikenden im Einzelhandel in ganz NRW die Vorweihnachtszeit zur Streikzeit machen“, kündigte Henrike Eickholt an, die Fachbereichsleiterin für den Handel in NRW.

Zu den größeren Veranstaltungen gehört ein am Freitag in Dortmund geplanter Demonstrationszug ab 11 Uhr von den H&M-Beschäftigten am Westenhellweg. Streiken sollen auch die Beschäftigten der Amazon-Standorte in Werne und Dortmund. Darüber hinaus werden auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzelner Händler zum Ausstand aufgerufen, etwa von Kaufland- und weiteren H&M-Filialen in Bochum, Recklinghausen und Dortmund, wie Verdi auf Nachfrage unserer Redaktion ergänzte.

Die Arbeitgeber betonten dagegen, der Termin am 28. Dezember in Hamburg sei die „letzte Möglichkeit für eine Einigung noch in diesem Jahr“. Zugleich droht HDE-Tarifgeschäftsführer Steven Haarke: „Im nächsten Jahr wird es ungleich schwerer, eine Einigung zu erreichen.“ Ihr Ultimatum begründen die Arbeitgeber auch damit, dass Verdi für seinen harten Kurs die Unterstützung der Beschäftigten allmählich verliere.

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Dass das aktuelle Angebot, das nur noch bis zum 31. Dezember gelte, für einen Abschluss tauge, werde „zunehmend aus den Belegschaften und selbst von Mitgliedern der Verdi-Verhandlungskommissionen bestätigt“, stichelt Haarke. „Die Beschäftigten nehmen wahr, dass einige Unternehmen eigene Lösungen suchen werden, 2023 tarifpolitisch ungelöst bleiben könnte und bei der sinkenden Inflation das bisherige Angebot in dieser Form nicht mehr zur Disposition steht.“

Verdi-Forderung und Arbeitgeberangebot liegen noch weit auseinander

Das laut HDE im November nachgebesserte Angebot sieht eine Tariferhöhung um insgesamt 10,24 Prozent vor - allerdings über eine Laufzeit von zwei Jahren. Dazu bieten die Arbeitgeber eine von Steuern und Angaben befreite Inflationsausgleichsprämie von 750 Euro an. Einige Handelsketten, vor allem im Lebensmittelbereich, zahlen ihren Beschäftigten bereits freiwillig 5,3 Prozent mehr.

Verdi fordert im Einzelhandel mindestens 2,50 Euro mehr Stundenlohn für eine Laufzeit von einem Jahr. Das Angebot der Arbeitgeber bedeute für 2023 nur eine Tariferhöhung von 1,04 Euro. „Das ist weniger als die Hälfte“, kritisiert Silke Zimmer. Verdi pocht auf Eurobeträge bei der Tariferhöhung, weil davon die unteren Einkommensgruppen besonders profitieren würden. Ihr Ziel sei es, dass sich „die prekäre Lage der Beschäftigten nicht weiter verschlechtert“, erklärte Zimmer unlängst.