Essen. Der Tarifstreit um die 32-Stunden-Woche im Stahl beginnt am Montag. Das sagen die Verhandlungsführer der Arbeitgeber und IG Metall vor dem Start.

Runde eins im Ringen um die Vier-Tage-Woche: Am Montag starten die IG Metall und der Arbeitgeberverband Stahl ihre Tarifverhandlungen für die rund 68.000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie. Die Gewerkschaft fordert eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Und dazu eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent. Das hatte weit über die Stahlindustrie hinaus für Aufsehen gesorgt: Die Vier-Tage-Woche wird branchenübergreifend diskutiert – zum Schrecken der Arbeitgeberverbände, die angesichts des Fachkräftemangels eher eine Verlängerung der Arbeitszeit anpeilen, etwa im Maschinenbau.

„Wenn die IG Metall auf ihrer Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich beharrt, droht eine sehr harte Tarifauseinandersetzung“, sagte Gerard Erdmann, der Verhandlungsführer der Stahl-Arbeitgeber, unserer Redaktion vor dem Auftakt. Und betonte: „Auf die Festigkeit unserer Position hat das allerdings keinen Einfluss.“

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Die IG Metall bezieht vor dem Auftakt am Montag in Düsseldorf ebenfalls eine harte Position, was ihre Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung angeht. Ohne sei kein Abschluss vorstellbar, ließ Knut Giesler, NRW-Chef der Gewerkschaft und Verhandlungsführer im Stahl, im Vorfeld wissen. Er kann sich im Stahl auf einen der höchsten Organisationsgrade verlassen, den Gewerkschaften in einer Branche haben. Wenn die IG Metall zur Arbeitsniederlegung aufruft, stehen die Stahlkocher vor den Werkstoren. Ende November läuft mit dem Entgelttarifvertrag auch die Friedenspflicht aus, ab dem 1. Dezember sind damit Warnstreiks möglich. Die Planungen dazu laufen in der IG Metall nach eigenen Angaben bereits.

Stahl-Arbeitgeber nennen Forderungspaket existenzgefährdend

Die Arbeitgeber sehen sich durch eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich und einer kräftigen Erhöhung der Lohntabellen überfordert. Beides summiere sich auf eine Lohnforderung von mehr als 17 Prozent, rechnet Stahl-Verhandlungsführer Erdmann vor. Das sei für die Unternehmen existenzgefährdend.

Giesler will dagegen seine beiden Hauptziele getrennt voneinander behandelt wissen. Denn die Reduzierung der Arbeitszeit will er schrittweise umsetzen, etwa um eine halbe Stunde pro Jahr, und erst in einigen Jahren damit beginnen – 2027 oder 2028 nannte er im Vorfeld als mögliche Startpunkte. Der Grund: Bis dahin sollen die ersten grünen Stahlwerke stehen, die dann bisherige Arbeitsschritte in der Stahlerzeugung nach und nach überflüssig machen, vor allem die Hochöfen und die Erzeugung der für sie notwendigen Kokskohle in den Kokereien. Das koste Arbeitsplätze, die dann nach den Vorstellungen der IG Metall mit Arbeitszeitverkürzungen für alle aufgefangen werden sollen.

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Weil also weder in diesem noch im nächsten Jahr höhere Lohnkosten dadurch anfielen, spiele das bei der aktuellen Lohnrunde keine Rolle, so Giesler. Und wenn es so weit sei, bedeute eine Verlängerung um eine halbe Stunde eine Lohnerhöhung von 1,3 Prozent. „Dass Unternehmen das nicht finanzieren können, halte ich für ein Gerücht“, sagte er der Braunschweiger Zeitung, die wie diese Zeitung zur Funke Mediengruppe gehört. Sein Gegenüber Erdmann erwidert, dann komme das eben in wenigen Jahren auf ein dann höheres Lohnniveau obendrauf – und sei so oder so nicht bezahlbar. Er beziffert die Mehrkosten einer 32-Stunden-Woche für die Unternehmen auf 400 Millionen Euro im Jahr.

32-Stunden-Woche soll Stellenverluste durch grünen Stahl auffangen

Die Arbeitgeber halten kürzere Arbeitszeiten, mit denen Stellenstreichungen aufgefangen werden sollen, grundsätzlich für unnötig, weil die natürliche Fluktuation durch das Ausscheiden der Älteren dafür ausreiche. Rund 24.000 Beschäftigte in der Stahlindustrie seien bereits älter als 55 Jahre, etwa jeder dritte. Das seien deutlich mehr als die von der Gewerkschaft genannten 17.000 Arbeitsplätze, die infolge der Transformation wegfallen könnten. In den Jahren der Transformation vom schwarzen zum grünen Stahl benötigten die Unternehmen sogar mehr hoch qualifiziertes Personal zum Einfahren der neuen Anlagen für die klimaneutrale Stahlproduktion. Und: „Trotz intensiver Bemühungen gelingt es unseren Unternehmen schon heute vielfach nicht, freie Stellen zu besetzen“, so der Arbeitgeberverband.

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Dagegen hält Giesler, gerade mit kürzeren Arbeitszeiten könne die Stahlindustrie mehr Nachwuchs anwerben. „Mit ihr können wir kluge Köpfe für die Transformation gewinnen, weil wir einen Attraktivitätsvorsprung gegenüber anderen Branchen hätten“, sagte er der Braunschweiger Zeitung. Giesler betont auch die Vorzüge für die Arbeitgeber: „Verkürzte Arbeitszeiten bedeuten zudem auch geringere Krankenstände und eine höhere Produktivität.“

Für Stahlkocher sollen 13 Schichten im Jahr wegfallen

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Eine lupenreine Vier-Tage-Woche ließe sich mit den 32 Stunden nur in der Verwaltung umsetzen, damit aber immerhin für etwa jeden dritten Beschäftigten der Stahlindustrie. Für die Schichtarbeit in den Werken ist eine starre Vier-Tage-Woche nicht möglich, weil sich der Wechsel von Schichten und freien Tagen nicht an den Kalenderwochen orientiert. Hier geht es der IG Metall darum, aufs Jahr gesehen 13 Schichten zu streichen. Damit könnten die bei den Stahlkochern sehr unbeliebten Zusatzschichten wegfallen.