Wesel. Die Büdericher Sebastianus-Schützen feiern ihr 600-jähriges Jubiläum. Welche Bräuche bis heute bestehen und was es mit dem Zylinder auf sich hat.

Wenn dieser Tage ein Schützenverein sein 100- oder 150-jähriges Bestehen feiert, kann man in Büderich darüber höchstens milde lächeln. Denn für die hiesige St. Sebastianus-Bügerschützen-Bruderschaft steht in diesem Jahr ihr 600. Geburtstag an. Damit ist sie nicht nur der älteste der drei Büdericher Schützenvereine, sondern gehört auch zu den ältesten in der Region.

Der Ursprung der heutigen St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft lässt sich bis mindestens in das Jahr 1424 zurückverfolgen. Original-Dokumente aus dieser Zeit sind zwar nicht erhalten, jedoch mehrere (auch historische) Chroniken, die zu vergangenen Jubiläen angefertigt wurden und die Geschichte der Bruderschaft recht umfangreich aufarbeiten. „Der Grund für die Gründung war der Schutz der alten Stadt Büderich“, weiß deshalb Bernd Braem, der heutzutage Hauptmann der Bruderschaft ist und damit Chef des gesamten Bataillons. „Wir sind die, die früher auf den Laden aufgepasst haben.“

So sieht der heutige Vorstand der St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft aus. Zu erkennen ist Hauptmann Bernd Braem an der roten Schärpe, Präsident Dieter Hoppen an der Kette.
So sieht der heutige Vorstand der St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft aus. Zu erkennen ist Hauptmann Bernd Braem an der roten Schärpe, Präsident Dieter Hoppen an der Kette. © St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft 1424 Büderich

Denn Büderich war (damals noch an alter Stelle liegend) zwar eine Stadt mit Stadtmauer, doch im Gegensatz zu Wesel gab es hier kein Militär. So organisierten sich die freien Bürger in zwei voneinander unabhängigen Schützenkompanien: Der St. Sebastianus-Kompanie und der St. Georgius-Kompanie. Aufgabe der Schützen war es, sowohl die Stadttore zu bewachen als auch den Landesherrn, den Herzog von Kleve, in Schlachten zu unterstützen.

Schützen verhinderten Brandschatzung durch Spanier

1473 zum Beispiel musste die Stadt Büderich in einer Schlacht bei Goch 30 Bürger und 12 Schützen stellen. Und als 1598 die Spanier angriffsbereit vor dem sogenannten „Rheintor“ standen, war es an den Schützen, die Brandschatzung zu verhindern. Und das gelang, wenngleich nicht mit einem Kampf: Stattdessen übergab der damalige Schützenkönig die silberne Königskette an die Feinde, die daraufhin weiterzogen.

1677 wurden die beiden Kompanien zu einer Bruderschaft zusammengelegt. Nur kurze Zeit später, 1684, feierte eben jene Georgius-Kompanie ihr 260-jähriges Bestehen, 1424 ist also mindestens deren Gründungsjahr und auch das Jahr, auf das sich der Verein heute bezieht. Theoretisch könnte die Sebastianus-Kompanie sogar noch älter gewesen sein.

Präsident Dieter Hoppen (l.) und Hauptmann Bernd Braem zeigen die Festschrift für das 600. Jubiläum ihrer St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft.
Präsident Dieter Hoppen (l.) und Hauptmann Bernd Braem zeigen die Festschrift für das 600. Jubiläum ihrer St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Voraussetzung für den Eintritt in die Bruderschaft war der Status als freier Bürger und auch ein eigenes Gewehr musste jeder mitbringen. Diese Regel führte 1926, beim ersten Schützenfest nach dem Ersten Weltkrieg, zu einem ungewöhnlichen Bild: Unter der belgischen Besatzung durften die Bürger keine Gewehre haben, deswegen traten sie mit Holzgewehren an. Mittlerweile wurde diese Regel etwas aufgeweicht, aber neue Rekruten tragen bis heute bei ihrem ersten Schützenfest Holzgewehre.

Noch heute legen Schützen die „Trink- und Pfeifprobe“ ab

Außerdem mussten die Männer bei der sogenannten „Trink-und-Pfeif-Probe“ ihre Tauglichkeit als Schütze demonstrieren und tun auch das bis heute: Wer in die Bruderschaft eintreten will, gilt erst dann als richtiges Mitglied, wenn er vor dem Hauptmann ein Bier geleert und anschließend einen lauten Pfiff abgesetzt hat. „Wenn Gefahr drohte, mussten sie auch durch Pfeifen darauf aufmerksam machen, also unter Stress“, erläutert Bernd Braem dieses alte Ritual. Das Trinken simuliert dabei den Stress.

Die Religionszugehörigkeit spielte indes nie eine Rolle für die Aufnahme: „Obwohl wir den Sankt im Namen haben, sind wir nicht konfessionell“, betont Dieter Hoppen, der heute Präsident der St. Sebastianus Bürgerschützen-Bruderschaft ist. „Die christlichen Werte stehen in der Satzung, aber man muss kein Christ sein.“ Das war auch früher schon so, denn im Verteidigungsfall wäre jede helfende Hand wichtig gewesen. Belegt ist auch mindestens ein Schützenkönig jüdischen Glaubens: Jakob Herz, der die Bruderschaft ab 1911 regierte.

Schützenkönige und Schützenfeste gibt es in Büderich so lange, wie es auch die Schützen gibt. Um 1700 etwa klang die Einladung dazu so: „Wer unter St. Sebastianus und St. Georgi-Bruderschaft gehörig, soll sich auf dem Saal einfinden zu einem kühlen Trunk und lustigen Sprung, ein jeder soll seine Liebste mitbringen. Es wird auch wohl dabei gesagt: Wer Schinken oder Fisch werde essen, auch Tabak rauchen will, soll es mitbringen.“

Heutzutage wechseln sich die drei Büdericher Schützenvereine mit ihren Festen ab, sodass jeder Verein alle drei Jahre zum Schützenfest lädt, früher war das anders: „Man hat früher Schützenfest gefeiert, wenn man Geld hatte“, weiß Präsident Dieter Hoppen. Je besser also die Ernte, desto rauschender konnte das Schützenfest gefeiert werden. Krieg, Hochwasser oder Missernten hingegen bedeuteten meist schützenfestfreie Jahre.

Schützenkönig musste zwei Fass Bier mitbringen

Ein König wurde bei jedem Schützenfest ermittelt, und zwar – damals wie heute – mit einem Vogelschießen. Allerdings war das „Schießen nach dem Vogel“ seinerzeit ein altes Privileg, verliehen vom Landesherrn, also dem Herzog von Kleve. Einer dieser Klever Herzöge war übrigens auch regelmäßiger Gast auf den Büdericher Schützenfesten, als dessen verwitwete Schwester in Büderich lebte.

Einen Schützenkönig zu haben, hatte aber auch „einen ganz praktischen Grund“, weiß Dieter Hoppen: „Der König musste zwei Fass Bier mitbringen.“ Beim Schießen mitmachen mussten damals alle Schützenbrüder, die bis zum Schießstand laufen konnten und der ermittelte König hatte der Bruderschaft zwei Lot Silber zu stiften, das als Plakette an die Königskette gehängt wurde. Sie stellte somit das Vermögen der Bruderschaft dar.

Übrigens: Zum Jubiläumsfest im Juni, das ausdrücklich kein „Jubiläumsschützenfest“ ist, wird es kein Königsschießen geben. Denn dieses Jahr feiert regulär einer der anderen beiden Büdericher Schützenvereine, St. Pankratius Gest, sein Schützenfest und das soll das Einzige im Dorf sein, genauso wie das zugehörige Königspaar. Dafür wird beim Jubiläumsfest erstmals unter den noch lebenden Sebastianer-Königen ein Kaiser ermittelt.

Büdericher Schützen kommen immer im besten Anzug

Heutzutage passieren sowohl die Feierlichkeiten als auch das Königsschießen in einem Zelt auf dem Sportplatz. Als es Alt-Büderich noch gab, wurde vor dem Rheintor gefeiert, also außerhalb der eigentlichen Stadt. Dort lagen auch die Gärten der Büdericher Bürger, den Schützenkompanien gehörten hier die größten von ihnen. „Da haben sie Kappes gepflanzt und verkauft“, weiß Bernd Braem. Das letzte Schützenfest wurde 1792 an dieser Stelle gefeiert, bevor Napoleon entschied, dass „das Nest“ wegmüsse und Büderich 1813/14 niederriss. In Neu-Büderich gab es erstmals 1819 ein Schützenfest.

Der beste Anzug war um 1900 noch nicht einheitlich, wie dieses Bild der dritten Kompanie zeigt. Die Zylinder waren aber schon dabei.
Der beste Anzug war um 1900 noch nicht einheitlich, wie dieses Bild der dritten Kompanie zeigt. Die Zylinder waren aber schon dabei. © St. Sebastianus-Bürgerschützen-Bruderschaft 1424 Büderich

Etwa um diese Zeit oder etwas später wird wohl auch der Zylinder ins Spiel gekommen sein, der bis heute zur Büdericher Schützenuniform gehört – übrigens bei allen drei Büdericher Schützenvereinen. Denn die grünen Uniformen, die zumindest am Niederrhein die allermeisten Schützenvereine tragen, seien preußischen Uniformen nachempfunden, erläutert Bernd Braem, „wir sind aber zu einer Zeit entstanden, da gab es Preußen noch gar nicht.“ Stattdessen traten und treten die Büdericher immer in ihrem besten Anzug an – und ab den 1820er-Jahren gehörte zum besten Anzug eben der Zylinder dazu, der in dieser Zeit zum Symbol des Bürgertums avancierte.