Wesel. Bewohner der Notunterkunft weigern sich am Freitag, das Haus zu verlassen. Sie wollen auch tagsüber bleiben dürfen. Die Stadt ruft die Polizei.
Renate Hoppe ist sauer, ebenso wie die anderen Bewohnerinnen und Bewohner der Notunterkunft für Wohnungslose am Herzogenring. Sie klagen über Mängel im Gebäude und darüber, dass sie – anders als zum Beispiel Asylbewerber – tagsüber nicht in ihrer Unterkunft bleiben dürfen. Die Frauen und Männer fordern bessere Bedingungen: „Wir sind auch Menschen“, sagt Hoppe. Am Freitagmorgen weigern sich mehrere protestierende Bewohner wie bereits am Montag, das Haus zu verlassen. Die Stadt verständigt die Polizei.
Drei Streifenwagen parken am Morgen um kurz nach acht vor der Unterkunft am Herzogenring. Etwa 16 Bewohnerinnen und Bewohner sind laut Polizei am Protest beteiligt, sechs von ihnen bleiben in dem Gebäude, das sie laut Hausordnung täglich um acht verlassen müssen. Ein Mann kettet sich sogar kurzzeitig im Treppenhaus an ein Geländer, löst die Kette dann aber selbst wieder. Laut Polizei handelt es sich bei dem Protest um einen Verstoß gegen das Versammlungsrecht, da die Aktion nicht angemeldet ist. Es bleibt aber alles friedlich, um kurz nach neun haben alle Menschen die Einrichtung geräumt, der Einsatz ist beendet.
Bewohnerin Renate Hoppe ist enttäuscht von der aus ihrer Sicht mangelnden Gesprächsbereitschaft der Stadt. Niemand habe mit ihnen reden wollen, im Sozialamt hätten sie ein Hausverbot für den Freitag erhalten. „Wir sollen nächste Woche kommen.“ Sie kündigt an, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Notschlafstelle den Protest in der kommenden Woche fortsetzen werden.
Hintergrund der Aktion ist die Kritik der wohnungslosen Menschen. Die Weselerin zum Beispiel lebt seit September 2023 in der Notschlafstelle. „Dass es kein Hotel ist, ist mir bewusst.“ Renate Hoppe berichtet von verstopften Toiletten, Schimmel und defekten Lampen, die sie und ihre Mitbewohnerinnen und -bewohner ärgern. Auch die Tatsache, dass sie tagsüber zwischen 8 und 16 Uhr nicht in der Unterkunft bleiben können, sei unverständlich. Nach einer ersten Protestaktion der Bewohner vor einigen Tagen wurde ihnen seitens der Stadt als Kompromiss zugestanden, schon um 14 Uhr wieder in die Räume zurückkehren zu können. Doch zum 1. Juni soll die alte Regelung wieder gelten.
Für Menschen wie Renate Hoppe, die als Reinigungskraft tätig ist, ist das ein Problem. Teilweise beginne sie um 5 Uhr morgens mit der Arbeit, sagt sie. Nach Feierabend könne sie dann erst einmal nicht in ihr Zimmer zurückkehren. Wenn sie einen Wohnungsbesichtigungstermin habe, müsse sie alle Unterlagen morgens schon mitnehmen, könne nicht mehr duschen.
Wohnungslose wollen Asylbewerbern gleichgestellt werden
Die Unterkunft soll für Menschen, die keine Wohnung mehr haben, eine Übergangslösung sein. Doch bei der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt sei es schwierig, etwas Neues zu finden, berichtet Renate Hoppe. Sie ärgert sich auch über Vorbehalte: „Wir werden alle über einen Kamm geschoren. Ich trinke nicht und nehme keine Drogen.“ Sie und ihre Mitstreiter fordern, dass sie nicht schlechter gestellt werden als Asylbewerber. Sie haben nun Kontakt mit der CDU aufgenommen und hofft auf Unterstützung aus der Politik. Außerdem wollen die Bewohner Unterschriften sammeln und diese mit einem Schreiben im Rathaus abgeben.
Heike Kemper, städtische Fachbereichsleiterin für Soziales, Integration und Wohnen, betont, dass die Zimmerausstattung in der Notunterkunft und in Asylbewerberheimen stets gleich sei. Bei einer Begehung am Herzogenring sei am Dienstag eine Mängelliste erstellt worden, die die Stadt nun abarbeiten will. Dass Bewohner tagsüber die Einrichtung verlassen müssen, habe mit einem geregelten Tagesablauf zu tun, erklärt sie. Ausnahmen seien aber etwa für kranke Personen immer möglich. Die Stadt bemühe sich auch, die Menschen in neue Wohnungen zu vermitteln.
Für wohnungslose Familien und andere Härtefälle gibt es nach Auskunft der Stadt noch städtische Räume an der Flutgrafstraße, dort dürfen die Personen auch tagsüber bleiben. Weil es am Herzogenring sehr voll ist, werden einige Wohnungslose derzeit ebenfalls an die Fluthgrafstraße verlegt. Für sie gelten aber die Regeln wie am Herzogenring, heißt es.
Caritasverband will Angebote für Wohnungslose verbessern
Ohnehin wird in Zukunft die Betreuung der Wohnungslosen ganz neu aufgestellt. Geplant ist, die Aufgabe an den Caritasverband Dinslaken/Wesel zu übertragen. Dieser will den Menschen verbesserte räumliche Bedingungen plus Beratungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten bieten. Der Verband hat der Politik bereits sein Konzept vorgestellt. Demnach sollen die städtische Notschlafstelle und die Caritas-Angebote für Wohnungslose an der Fluthgrafstraße zusammengeführt und zu einer „Komplexeinrichtung“ erweitert werden.
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Die Zahl der Menschen ohne Dach über dem Kopf ist in der Vergangenheit in Wesel gestiegen. Das habe unter anderem damit zu tun, dass während der Coronazeit Wohnungsräumungen ausgesetzt waren und nach der Pandemie nachgeholt wurden, erläutert Heike Kemper. Die Vertragsverhandlungen zwischen Stadt und Caritas laufen derzeit. Möglichst bald soll das Konzept umgesetzt werden.