Wesel. Die Stadt Wesel geht nun gegen Schottergärten vor. Betroffene von der Straße „Am Fänger“ ärgern sich über die Art und Weise. Was ihnen droht.
Die Anwohner der Straße „Am Fänger“ in Wesel sind verärgert: Nachdem ihre Vorgärten zum Teil seit mehr als einem Jahrzehnt in ihrer jetzigen Form bestehen, fordert die Stadt nun den Rückbau – und das innerhalb weniger Monate und mit einer ordentlichen Verwaltungsgebühr versehen. Warum, fragen sich die fassungslosen Anwohner, hat die Stadt ihre Vorgärten nicht schon eher bemängelt und auf die Problematik hingewiesen?
Es war Anfang März, als bei mehreren Nachbarn ein Schreiben der Stadt in den Briefkasten flatterte, in dem sie darauf hingewiesen wurden, dass ihre Vorgärten „unzulässigerweise versiegelt“ seien und demnächst der Rückbau gefordert werde. Inhaltlich ist daran wenig zu rütteln, die meisten Vorgärten in der fraglichen Straße würden der landläufigen Interpretation nach als sogenannter „Schottergarten“ durchgehen. Die Landesbauordnung sieht allerdings vor, dass die Vorgärten zum einen wasseraufnahmefähig und zum anderen bepflanzt sein müssen, laut der neuesten Änderung sogar explizit „als Grünflächen“ gestaltet.
Stadt Wesel gibt Schottergarten-Besitzern drei Monate Zeit
Rund zwei Wochen hatten die Grundstückseigentümer Zeit, zu dieser ersten Nachricht Stellung zu nehmen. Anwohner Hans Löbau (66) hat das, wie andere Nachbarn auch, getan. Der Untergrund der Steinfläche in seinem 2011 angelegten Garten sei zwar wasserdurchlässig, dennoch bot er an, die fünf kleinen Beete, in denen sich derzeit Bäume und Sträucher finden, zu erweitern. Er hatte zunächst angenommen, dass die Aufforderung mit der jüngsten Konkretisierung der Landesbauordnung zusammenhinge, doch die dann folgende Antwort der Stadt überraschte ihn. Es war nämlich gleich eine sogenannte Ordnungsverfügung. Mit vielen Fettungen im Schriftbild und in harschem Ton wird Löbau darin darüber informiert, dass sein Vorgarten schon gegen die 1995 eingeführte Landesbauordnung verstieße. Er habe nun bis zum 31. Juli Zeit den Vorgarten zu begrünen, sollte er das nicht tun, müsse er 500 Euro Zwangsgeld zahlen. Mit dabei lag darüber hinaus ein Gebührenbescheid: Für sein „Bauvorhaben“ soll er 332,50 Euro zahlen, wofür genau geht daraus allerdings nicht hervor.
Hans Löbau und seine Nachbarn, von denen mindestens vier die gleiche Ordnungsverfügung samt Gebührenbescheid bekommen haben, ärgert dieses Vorgehen der Stadt. „Dass wir das ändern sollen, ist schon in Ordnung“, meint Löbau. „Aber man hätte ja sagen können: Machen Sie das bitte bis zum Herbst weg.“ Dass gleich Gebühren festgelegt und Zwangsgelder angedroht werden, findet er unpassend, ebenso wie die Frist bis zum 31. Juli. „Mein Nachbar nebenan ist 87. Der muss dafür eine Firma beauftragen, die kommen für solche Kleinigkeiten aber erst im Herbst“, beklagt er.
Ähnlich unfair findet Oxana Posniak (45) das Verfahren. Sie selbst hat ihr Haus erst 2016 in derselben Straße errichtet, und zwar auf einem Feld, auf dem derzeit noch weitere Einfamilienhäuser entstehen und deren Zufahrt an ihrem Grundstück vorbeiführt. Bis die Bauarbeiten dort abgeschlossen sind, wollte sie Vorgarten und Einfahrt provisorisch halten – mit Schotter. Auch, weil die Baufahrzeuge immer wieder alles kaputt fahren. Doch das will die Stadt nicht akzeptieren, auch sie soll die 332,50 Euro zahlen und bis Ende Juli ihren Vorgarten begrünen.
Anwohner stört mehr das Vorgehen, als die Sache selbst
„Dass die Steingärten nicht klimafreundlich sind, ist ja unstrittig“, räumt Andrea Overkamp (63) ein, in deren Garten ebenfalls viel Schotter liegt. Einen Brief der Stadt hat sie zwar nicht bekommen, dennoch findet auch sie, dass die Verwaltung mehr Fingerspitzengefühl bei den Anwohnern „Am Fänger“ hätte an den Tag legen können. Das hätte sich auch Jürgen Janzen (82) gewünscht, dessen Garten in weiten Teilen mit etwa faustgroßen Natursteinen, jedoch auch mit allerhand Pflanzen ausgestattet ist. Ihn ärgert im städtischen Schreiben vor allem die Formulierung, dass eine gärtnerische Gestaltung „kaum vorhanden“ sei: „Das ist anmaßend und unverschämt“, ärgert sich der 82-Jährige. Schließlich hat er für die Gestaltung seines Vorgartens im Jahr 2011 eine Gartenbaufirma beauftragt und dafür nicht unerhebliche finanzielle Mittel aufgewendet. Ein erneuter Umbau, schätzt er, würde sicher noch einmal 12.000 bis 15.000 Euro verschlingen.
Zumal, und das verärgert die Anwohner „Am Fänger“ wohl am meisten, sie alle ihre Gärten überhaupt erst umgestalten mussten, nachdem zwischen 2009 und 2011 die Straße umfangreich ausgebaut, deren Führung verändert und in dem Zusammenhang auch Grundstücksgrenzen verlegt wurden. Die Stadt, so finden Löbau, Janzen und die anderen Anwohner, hätte ja damals schon auf die rechtlichen Einschränkungen bei der Gartengestaltung hinweisen können. Was sie sich wünschen, hält Hans Löbau fest: „Die Zeit soll verlängert werden und die 330 Euro soll die Stadt zurücknehmen.“ Falls nicht, wirft Jürgen Janzen eine alternative Idee in den Raum: „Notfalls bilden wir wieder eine Interessengemeinschaft“ – so seien die Nachbarn auch beim Straßenumbau schon erfolgreich gewesen.
Schottergärten: Das sagt die Stadt
Auf die meisten Fragen der NRZ zu der Schottergarten-Problematik „Am Fänger“ konnte die Stadt Wesel nicht fristgerecht antworten. Dennoch bezieht Stadtsprecher Swen Coralic Stellung und erklärt: „Die Bauordnung ist angehalten, auch auf Drängen der Politik, gegen die Schottergärten vorzugehen.“ Als Faustregel gelte dabei, dass mindestens 50 Prozent des Vorgartens bepflanzt sein sollen. Außerdem kündigt er an: „Wir werden weiter kontrollieren, da sind wir konsequent. Es gibt einen klaren politischen Auftrag von nahezu allen Fraktionen.“ Zudem versuche die Stadt seit mehreren Jahren mit verschiedenen Kampagnen und Förderprogrammen, Bürgerinnen und Bürger zu mehr Begrünung und weniger Versieglung zu bewegen.