Wesel. Viele Chemieunternehmen haben Werksschließungen oder einen Stellenabbau angekündigt. Altana macht es anders. Das sagt der CEO zur aktuellen Lage.
Es sind wirtschaftlich harte Zeiten für die Chemieindustrie in Deutschland – und die seit Monaten andauernde Flaute hat bereits konkrete Folgen für die Konzerne und ihre Angestellten: Das Essener Unternehmen Evonik will seine Verwaltung im großen Stil umbauen, Lanxess aus Köln plant, mindestens einen seiner Betriebe in Krefeld stillzulegen und hat einen Stellenabbau angekündigt, der Chemieriese BASF aus Ludwigshafen setzt ebenfalls auf ein Sparprogramm und um den Leverkusener Werkstoffhersteller Covestro ranken sich seit Monaten hartnäckige Verkaufsgerüchte. Wirtschaftsmedien sehen die Branche in ihrer tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. (Lesen Sie auch: Altana-Besitzerin Susanne Klatten ist die reichste Deutsche)
Die Stimmung im Chemieland Deutschland (es geht insgesamt um rund 500.000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von 200 Milliarden Euro) ist im Keller, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze. Der Industriezweig leidet unter einer sinkenden Nachfrage und den massiv gestiegenen Energiekosten, auch die für die Produktion verwendeten Materialien sind deutlich teurer geworden. Die Folge: Die Umsätze der Unternehmen schwinden, zum Teil drastisch.
Wesel: Altana kauft ein Unternehmen aus der Schweiz
Mit diesen Herausforderungen muss sich derzeit auch Martin Babilas herumschlagen. Der Vorstandsvorsitzende des Spezialchemiekonzerns Altana aus Wesel glaubt, dass die Lage in den nächsten Monaten erstmal schwierig bleibt. „Zu Anfang des Jahres hatten wir mit einer konjunkturellen Erholung ab dem zweiten Quartal gerechnet. Diese ist ausgeblieben. Auch für das zweite Halbjahr erwarten wir keine nennenswerte Belebung. Aber wir gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr wieder Wachstumsimpulse sehen werden“, antwortet der Altana-Chef auf eine entsprechende Anfrage der NRZ-Redaktion.
Wie berichtet, musste das Weseler Unternehmen im ersten Halbjahr 2023 seine Gewinnerwartungen dämpfen – der Umsatz ging über alle Geschäftsbereiche um elf Prozent zurück. Doch während die meisten Konkurrenten in der Branche aufs Sparen setzen, gehen Babilas und seine Manager den entgegengesetzten Weg und investieren in unsicheren Zeiten. So hat sich Altana vor einigen Wochen mit den Hauptaktionären und dem Management der Von Roll Holding aus der Schweiz auf einen Kauf verständigt – der Schweizer Spezialist für Isolationssysteme ist rund 300 Millionen Euro Wert. Für Altana ist das die zweitgrößte Investition in der Firmengeschichte.
Altana vertraut dabei auf seine Finanz- und Innovationskraft. Szenarien wie Werksschließungen oder ein Personalabbau seien derzeit nicht geplant, betont CEO Martin Babilas. „Wir haben in der Vergangenheit immer darauf geachtet, dass wir effizient arbeiten. Und wir achten auch in der aktuellen Situation auf die Kosten, verschieben beispielsweise Projekte auf der Zeitachse“, so der Vorstandschef. Altana habe eine agile und flexible Organisationsstruktur. Das helfe in Krisenzeiten. Es sind Sätze, die nicht nur die rund 1200 Angestellten des Unternehmen am Hauptsitz in Wesel gerne hören dürften. Weltweit beschäftigt der Konzern mit seinen vier Geschäftsbereichen rund 7000 Menschen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen.
Industriestrompreis? Das hält der Altana-CEO von der Forderung
Babilas sieht einen Vorteil darin, dass sein Unternehmen im Branchenvergleich eher kleinteilig aufgestellt ist. „Die Altana-Standorte sind seit jeher regional sehr ausgewogen verteilt“, so der Manager. „Unseren Umsatz erzielen wir in den unterschiedlichsten Industrien. Das macht uns unabhängiger von Entwicklungen in einzelnen Branchen.“ So trifft auch eines der großen Kernprobleme der Chemiebranche den Weseler Konzern nicht ganz so hart: die hohen Strom- und Gaspreise. Denn im Vergleich zu anderen Unternehmen benötigen die Werke und Anlagen von Altana laut Babilas deutlich weniger Energie.
Dennoch hält Babilas den vor allem von Chemievertretern geforderten Industriestrompreis, also einen staatlich abgesicherten Energiepreis für produzierende Unternehmen, durchaus für eine sinnvolle Lösung. „Wir haben immer gesagt, dass wir einen deutlichen Ausbau von erneuerbarer Energie brauchen – eine Energieversorgung, die zugleich die Energiewende berücksichtigt“, sagt der Altana-Chef. Aus seiner Sicht brauche es eine sichere und ausreichende Versorgung mit den Erneuerbaren Energien – die aber zugleich bezahlbar sein müsse und einen Anreiz biete, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Über diese Anreizfunktion werde allerdings viel zu wenig geredet. „Da wäre ein Brückenstrompreis oder wie immer man ihn auch nennt, schon ein sinnvolles Instrument“, so Babilas weiter.