Wesel. Der Chemiekonzern Altana gehört zu Wesels größten Unternehmen. Der Konzern hat nun einen Umsatzrückgang vermeldet. Ein „Warnsignal“ für Wesel?
Seit Jahren kennen die Unternehmensbilanzen beim Weseler Spezialchemiekonzern Altana nur eine Richtung – nach oben. Noch im März vermeldete die international agierende Firma mit Sitz an der Abelstraße einen Rekordumsatz für das Jahr 2022, erstmals setzte sie dabei mehr als drei Milliarden Euro innerhalb von zwölf Monaten um. Allerdings bremste die gesamtwirtschaftliche Entwicklung das Ergebnis nach Steuern, Zinsen und Abschreibungen schon im Vorjahr etwas aus. Nun haben sich die Aussichten noch mal verschlechtert, dennoch setzt Altana weiterhin auf Investitionen.
Inflation, Ukraine-Krieg, Explosion der Energiekosten, ein Rückgang der Nachfrage: Die vielen Krisenherde, mit der sich die Weltwirtschaft derzeit konfrontiert sieht, machen eben auch vor Wesels bekanntestem Unternehmen nicht Halt. Das lässt sich an den Halbjahreszahlen ablesen, die nun veröffentlicht worden sind. Der Umsatz ist demnach über alle Geschäftsbereiche um elf Prozent zurückgegangen, auf 1,39 Milliarden Euro. Laut der Mitteilung des Unternehmens lag das vor allem an der rückläufigen Nachfrage. Noch drastischer fällt der Rückgang beim sogenannten Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen aus – hier erreichte Altana 196 Millionen Euro und lag damit 27 Prozent unter dem Vorjahreswert. Neben dem geringeren Absatz lag das vor allem an den hohen Materialkosten.
Weseler Unternehmen: Altana gibt mehr Geld für Forschung aus
Trotz der hohen Unsicherheiten steigerte Altana in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung um fünf Prozent auf 99 Millionen Euro. Seine Investitionen, vor allem in den Ausbau von Standorten und die weitere Digitalisierung, erhöhte der Spezialchemiekonzern um 52 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Zudem stärkte das Unternehmen das Geschäft durch Zukäufe. „Gerade in Zeiten konjunktureller Schwankungen gilt es, weiter gezielt in die Zukunft zu investieren“, wird der Vorstandsvorsitzende Martin Babilas in einer Pressemitteilung zitiert. „Wir treiben innovative Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit weiter voran – aus eigener Kraft und durch den Zukauf zukunftsträchtiger Aktivitäten.“
Zu diesen Worten passt ein Geschäft, das die Weseler erst vor wenigen Tagen angekündigt haben: Den Erwerb der Von Roll Holding AG im schweizerischen Breitenbach. Die Transaktion ist die zweitgrößte Akquisition in der Unternehmensgeschichte. Sie umfasst die Übernahme der Mehrheitsanteile der bisherigen Eigentümerfamilie sowie ein öffentliches Kaufangebot für die restlichen noch an der Schweizer Börse gehandelten Aktien. Geht der Deal über die Bühne, wird Altana noch mal kräftig wachsen: Denn 2022 erzielte Von Roll mit rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 14 Standorten weltweit einen Nettoumsatz von 228 Millionen Schweizer Franken.
Altana geht davon aus, dass die Lage am Markt schwierig bleibt
Der Zukauf ist ein führender Spezialist für sogenannte Elektroisolationssysteme. Die Technologien und Produkte des Unternehmens kommen beispielsweise in Windrädern, Elektroautos oder Industrieanlagen zum Einsatz. Als besonders zukunftsweisend gelten laut Altana neuartige Isoliersysteme und Spezialharze für den Hochspannungsbereich. Von Roll soll in Elantas, einen der vier Altana-Geschäftsbereiche, integriert werden. „Wir bündeln die Innovationskraft beider Unternehmen, um den Ausbau der Elektromobilität und erneuerbarer Energien voranzutreiben“, betont Babilas.
Elantas-Produkte sind bereits für ähnliche Zwecke im Einsatz – zum Beispiel in Europas erstem „Hyperloop“ mit Passagierkapsel, einem neuartigen Hochgeschwindigkeitstransportsystem. Einen weiteren Zukauf tätigte Altana auf dem US-Markt, dort ging es um das Unternehmen Imaginant Inc. – damit soll das Portfolio an Prüf- und Messinstrumenten im Geschäftsbereich von Byk weiter gestärkt werden.
Trotz dieser Investitionen in die Zukunft, geht der Spezialchemiekonzern davon aus, dass sich die Geschäfte im Rest des Jahres weiter schwierig gestalten werden – mit einer „wesentlichen Erholung der Weltwirtschaft“ sei nicht zu rechnen. Es sei deshalb für das Gesamtjahr 2023 mit einem Umsatzrückgang im oberen einstelligen Prozentbereich zu rechnen. Das Ergebnis soll durch gezielte Gegenmaßnahmen gestärkt werden. Das Unternehmen sei gut aufgestellt, die Herausforderungen des aktuellen Umfeld zu meistern, betonte Finanzvorstand Stefan Genten.
Altana ist für die Wirtschaft und den Haushalt in Wesel wichtig
Auf die weiteren Entwicklungen an der Abelstraße wird auch die Weseler Stadtverwaltung ganz genau schauen, allen voran Kämmerer Klaus Schütz. Denn seitdem der Konzern im Jahr 2007 seinen Hauptsitz in die Hansestadt verlegt hat, gilt das Credo: Wenn es Altana gut geht, dann geht es auch Wesel gut. Zusammen mit dem Evangelischen Krankenhaus gehört das Unternehmen zu den größten privaten Arbeitgebern in der Stadt – und sicherlich zu den größten Gewerbesteuerzahlern, auch wenn dazu aufgrund des Steuergeheimnisses keine Zahlen öffentlich sind. Sinkt der Ertrag, gehen auch die Steuereinnahmen zurück, was Folgen für den Weseler Haushalt hat – und am am Ende für konkrete Projekte, die im Zweifel nicht mehr umgesetzt werden können, weil das Geld fehlt.
Nicht umsonst bezeichnet SPD-Fraktionschef Ludger Hovest die Halbjahresbilanz von Altana deshalb als „Warnsignal“. Schließlich kann sie auch Indikator dafür sein, mit welchen Auswirkungen der wirtschaftlichen Schwankungen bei anderen Weseler Unternehmen bis zum Ende des Jahres zu rechnen ist. Schon für das aktuelle Haushaltsjahr hatte die Verwaltungsspitze angesichts der vielen Herausforderungen und Unsicherheiten von „historisch schwierigen Planungen“ gesprochen. Leichter dürfte es 2024 für Klaus Schütz und sein Team ganz sicher nicht werden.