Wesel. Das RS-Virus und andere Infektionen sorgen in der Region für volle Kinderstationen, auch im Marien-Hospital. Es gibt weitere Gründe für die Lage.

In der Kinderklinik des Marien-Hospitals gibt es eine Liste, die derzeit fast täglich genutzt wird: 50 Kinderstationen im Umkreis von 138 Kilometern haben die Mitarbeiter zusammengestellt. Dort rufen sie an, um noch ein freies Bett für einen jungen Patienten zu finden. Umgekehrt erhält auch das Marien-Hospital Anrufe vom gesamten Niederrhein. „Allein in dieser Nacht mussten wir zwei Anfragen abweisen“, schildert Chefärztin Dr. Cordula Koerner-Rettberg die Lage. „Jeder sucht das letzte Bett.“ Die Welle der Atemwegsinfektionen rollt seit Oktober ungewöhnlich heftig. Das RS-Virus und andere Erreger sind aber nicht die einzige Ursache für überlastete Stationen: Erkranktes Personal, zu wenig Betten und fehlende Fachkräfte verschärfen die Situation in den Kliniken.

Dass in der kalten Jahreszeit Infektionen in die Höhe schnellen, ist nicht neu. Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht bei Kindern Symptome wie schwere Bronchitis und macht mitunter eine stationäre Sauerstoffversorgung oder Beatmung notwendig. In diesem Jahr ist die Zahl der Atemwegsinfektionen besonders hoch, stellt das Robert-Koch-Institut in einem aktuellen Wochenbericht fest. Die Raten liegen „deutlich über dem Durchschnitt wie sie vor der Pandemie“ um diese Zeit zu beobachten waren – bei den bis zu Vierjährigen dominiert dabei das RS-Virus.

Marien-Hospital Wesel: Viele Kleinkinder liegen mit RSV in der Kinderklinik

Auch im Marien-Hospital sind vor allem die ganz Kleinen betroffen: Bis zu zwei Jahre alt sind zumeist die Patienten, berichtet die Chefärztin. Jedes Kind komme bis zum Ende des zweiten Lebensjahr einmal in Kontakt mit dem Virus, das für ältere Kinder und Erwachsene meist unproblematisch ist. „RSV gab es schon immer“, sagt Dr. Koerner-Rettberg. Dennoch ist die Situation in diesem Jahr besonders kritisch.

Denn es gibt auch beim Personal mehr Erkrankungsfälle – nicht nur aufgrund von Corona. Auf der anderen Seite fehlen Fachkräfte und es wurden in einigen Kinderkliniken Betten abgebaut. Auch können, etwa weil Personal fehlt, nicht immer alle Betten belegt werden. So auch im Marien-Hospital: 53 Betten – zum Teil auf der Intensivstation – gibt es in der Kinderklinik, abgebaut wurde in Wesel keines. Von den 40 Plätzen auf der Normalstation können in dieser Woche jedoch nur 30 belegt werden.

Wenn Personal wegen Erkrankung fehlt, könne die Station nicht in Volllast fahren, erklärt Geschäftsführer Karl-Ferdinand von Fürstenberg. Man müsse das Angebot herunterfahren, um die Qualität der Behandlung sicherzustellen, ergänzt auch Chefärztin Koerner-Rettberg: „Wir entscheiden jeden Tag neu.“ Ebenso wie andere Kliniken. Von Fürstenberg: „Wenn die Grenzen der Belastbarkeit erreicht sind, geht es nicht anders.“

Für Familien bedeutet das, dass ihr Kind möglicherweise in einem Krankenhaus in Dinslaken, Kleve Geldern, Coesfeld oder Oberhausen behandelt wird – auch größere Entfernungen sind nicht ausgeschlossen. Die Suche übernimmt in diesem Fall das Team des Marien-Hospitals, „das bindet jedoch Kapazitäten“, so Koerner-Rettberg.

Schwerkranke Kinder werden im Marien-Hospital zuerst behandelt

Auch in der Ambulanz ist der Andrang groß. „Es gibt zu wenig Kinderärzte in der Region“, berichtet von Fürstenberg. Oft sei es schwierig, Nachfolger für Praxen zu finden. Gerade in Zeiten vieler Infektion wird es dann auch in der Notfallambulanz voll, Wartezeiten lassen sich nicht vermeiden. Dr. Koerner-Rettberg stellt klar, dass schwer kranke Kinder zuerst behandelt werden, „es geht nach medizinischer Dringlichkeit.“ Die meisten Eltern verstehen das, so die Chefärztin, wenn man die Situation erklärt.

Für Karl-Ferdinand von Fürstenberg muss auch das System verändert werden. Das Problem an der alljährlich angespannten Situation im Winter sei, dass die Krankenhäuser nicht die benötigte Kapazität vorhalten können. Denn im Sommer seien die Stationen deutlich leerer. Bei dem aktuellen Finanzierungsmodell sei es nicht möglich, für die Winterwelle mehr Betten bereitzuhalten. „Man müsste die Pädiatrie anders finanzieren“, sagt er, damit die notwendigen Strukturen bezahlt werden können. Die aktuellen Fallpauschalen helfen da wenig.

Das Problem wird in diesem Winter nicht gelöst werden können und das RKI rechnet damit, dass die Infektionszahlen noch länger hoch bleiben. So müssen sich Eltern auf Wartezeiten oder weite Wege zum nächstgelegenen freien Krankenhausbett einstellen. Die Kinderklinik verschiebe schon elektive – also nicht dringende – Behandlungen, um Platz für die akuten Fällen bereitzustellen, versichert Chefärztin Koerner-Rettberg: „Wir und alle anderen Kliniken tun unser Möglichstes.“

Pflege: Marien-Hospital konnte nicht alle Ausbildungsplätze besetzen

Personalmangel ist ein Problem in der Pflege. Auch im Marien-Hospital ist das ein Thema, sagt der stellvertretende Pflegedirektor Wolfgang Stratenschulte. Die Zahl der Ausbildungsplätze im Pflegebereich ist bereits von 96 auf 126 angehoben worden. Doch nicht alle konnten besetzt werden: Neun Lehrstellen blieben frei. Das Marien-Hospital geht bei der Suche nach Fachkräften inzwischen neue Wege: Sieben Pflegekräfte aus Indien, den Philippinen oder Indonesien sind schon im Krankenhaus tätig, weitere werden im kommenden Jahr erwartet.