Wesel/Hamminkeln/Hünxe/Schermbeck. Sollte das OVG-Urteil rechtskräftig werden, dürften die Gebühren fürs Abwasser sinken – damit würde den Städten und Gemeinden erstmal Geld fehlen.
Dieses Gerichtsurteil hat vermutlich alle Kämmerer zusammenzucken lassen: Nach Auffassung des NRW-Oberverwaltungsgerichts sind die Abwassergebühren über Jahre auf Basis einer falschen Grundlage berechnet und zu hoch angesetzt worden. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, müssten die Abwassergebühren ab 2023 sinken – auch im Kreis Wesel.
Geklagt hatte im konkreten Fall ein Grundstücksbesitzer aus Oer-Erkenschwick: Er wehrte sich dabei gegen einen Abwasserbescheid aus dem Jahr 2017 über knapp 600 Euro. Dieser war rechtswidrig und um 18 Prozent zu hoch ausgefallen, urteilte das OVG in der vergangenen Woche.
Hamminkeln würden 380.000 Euro fehlen
In Hamminkeln äußert Kämmerer Robert Graaf sein Unverständnis, dass das Oberverwaltungsgericht seine jahrzehntelange Rechtssprechung jetzt kippe. Er hat für seine Stadt ermittelt, dass Hamminkeln dadurch 380.000 Euro jährlich in der Kasse fehlen würden. Umgerechnet seien das 38 Prozentpunkte bei der Grundsteuer B – oder aber etwa 13 Euro pro Bürger. In der Stadt an der Issel wurde bisher mit 5,24 Prozent als kalkulatorischem Zinssatz gerechnet – das Gericht hält jedoch nur 2,42 Prozent für angemessen. Wie könnte also dieser Fehlbetrag ausgeglichen werden?
Die Einnahmenseite sei ohnehin „nicht so rosig“ erklärt der Kämmerer, der aber auch bereits konkrete Überlegungen angestellt hat, wie zusätzliches Geld in die Stadtkasse kommen könnte. Fast schon philosophisch sagt Robert Graaf: „Wenn es der Mutter schlecht geht, muss man auch mal die Töchter in Anspruch nehmen.“ Konkret meint er damit die beiden Tochtergesellschaften Wasserwerke Wittenhorst und die Niederrheinische Sparkasse Rhein-Lippe (Nispa): Er werde der Politik in Kürze vorschlagen, die Beteiligung der Wasserwerke (derzeit rund 100.000 Euro) zu erhöhen und von der Nispa erstmal auch eine Beteiligung einzufordern. Ob das dann auch so komme, sei jedoch noch unklar.
Zurzeit würden der Stadt Hamminkeln jedoch keine Widersprüche oder Klagen gegen die Abwasserbescheide vorliegen, so der Kämmerer weiter.
Wesel kalkulierte mit 5,42 Prozent
Einen ähnlichen Zinssatz wie Hamminkeln hat die Stadt Wesel zugrunde gelegt: Für ihre Berechnungen im vergangenen Jahr setzte die Kreisstadt 5,42 Prozent an. Also dürfte die rechnerische Differenz auch bei etwa 13 Euro pro Weseler Bürger liegen. Genaue Zahlen lägen aber dazu noch nicht vor, erläutert Heinz-Dieter Steinbrecher, Fachbereichsleiter Finanzen. Er betont: „Wir werden uns das Urteil jetzt erstmal ganz genau anschauen.“ Einige hundert Widersprüche gegen die Gebührenbescheide gebe es aber ohnehin Jahr für Jahr.
Jeder Hünxer hätte 3,80 Euro zu viel gezahlt
Die Gemeinde Hünxe hatte in der Gebührenkalkulation für das laufende Jahr 2022 einen Zinssatz in Höhe von 3,74 Prozent angesetzt, der zu einem Wert von rund 164.000 Euro führt. Wäre in der Kalkulation nur ein Zinssatz von rund 2,5 % angesetzt worden, hätte dies einen Wert von etwa 110.000 Euro zur Folge, erläutert Kämmerer Michael Häsel. Daraus ergebe sich eine Differenz von rund 54.000 Euro. Daher würde sich die Zinsanpassung (ab 2023) bei fast 14.000 Einwohnern nicht massiv auf den Gebührensatz auswirken. Denn bei einem durchschnittlichen Frischwasserverbrauch von rund 46 Kubikmetern pro Person und Jahr bedeute dies eine jährliche Gesamtersparnis von ungefähr 3,80 Euro pro Person, rechnet Häsel vor.
Klaus Roth: Habe es seit Jahrzehnten bemängelt
Klaus Roth, Bürgermeisterkandidat und Vorsitzender der Schermbecker Wählergemeinschaft „Bürger für Bürger“, erklärt zu dem Urteil des OVG Münster: „Seit sehr vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten kritisiere ich immer wieder die in den Abwassergebührenkalkulationen eingeflossenen kalkulatorischen Zinsen.“
Beispielsweise 2017 habe er im HFA darauf hingewiesen, dass bei der Gebührenkalkulation ein Zins von 6,2 Prozent berücksichtigt worden sei, was zu einer „zweifelhaften Gebührenmehrbelastung des Bürgers“ führe.
Roth stellt nun den Antrag zu den Kalkulationen für die Erhebung von Abwassergebühren und fragt darin: „Mit welchen Rückzahlungen wegen der überhöhten Abwassergebühren in den letzten Jahren rechnet die Schermbecker Verwaltung?“
Schermbeck: Urteil erstmal abwarten
Diese Frage könne man jetzt noch nicht beantworten, erklärt Kämmerer Alexander Thomann, auch mögliche genaue Einnahmeverluste seinen noch nicht ermittelt, weil der Zins von 2,5 Prozent fiktiv sei. Erstmal müsse man die Begründung des Urteils abwarten. Was er sagen kann ist, dass die Gemeinde Schermbeck zurzeit mit 5,42 Prozent kalkuliert.