Wesel. Berichte im Sozialausschuss: Schon vor der Energiepreisexplosion waren viele Weseler überschuldet. Die finanzielle Not wird wohl weiter steigen.
Die stark steigenden Energiepreise sind gerade für Menschen mit ohnehin kleinem Budget eine enorme Belastung. Über die Auswirkungen informierte unter anderem Stadtwerkechef Rainer Hegmann auf Antrag von Grünen und Linken jetzt im Sozialausschuss. Die Auswirkungen seien noch gar nicht bei den Stadtwerke-Kunden angekommen, erklärte Hegmann, denn die Stadtwerke kaufen langfristig für ihre Kunden ein.
So treffen die Preissteigerungen die Strom- und Gasbezieher wohl erst mit Verzögerungen. Die derzeit 131 drohenden Sperrungen bei Gas-Kunden sei noch keine erhöhte Zahl im Vergleich zu Vorjahren. Allerdings haben die Stadtwerke als Gas-Grundversorger kürzlich rund 400 Kunden dazubekommen, deren Verträge von Billiganbietern wie gas.de plötzlich gekündigt wurden. Für sie hatten die Stadtwerke natürlich nicht vorab Gas eingekauft.
Bei der Verbraucherberatung in Wesel sind die plötzlichen Kündigungen von Strom- und Gasverträgen durch Billiganbieter ein großes Thema, berichtete Leiterin Karin Bordin in ihrem Vortrag. „Wir werden überhäuft mit Anfragen.“ Die Kunden etwa von Gasanbietern hätten zum Teil erst mit fünf oder sechs Wochen Verspätung erfahren, dass ihr Vertrag aufgelöst wurde und dass sie – in die deutlich teurere – Grundversorgung gewechselt sind. Mit Hilfe der Verbraucherberatung hat eine Reihe von Kunden Schadensersatzansprüche an den ehemaligen Versorger gestellt, berichtete Bordin und ergänzte: „Diese können auch jetzt noch gestellt werden.“
Drastisch gestiegene Abschlagszahlungen durch hohe Energiekosten
Es gebe aber auch Fälle, in denen die Anbieter den Kunden nicht kündigten, sondern die Preise stark erhöhten – was bei geschockten Kunden zu deutlich höheren monatlichen Abschlägen führte. Sie nannte das Beispiel eines Rentners, der statt 65 plötzlich 309 Euro für sein Gas zahlen sollte und sich verzweifelt an die Verbraucherschützer wandte.
Kerstin Hankeln von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes wies darauf hin, dass die Überschuldungsquote in der Stadt Wesel enorm hoch sei. Laut Creditreform liegt sie für den Postleitzahlbereich 46483 (Innenstadt) bei 17,4 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 8,8 Prozent und selbst Städte wie Essen oder Duisburg weisen mit etwa 13, 14 Prozent eine geringe Quote auf, berichtete Hankeln. Der Wert in Wesel war allerdings auch schon lange vor der Energiepreiserhöhung so hoch – warum, das lasse sich nicht an nur einer Ursache festmachen, es treffen vermutlich mehrere Faktoren zusammen. „Wir rechnen damit, dass für uns der Beratungsbedarf künftig noch weiter ansteigt“, so Hankeln.
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stieg in Wesel im Jahr 2021 laut Zahlen des statistischen Landesamtes IT NRW um satte 650 Prozent (von zehn auf 75 Fälle) – was aber zum Teil an dem in Kraft getretenen Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung zusammenhängen kann. Eine steigende Tendenz verzeichnet die Beratungsstelle auch bei den Pfändungsschutzkonten: Wenn sich der Trend bis zum Ende des Jahres fortsetze, werde der Bedarf 2022 um 70 Prozent steigen, berichtete Kerstin Hankeln.