Kreis Wesel. Die AfD im Kreistag Wesel hat sich geteilt und ihren Fraktionsstatus verloren. Zwei AfD-Politiker sprechen darüber, was zu dem Bruch geführt hat.

Wenn am Sonntag die Menschen in Nordrhein-Westfalen über einen neuen Landtag abstimmen, dann hofft die AfD auf den Wiedereinzug ins Düsseldorfer Parlament. Aktuelle Prognosen sehen die rechtspopulistische Partei bei einem Stimmanteil zwischen sechs und acht Prozent. Kommt es so, würde sie besser abschneiden als 2017, denn da schaffte sie nur knapp den Sprung in den Landtag.

Damals erreichte die AfD laut Wahlergebnispräsentation des Kommunalen Rechenzentrums (KRZN) bei den Zweitstimmen im Kreis Wesel 7,9 Prozent. Fraglich, ob es in diesem Jahr anders läuft, denn der Kreisverband versinkt seit Monaten in einem internen Streit. Ausgerechnet zum Start der heißen Wahlkampf-Phase wurde der Disput mit einem lauten Knall öffentlich: Mitte März spaltete sich die ehemalige AfD-Fraktion im Kreistag auf und verlor so ihren Status, übrig geblieben sind zwei Gruppen. Jeweils ohne Büro im Kreishaus, ohne Fraktionsstatus.

Hinter diesem Bruch, der für Beobachter alles andere als unerwartet kam, steckt ein Konflikt, der geprägt ist von gegenseitigen Anschuldigungen. Darüber reden will in diesen Tagen nur die eine Seite: die abtrünnigen Fraktionsmitglieder Sebastian Nehnes und Michael Huth. Der Rheinberger und der Dinslakener bilden seit ihrem Austritt aus der Fraktion eine Gruppe im Kreistag, Mitglieder in der Partei sind sie weiterhin und wollen das auch bleiben.

AfD im Kreis Wesel: Streit übers Budget

Es ist ein frühlingshafter Freitagnachmittag, auf das Fenster des Bäckerei-Cafés auf der linken Rheinseite knallt die Sonne. Mehr als zwei Stunden sprechen Nehnes und Huth, die kein Amt in der Partei bekleiden und nicht zu den Landtagskandidaten gehören, hier bei Mineralwasser über die Gründe, die aus ihrer Sicht für das Chaos im AfD-Kreisverband verantwortlich sind. Die beiden Kommunalpolitiker geben sich offen, aber längst nicht alles, was sie erzählen, soll in der Zeitung stehen.

Sommer 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl: Bei einer Sitzung der Kreistagsfraktion, zu der neben Huth und Nehnes noch Olaf Wilhelm aus Dinslaken und der Vorsitzende Renatus Rieger aus Moers gehören, soll es zu einer Diskussion um die Verteilung der Budgets gekommen sein, die der AfD für ihre Arbeit im Kreistag sowie in den Räten in Moers und Rheinberg zustehen.

„Wir hatten rechtliche Bedenken hinsichtlich der Verwendung der Mittel“, sagt Nehnes, was Rieger und Wilhelm mit den Geldern machen wollten, sei aus seiner Sicht nicht erlaubt gewesen. Eine Entscheidung in dieser Sache soll nicht gefallen sein, die Fronten seien seitdem verhärtet. Immer wieder geht es in den folgenden Wochen und Monaten um dieses Thema, so die Schilderungen.

Unterschiedliche Vorwürfe an den Kreisvorstand der AfD

Es ist aber nicht der einzige Grund, der Nehnes und Huth zum Ausstieg aus der Fraktion getrieben hat. Die beiden werfen der Kreisverbands-Spitze um Rieger vor, rechtsextremistische Tendenzen mindestens zu tolerieren. „Wir wollen uns ganz klar abgrenzen von Extremismus jedweder Art“, sagt Nehnes, der sich zusammen mit Huth als Vertreter der AfD aus den Gründungstagen sieht: im Kern konservativ und bürgerlich. Also eher Bernd Lucke und Frauke Petry als Alice Weidel und Björn Höcke.

Im Kreisverband gebe es heute kaum noch jemanden, der die ursprünglichen Positionen der Partei vertrete, in den vergangenen Jahren seien fast alle Mitglieder bewusst ausgetauscht worden. „Die Leute wurden vergrämt und vergrätzt“, sagt Michael Huth. Rieger wolle so einen alleinigen Führungsanspruch sichern. Dabei gehöre es zum System, Leute gegeneinander auszuspielen.

Renatus Rieger will sich vor der Wahl zu den Vorwürfen nicht äußern

Zu den Vorwürfen wollte sich der Kreissprecher Renatus Rieger vor der Landtagswahl nicht mehr äußern, teilte er der Redaktion als Antwort auf eine entsprechende Anfrage mit. Vor einigen Wochen hatte er den Ausstieg von Nehnes und Huth als „Flucht nach vorne“ bezeichnet.

Daniela van Meegeren, stellvertretende Schatzmeisterin und Kandidatin im Wahlkreis 58 (u.a. Voerde, Kamp-Lintfort und Rheinberg), schrieb Anfang Mai eine E-Mail an die Redaktion, in der es hieß, das gezielt Falschinformationen über den Kreisvorstand nach außen getragen würden. Der Partei solle durch den Austritt aus der Fraktion im Wahlkampf „ein finanzieller und reputativer Schaden“ zugefügt werden. „Wir handeln nach dem Gesetz und sind der wiedergewählte Kreisvorstand“, so van Meegeren. Sie widersprach auch dem Vorwurf, dass der Kreisverband politisch weit rechts stehe.

Beim Kreisparteitag im Januar wurde unter anderem Huth und Nehnes vorgeworfen, sich parteischädigend verhalten zu haben – formuliert wurden die Vorwürfe in teils seitenlangen Anträgen, die der Redaktion vorliegen. Die Ex-Fraktionsmitglieder bezeichnen das wiederum als Kampagne, die ihrem Ruf schädigen sollte. Austreten aus der Partei wollen sie dennoch nicht, sondern sich in der AfD weiterhin für bürgerlich-konservative Werte einsetzen, wie sie sagen. Dabei hoffen sie auf Unterstützung aus dem Landesvorstand. „Wir wollen zurück zu den Wurzeln“, betont Huth. Wie die Wählerinnen und Wähler im Kreis Wesel das sehen, könnte sich am Sonntag zeigen.

Korrektur: In einer früheren Version hatte es im zweiten Absatz geheißen, dass die AfD vor fünf Jahren – wäre es damals nach den Wählerinnen und Wählern im Kreis Wesel gegangen – nicht in den Landtag eingezogen wäre, da sie zwischen Moers, Sonsbeck, Hamminkeln und Dinslaken nur 4,7 Prozent der Stimmen geholt hat. Das ist nicht korrekt, da es sich bei den 4,7 Prozent um das Ergebnis der Erststimmen auf Kreisebene handelt. Nicht aber die Erststimme, sondern die Zweitstimme entscheidet darüber, ob eine Partei in den Landtag einzieht. Der Wahlergebnispräsentation des Kommunalen Rechenzentrums (KRZN) zufolge erreichte die AfD damals bei der Zweitstimme 7,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Kreis und hätte damit die Fünf-Prozent-Hürde erreicht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.