Wesel. Spannender Tag auf der Baustelle der Südumgehung: Eine 69 Meter lange Brücke wird an ihren Platz an der Bahnlinie Oberhausen-Emmerich geschoben.

Der wohl schwierigste Abschnitt beim Bau der Südumgehung in Wesel startet am Freitagmorgen um acht Uhr morgens: Im Schneckentempo wird die rund 10.000 Tonnen schwere Brücke, die seit Januar auf der Baustelle entstanden ist, an seinen Platz an der Bahnlinie Emmerich-Oberhausen geschoben. Dafür haben die Arbeiter in den vergangenen Tagen bereits den Bahndamm und die Schienen abgetragen und vier Verschubbahnen verlegt – breite, gelbe Schienen, auf denen das Bauwerk, angeschoben von acht Hydraulikpressen, Zentimeter für Zentimeter an seinen Bestimmungsort gerückt wird.

Spannend ist der Bauabschnitt deshalb, weil der Zeitplan keine Verzögerung erlaubt. Die Bahn, die künftig über die Brücke fährt, pausiert derzeit für vier Wochen bis zum 23. Juli. Drei Jahre im voraus ist der Termin festgelegt worden, eine Verlängerung ist ausgeschlossen. Um Zeit zu sparen, sind selbst die Oberleitungspfosten für die Bahnlinie schon auf der Brücke vormontiert worden. Das 69 Meter lange, 23 Meter breite und 9,50 hohe Bauwerk muss nun noch gut 70 Meter bis zu seinem Bestimmungsort zurücklegen.

Die Südumgehung soll die Innenstadt um 70 Prozent entlasten

Das lockt viel Publikum auf die Baustelle, darunter Kreisdirektor Ralf Berensmeier, den 1. Beigeordneten der Stadt Wesel, Klaus Schütz, und die Landtagsabgeordnete Charlotte Quik. Sie alle wollen sich das Spektakel nicht entgehen lassen. Die Südumgehung ist zweifellos ein wichtiges Projekt für Wesel, das Staatssekretär Dr. Hendrik Schulte vom NRW-Verkehrsministerium vor Ort als „Aufwertung für den Ortskern“ mit mehr Lebensqualität bezeichnet.

Denn die insgesamt 3,8 Kilometer lange Straße soll nach ihrer Fertigstellung 70 Prozent des Durchgangsverkehrs aus der Stadt fern halten - täglich queren mehr als 17.000 Fahrzeuge die Stadt.

152 Hydraulikpressen heben das Brückenbauwerk an

Stephan Huth, Leiter der Abteilung Bau bei Straßen NRW, berichtet von der Anspannung der Arbeiter im Vorfeld. An sieben Tagen die Woche haben sie gearbeitet, den Untergrund befestigt, die vier Verschubbahnen verlegt, alles millimetergenau geplant. Die Erleichterung ist groß, als sich am Morgen um acht Uhr die Brücke erstmals in Bewegung setzt. Zuvor ist sie von 152 Hydraulikpressen um einige Zentimeter angehoben worden, so kann der Koloss sanft und im Schneckentempo auf den Bahnen gleiten.

Arbeiter reparieren eine defekte Hydraulikpresse. Mit Hilfe der Pressen wird die Brücke an der Südumgehung um 70 Meter verschoben.
Arbeiter reparieren eine defekte Hydraulikpresse. Mit Hilfe der Pressen wird die Brücke an der Südumgehung um 70 Meter verschoben. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Obwohl viel Technik im Spiel ist – so überwacht ein Mitarbeiter mit Laptop auf der Brücke den zentimetergenauen Verschub – kann auf Handarbeit nicht verzichtet werden. Arbeiter fetten die Bahnen gründlich ein, andere überwachen die acht Hydraulikpressen, die das Bauwerk mit enormer Kraft Stück für Stück vorwärts schieben. 4000 Kubikmeter Beton und 1100 Tonnen Stahl stecken in der Brücke.

Als nächstes beginnt der Bau der neuen B8-Brücke

Dann plötzlich scheppert es: Eine der Pressen ist herausgefallen. Einen Moment kommt Hektik auf. „Wir haben alle Fachleute vor Ort, so dass wir sofort reagieren können“, erklärt Stephan Huth. Eine halbe Stunde und ein paar Schweißarbeiten später fährt die Brücke wieder an – noch mehr als die Hälfte der Strecke muss sie zurücklegen. Am Abend erreicht die Brücke ihr Ziel.

In den kommenden Tagen werden die Arbeiter damit beschäftigt sein, die Bahnlinie wiederherzustellen, damit der Verkehr ab dem 24. Juli weiter rollen kann. Direkt nebenan beginnen dann bald die Arbeiten für das nächste Brückenbauwerk, auf dem die – derzeit verlegte – B 8 verlaufen wird. Bis zum Frühjahr 2022 soll es fertig sein. Im Frühjahr werden laut Zeitplan auch die Arbeiten für die gut 150 Meter lange Lippebrücke auf dem ersten Teilstück der B 58n direkt hinter der Rheinbrücke beginnen. Dafür sind zwei Jahre eingeplant – im gleichen Jahr soll das erste Stück schon für den Verkehr freigegeben werden. Das Gesamtprojekt wird voraussichtlich 2028 fertig sein.

Eine Fotostrecke von den Arbeiten findet sich hier.