Wesel. Ernst Heyermann hat sein Berufsleben lang mit Süchtigen gearbeitet. Vieles hat sich geändert in dieser Zeit. Und es gibt auch Erfolgserlebnisse.

„Man kann nicht alle retten“, sagt Ernst Heyermann. Seit nahezu 32 Jahren ist er Drogenberater in Wesel und weiß: „Letztlich haben die Menschen selbst die Verantwortung für ihr Leben.“ Jetzt steht der 63-Jährige vor dem Ruhestand, hat die Entwicklung der Szene in den vergangenen drei Jahrzehnten mitbekommen. Einiges ist anders geworden seitdem.

„Es gab eine große offene Drogenszene in Wesel, am Hintereingang des Dudel“, erinnert er sich. Rund 40 Leute seien das gewesen und die Stadt Wesel habe ihn als Streetworker eingestellt, aus eigenen Mitteln, denn sonst wäre der Kreis für die Finanzierung zuständig gewesen. https://www.nrz.de/staedte/wesel-hamminkeln-schermbeck/drogenberatung-wesel-kritisiert-versorgung-suechtiger-id214887423.html

„Am ersten Tag hatte ich Herzklopfen“, räumt Heyermann ein, „aber ich hatte Glück. Ein Klient, der mich von der Drogenberatungsstelle kannte, hat mich mitgenommen und eingeführt.“ Es gehe und ging nicht darum, die Leute zu bequatschen. „Es geht um Angebote, Informationen, wenn die Süchtigen sie wollen.“

Früher Tod durch Drogencocktail

Und mal um ein belegtes Brötchen und Kaffee. Alkohol, Kokain und starke Beruhigungsmittel konsumierten die Süchtigen damals, „eine Kombination die mitunter tödlich ist“. Auch der Mann, der den Drogenberater am ersten Tag in die Szene einführte ist, tot. Mit 40 machte der Kreislauf nicht mehr mit, „es war von allem zuviel“.

Einiges hat sich seit diesen Jahren geändert. „Die Therapie dauerte seinerzeit eineinhalb Jahre, heute sind es vier bis sechs Monate“, sagt Heyermann. „Die haben noch geübt zu der Zeit.“ So sei die Therapie demütigend gewesen, „es gab die Ideologie wer Drogen nimmt, hat eine schlechte Persönlichkeit. Die müsse man kaputt machen und neu aufbauen.“ Heute seien die Therapien deutlich besser, es gebe weniger Rückfälle.

Kontaktladen als Anlaufpunkt – Süchtige kamen wie sie waren

Anfang der 90er Jahre wollte die Stadt die offene Drogenszene auflösen, „alle Bänke kamen weg, ‘wehrhafte Sträucher’ mit Dornen wurden gesetzt, Videokameras installiert. „Der Erfolg war, dass die Leute auf der Hohen Straße schlenderten, das hat unsere Arbeit nicht leichter gemacht.“

Weil die Wohnsituation der Menschen desolat war, es gab Notunterkünfte im alten Schlachthof, eröffnete die Drogenberatung den Kontaktladen. „Hier konnte man hingehen, sich waschen, die Kleidung in die Waschmaschine stecken.“ Die Menschen kamen, „sie konnten kommen, wie sie waren. Konsumieren durften sie aber hier nicht und zur Beratung kamen sie nüchtern.“

Waschmaschine und Dusche liefen ständig und mancher entschloss sich auch zur Entgiftung. „Den Kontaktladen gibt es seit zehn Jahren nicht mehr, die Wohnsituation war besser geworden. Heute ist sie wieder katastrophal“, sagt Heyermann. https://www.nrz.de/staedte/wesel-hamminkeln-schermbeck/leiter-der-drogenberatung-gras-ist-keine-einstiegsdroge-id213521167.html

Ende der 90er Jahre kam Methadon zum Einsatz, anfangs eine Leistung des Sozialamtes unter strengen Bedingungen, heute eine kassenärztliche Leistung. Heute gibt es rund 90 Substituierte in Wesel. „Seit es Methadon gibt, werden die Leute auch älter. Viele sind 40 bis 50 Jahre alt, auch 60. Die älteste Person ist 80 Jahre. Manche kenne ich, seitdem ich angefangen habe.“

Psychosen als Folge des hohen THC-Gehalts in Cannabis

Andere Drogen haben die Szene erobert, es gab am Anfang keine Amphetamine und Cannabis war deutlich harmloser. „Marihuana hatte neun bis zwölf Prozent THC, heute sind es 20 bis 25 Prozent. Das scheppert ganz ordentlich im Gehirn und mach seelisch abhängig.“

Die Folge seien Psychosen - die Menschen hören Stimmen, haben Verfolgungswahn, fühlen sich ferngesteuert. „Viele junge Leute betrifft das, aber auch erfahrene Cannabiskonsumenten.“ Die meisten Weseler Suchtkranken sind von Opiaten und Cannabis abhängig, Christal Meth gebe es hier, zum Glück, nicht.

Nach 32 Jahren im Beruf bleibt die Frage: Drogenberatung, bringt das etwas? „Auf jeden Fall!“, sagt Heyermann. Er erzählt von der jungen Frau, die eine Therapie machte, ihr Kind bekam, heute Friseurmeisterin ist und Lehrlinge ausbildet. Oder der Mann, der in der Therapie die Liebe zum Saxophon entdeckte und heute Berufsmusiker ist. Er kann weitere nennen.

„Es gibt Erfolgserlebnisse“, sagt Heyermann. Manchmal hört er in der Nachsorge den Satz „wenn es Euch nicht gegeben hätte….“. Und – hat er erreicht, was sich mal der junge Streetworker vorgenommen hatte? „Ja, das habe ich hingekriegt.“