Oberhausen. Oberhausens erste klimaneutrale Inszenierung ist kein Spar-Theater: Die Bühne ist voller Musiker, Tänzer und tierisch guter Akteure.
Ob diese Uraufführung von „BamBam Bambi“, frei nach der Tiergeschichte von Felix Salten, tatsächlich als klimaneutrale Produktion gelten darf, wird erst die exakt errechnete Bilanz am Ende der Spielzeit erweisen. Eines ist das Bemühen um eine möglichst klimafreundliche Inszenierung aber nicht: Theater aus der Spardose. Ganz im Gegenteil: Der vor allem dank seines Grenzen überschreitenden Musiktheaters bekannte Regisseur und Komponist Anselm Dalferth geht in die Vollen. Die Bühne ist überaus ansehnlich gefüllt mit drei Musikern, fünf Schauspielern und zwei Tänzern aus dem neuen „Urban Arts“-Ensemble.
Während zur klassisch-zart tönenden Ouvertüre die Drehbühne kreiselt, bietet sich ein Bild fast verwirrender Fülle: Im Wald lässt sich leicht die Orientierung verlieren. Zumal Bühnen- und Kostümbildnerin Mareile Krettek etliche Ebenen, verbunden mit Schrägen zum Herabrennen und -rollen, aus schlichten Bauteilen geschaffen hat, die sich zudem als Projektionsflächen eignen für Wald- und blühende Wiesenbilder. Sichtbar „sparsam“ gestaltet ist allein die Kluft der Waldbewohner: ein sportlicher Outdoor-Look in Naturfarben von Khaki bis Orange, in dem das Ensemble auch stracks zur Wochenend-Wanderung aufbrechen könnte . . . wären da nicht die aparten Papp-Ohren für das Reh-Rudel.
Susanne Burkhard als intriganter Elster genügt sogar ein einzelner Papp-Flügel, um in ihrer Rolle als süffisante Mahnerin und in roten Strümpfen staksende Furchteinflösserin vollends zu überzeugen: Sie raunt von „der Gefahr“, ohne konkret zu werden. Für die mütterliche Überforderung von Klaus Zwick fand Anselm Dalferths „Stückentwicklung“ einen so überraschenden wie überzeugenden Coup: In manchen Szenen „verfünffacht“ sich Bambi, dann löchert rund um Oliver El-Fayoumy in der eigentlichen Kitz-Rolle ein Mini-Rudel die Mama mit amüsant choreografierten Fragen.
Beim Kennenlernen des Waldes und seiner Bewohner sorgt neben der stimmungsvollen Live-Musik, dargeboten im Fransenlook-Mummenschanz, das Paar aus der „Urban Arts“-Truppe für große Schauwerte. Den ersten Szenenapplaus erhalten Laelle Makazu und William Hayibor Venous für ihr „Battle“ als streitlustige Eichelhäher, angetan mit weißen Helmen und borstigen „Irokesen“-Schöpfen. Dabei zeigen beide auch in stilleren Szenen große Bewegungs-Kunst, die sogar das Wachsen eines Baumes bestechend ins Bild setzt.
Ob als Grashüpfer oder als Schmetterling: Tänzer und Tänzerin bezaubern nicht nur das großohrig staunende Rehkitz. Nur bei den „Prinzen“ kommt in diesem erstaunlich nah Saltens Geschichte folgendem Schauspiel eher die Disney-Filmversion zum Zuge: Denn die ausladenden Papp-Geweihe der „Fürsten des Waldes“ sind eindeutig von Hirschen inspiriert. Echte Rehe haben wohl einfach nicht genug Gehörn vorzuweisen. Zudem trägt Khalil Fahed Aassy als Bambis Vater einen jener Zottelpelze, der noch aus Kathrin Mädlers streng stilisierter Inszenierung von „Zeit für Freude“ zu stammen scheint.
„Bambi“ verkraftet auch ein bisschen Volkshochschule
Gut platzierte Intermezzi in der Salten‘schen „Lebensgeschichte aus dem Walde“ von 1923 erzählen von den jüngsten Erkenntnissen zum „Superorganismus“ der Bäume. Das ist fast purer Peter Wohlleben, Deutschlands so umwelt- wie medienbewusster Oberförster. Doch die insgesamt straffe, zwischen komödiantischen und Spannungs-Momenten fein austarierte Inszenierung verkraftet auch ein bisschen Volkshochschule.
Zumal die Treibjagd-Szene wahrlich packend und ohne Pardon ins Szene gesetzt ist. Als Bambi und seine Gang zum ersten Mal in der Ferne Menschen erblicken, sich vor dem „stechenden Geruch“ grausen, fährt im Zuschauersaal des Großen Hauses das Licht hoch: ein böse-satirischer Moment. Vor der Treibjagd springen oder flattern nach und nach die Tiere davon. Bambi findet einige sterbend, seine Mutter gar nicht wieder: Das ist mit solchem Furor gespielt, dass Eltern der Empfehlung des Theaters „12 +“ wirklich folgen sollten.
Dreimal „Bambi“: als Vater, als Rächer und im flammenden Inferno
Ihren Spaß haben die Teenager im Premierenpublikum dann bei den Schluss-Szenen, die eben nicht nur einmal, sondern in drei Varianten daherkommen. Ein betont süßlich überinszeniertes Finale zeigt Bambi als „Prinzen“ und stolzen Vater. Danach ballert „BamBam Bambi“, der Rächer mit einer Papp-MP in jeder Hand, dass die blutroten Tücher nur so aus den Körpern der Jäger spritzen: bejubelte Action, Tarantino-Style. Der Realität eines immer wieder auflodernden Planeten kommt wohl leider das Feuersbrunst-Finale am nächsten, das Khalil Fahed Aassy - zuvor ein so witziges Eichhörnchen - zum verlorenen Flüchtling macht.
Die eigentliche Klimabilanz für „BamBam Bambi“ steht noch aus. Künstlerisch kann dieser überaus ideenreiche und meist stilsichere Genre-Mix bereits überzeugen.
15 „Bambam Bambi“-Vorstellungen und vier Gutschein-Chancen
Für „Bambam Bambi“ sind bis zum Ende der Spielzeit bereits 15 Vorstellungen angesetzt, darunter auch einige Vormittags-Termine für Schulklassen. Karten für die klimafreundliche Produktion im Großen Haus gibt‘s von 11 bis 23 Euro, ermäßigt zu 5 Euro. Reservierungen über das Kartentelefon, 0208 8578 184, oder per Mail an service@theater-oberhausen.de
Teil der Klimabilanz bis zum Ende der Spielzeit sind übrigens auch die Verkehrsmittel der Theaterbesucher: Sie werden deshalb im Foyer kurz zur Wegstrecke und dem Transportmittel ihrer Wahl befragt. Wer in den Monaten März bis Juni jeweils die längste Fahrrad-Anreise zum Will-Quadflieg-Platz absolviert hat, erhält zwei Theatergutscheine.