Oberhausen. Wegen des hohen Krankenstandes fallen viele Busfahrten in Oberhausen aus. Gewerkschaft attackiert den Stoag-Chef: Er sei „beratungsresistent“.
Nach fünf Monaten hatte Andreas M. (Name geändert) genug von der Stoag. „Die Neuen waren einfach Lückenfüller“, berichtet der 26-jährige Busfahrer dieser Redaktion. Ständig habe er erst am Nachmittag erfahren, wie er am nächsten Tag arbeite. Weil Personal und Zeit knapp sind, wurde er nur auf drei Linien eingearbeitet. „Sie sagten mir, nach Feierabend könnte ich ja in anderen Linien mitfahren, um diese zu lernen – unbezahlt.“ Andreas M. wechselte den Betrieb, arbeitet jetzt in Gelsenkirchen und ist glücklich. „Jetzt läuft es ganz anders.“
In den sozialen Netzwerken ist eine Diskussion über das Oberhausener Verkehrsunternehmen entbrannt. Aufgrund des hohen Krankenstandes musste die Stoag bereits eine ganze Linie einstellen – und bastelt jetzt sogar an einem Notfall-Fahrplan, mit dem ab Ende Januar bis zu zehn Prozent des bisherigen Angebots gestrichen werden soll. Schon seit Monaten fallen Fahrten immer wieder überraschend und plötzlich aus, Fahrgäste warten vergeblich in Kälte und Regen an den Haltestellen, sind äußerst frustriert. In der Spitze fehlen wegen Krankheit ein Fünftel der Belegschaft.
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Attacke von Verdi: Stoag-Chef hat „kein Ohr für die Belegschaft“
Wir haben mit zwei früheren, von der Stoag ziemlich enttäuschten Busfahrern gesprochen. Ihre Schilderungen werfen kein gutes Licht auf das Arbeitsklima bei der Stoag. Auch der aktuelle Stoag-Betriebsrat kritisiert die derzeitige Situation und das Betriebsklima. Und die Gewerkschaft Verdi attackiert Stoag-Chef Werner Overkamp und macht ihn für die schlechte Stimmung verantwortlich.
Seit Monaten greift die Gewerkschaft Verdi die Stoag wegen der schwierigen Bedingungen für die insgesamt 450 Beschäftigten an, macht in Flugblättern darauf aufmerksam. Sie sieht einen Hauptverantwortlichen für die Lage, nämlich den Stoag-Chef selbst. „Werner Overkamp ist beratungsresistent und hat kein Ohr für die Belegschaft“, sagt Gewerkschaftssekretär Dennis Kurz im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Geschäftsführer gehe nicht auf die Wünsche der Busfahrerinnen und Busfahrer ein und pflege einen veralteten Führungsstil. Bei einer Betriebsversammlung im vergangenen Monat habe es deshalb geknallt. „Wir sehen dringenden Handlungsbedarf“, sagt Kurz. Kaum jemand sei noch glücklich bei der Stoag, der Druck werde „von oben nach unten“ weitergegeben. „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her, ganz besonders bei der Stoag.“
Stoag-Chef wehrt sich: „Hier herrscht kein raues Klima“
Werner Overkamp ist ein erfahrener und anerkannter Bus- und Bahnmanager: Er führt bereits seit 20 Jahren das kommunale Verkehrsunternehmen in Oberhausen, ist derzeit sogar Vizepräsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Sein Vertrag läuft 2025 aus, er geht dann in den Ruhestand. Der studierte Bauingenieur (RWTH Aachen) mit Schwerpunkt Verkehrswesen wehrt sich gegen solche schweren Vorwürfe gegen seine Person und seinen Führungsstil. „Hier herrscht kein raues Klima, wir richten uns sehr nach den Wünschen unserer Fahrerinnen und Fahrer, wann sie wie eingesetzt werden wollen“, sagt Overkamp der Redaktion. „Die Stoag hat in der Branche ein sehr gutes Image als attraktiver Arbeitgeber, sonst würden sich hier bei uns nicht sehr viele Fahrerinnen und Fahrer um einen Arbeitsplatz bewerben. Allein in diesem Jahr haben wir 55 neue Beschäftigte eingestellt.“ Dass dies nicht alle Busfahrerinnen und -Fahrer genauso sehen würden, sei klar. „Es gibt doch überall ein paar Unzufriedene und Meckerer, mit den Zufriedenen wird in der Regel aber nicht gesprochen.“
Ein weiterer Unzufriedener ist ein 27-jähriger Busfahrer, der sich von der Stoag in seinem Arbeitsleben viel versprochen hatte. Er hat ebenfalls ein schlechtes Klima in der Belegschaft ausgemacht. Der Busfahrer arbeitete fast fünf Monate bis zum Frühjahr 2023 bei der Stoag. Er kommt aus Oberhausen, wechselte von der Rheinbahn hierhin, um seine tägliche Pendelstrecke zu verkürzen. „Im Vorstellungsgespräch wurden mir ganz andere Dinge versprochen“, berichtet er gegenüber der Redaktion von seiner Enttäuschung. Einen richtigen Dienstplan gab es für ihn nicht, er musste ständig sogenannte „Verfügungsfahrten“ machen. Erst um 14 oder 15 Uhr habe er erfahren, wie er am nächsten Tag arbeite. Nach drei Monaten habe er mal nachgefragt, ob dies nicht anders organisierbar wäre. „Man kann ja so nicht mal Arzttermine wahrnehmen.“ Es sei aber nur auf die schwierige Personalsituation verwiesen worden. „Es gab kein Entgegenkommen.“ Nach viereinhalb Monaten kündigte er und wechselte wieder zur Rheinbahn. „Jetzt habe ich einen Dienstplan fürs ganze Jahr.“
Stoag-Betriebsrat kritisiert Einsatzpraxis von neuen Busfahrern
Die Einarbeitungspraxis der Stoag für neue Kräfte wird auch vom Betriebsrat kritisiert. „Das passiert nur, wenn man zu wenig Personal hat“, sagt der Vorsitzende Norbert Ricken dieser Redaktion. Neue Arbeitnehmer würden in den Dienstplan geschoben, „sobald sie eine Linie können“. Doch dadurch sinke die Motivation. Wer viele Linien fahren kann, kann auch anders eingesetzt werden.
Norbert Ricken nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Stimmung ist sehr angespannt in der Belegschaft.“ Es habe immer mal wieder Spitzen im Krankenstand gegeben. „Aber so hoch war er noch nie.“ Diese Tatsache eines hartnäckigen Rekord-Krankenstandes bestätigt auch Stoag-Geschäftsführer Werner Overkamp. Er bestreitet allerdings, dass der hohe Krankenstand irgendetwas mit dem aktuellen Betriebsklima in seinem Unternehmen zu tun hat. „Fragen Sie doch mal bei der Ruhrbahn, bei der Deutschen Bahn, bei der Vestischen oder in Düsseldorf nach, alle Verkehrsunternehmen kämpfen derzeit mit einer unglaublich starken Erkältungs- und Coronawelle. Das liegt doch nicht am Betriebsklima.“
Stoag-Betriebsrat: Busfahrer kriegen den Frust ab
Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi hat der Personalmangel allerdings erhebliche negative Folgen für den Einzelnen. Es müssten viele belastende Überstunden absolviert werden, nun werden insgesamt 3000 freie Tage ins kommende Jahr mitgenommen. Und die Mitarbeitenden, die noch im Dienst sind, bekommen den Unmut an den Haltestellen zu spüren: „Die Busfahrer kriegen den Frust ab“, sagt Norbert Ricken. Schon vor Monaten forderte der Betriebsrat, dass ausfallende Busse auch auf den flexiblen Info-Displays an den Haltestellen konkret angezeigt werden. Stattdessen werde nur der nächste ankommende Bus gemeldet, wodurch dieser Busfahrer wütende Fahrgäste beruhigen müsse. Die Stoag-Führung hält aber konkrete Infos über Busausfälle technisch für unmöglich, da dafür die Größe der Displays nicht ausreiche.
Stoag-Geschäftsführer Werner Overkamp hat eine andere Wahrnehmung von der Realität in seiner Firma als die früheren Busfahrer oder die Gewerkschafter. Man habe im Grunde eine ausreichende Zahl an Fahrpersonal. „Um den optimalen Personalstand in Höhe von 307 Mitarbeitenden im Bereich Fahrpersonal zu erreichen, fehlen der Stoag drei bis vier Mitarbeitende.“ Man habe allerdings nur mit einem Krankenstand von 14 Prozent kalkuliert, das sei schon viel höher als die normale Fehlquote von acht Prozent.
Oberhausener Stoag leidet unter hohem Krankenstand
Overkamp räumt ein, dass die Arbeitsbelastung durch den Krankenstand von über 20 Prozent ähnlich wie bei anderen Verkehrsunternehmen insbesondere für die verbleibenden Fahrerinnen und Fahrer in diesen Wochen übermäßig hoch sei. „Leider sind nicht alle Beschäftigten bereit, in diesen Zeiten Überstunden zu leisten und dafür auf Freizeit aktuell zu verzichten.“ Und diejenigen, die überhaupt Überstunden machen, wollen diese oftmals nicht bezahlt bekommen, sondern dafür, bedauerlicherweise aus Stoag-Sicht, lieber den Freizeitausgleich nehmen. So oder so beobachte die Stoag-Spitze die angespannte Situation: „Die Arbeitsbedingungen, die der Tarifvertrag vorgibt, werden nicht ausgeschöpft, um den Arbeitsbelastungen der Mitarbeiter Rechnung zu tragen.“
Und wie sieht es mit dem Vorwurf aus, dass Fahrer ihre Dienstzeiten nicht kalkulieren könnten? „Natürlich sind die Dienstpläne, wann eine Fahrerin oder ein Fahrer im Dienst ist oder frei hat, verlässlich. Hier ist zu unterscheiden, ob die Fahrerin oder der Fahrer fest zugeteilte Dienste oder Verfügungsdienste hat. Das Fahrpersonal, das im Verfügungsdienst eingeteilt ist, erhält in gewissen zeitlichen Abständen einen konkreten Dienst, der bis 11 Uhr am Vortag vergeben wird. Um kurzfristigen Krankmeldungen Rechnung zu tragen, kann die Diensteinteilung sich auch in den frühen Nachmittag verschieben.“
Oberhausen: Stoag mit Personalentwicklung zufrieden
Insgesamt lobt Overkamp seine 450-köpfige Belegschaft. „Ich habe hohen Respekt vor der Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir können stolz darauf sein, was die Teams alles geleistet haben.“ So zeigt sich Overkamp mit der aktuellen Personalentwicklung „sehr zufrieden“. Von den 55 neu eingestellten Beschäftigten in diesem Jahr hätten nur neun Personen im Fahrdienst von sich aus gekündigt.
Einer davon ist Andreas M. „Ich bin froh, dass ich jetzt wieder bei meinem alten Arbeitgeber bin“, sagt er. „Und meine Familie auch.“