Oberhausen. Das mächtige Gebäude kennt jeder in der Oberhausener City: Das Europahaus. Früher mit Läden und Kneipen, jetzt oft mit Leere. Doch es gibt Ideen.

  • Die Innenstädte der Zukunft werden weniger aus stationären Geschäften bestehen, als aus Wohnungen, Behörden, Unternehmen, Kneipen und Restaurants.
  • Alle Stadtplaner versuchen, in Zeiten des Online-Einkaufs die Erlebnisqualität in den Innenstädten zu erhöhen.
  • Ein über viele Jahre bereits bewährtes internationales Konzept der Stadtplaner ist es, Künstlerinnen und Künstler einzubinden. Sie machen oft jede City attraktiver, genannt werden Beispiele wie Barcelona und Genua. Nun zieht Oberhausen nach.

Fünfzig laufende Meter Schaufenster direkt am Friedensplatz, mehr als 200 Quadratmeter Ausstellungsfläche voll mit spannender Kunst – das Atelier auf Zeit auf der Elsässer Straße kann sich buchstäblich sehen lassen. Bis Mitte November präsentieren drei Künstlerinnen und ein Künstler an der Elsässer Straße 17 ihre Werke im Rahmen der Creative City. Das Projekt soll die Innenstadt beleben und macht aus der Not eine Tugend, indem es einen Leerstand wie das Ladenlokal im Europahaus in ein Atelier zeitgenössischer Kunst verwandelt.

Petra Ehrhardt, Simone Kamm, Sabine Reimann und Wolfgang Kleinöder stellen ihre in Stil, Form und Technik höchst unterschiedlichen Werke aus, die im Wechselspiel eine einzigartige kreative Magie an einem Ort entfalten, an dem früher Pelzmäntel verkauft wurden.

Europahaus in der Innenstadt: Leerstand weitete sich aus

Füllen den Leerstand im Europahaus mit künstlerischem Leben: (von links) Simone Kamm, Petra Ehrhardt und Wolfgang Kleinöder
Füllen den Leerstand im Europahaus mit künstlerischem Leben: (von links) Simone Kamm, Petra Ehrhardt und Wolfgang Kleinöder © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Leerstand im denkmalgeschützten Eurohaus hatte sich zuletzt ausgeweitet. Nach dem Auszug von Geschäften und einem schweren Brand hatte auch das Café Klatsch seinen Standort aufgegeben. Die Links-Partei ist nach dem Anschlag auf das Büro ebenfalls umgezogen. Die neue Eigentümerin, die V&L-AG, bemüht sich nach eigener Aussage um neue Mieter und eine Sanierung des Gebäudes. Ein Teil der Geschäftsräume an der Elsässer Straße hat jetzt die Stadt für Kunstprojekte angemietet.

Wolfgang Kleinöder nennt seine Kunst „optische Poesie“, eine offensichtliche Untertreibung. Er verbindet Worte, Texte oder Gedichte mit seinen Fotografien und schafft damit eine neue Ebene der Wahrnehmung des Offensichtlichen und Überraschenden. „Ich kombiniere Bild und Text und möchte dadurch neue Sichtweisen ermöglichen,“ sagt er selbst über seine Kunst. Er hat geschlossene Ladenlokale in Oberhausen fotografiert, um ihnen per Software neue Schilder über dem Eingang zu geben. So mutiert das Geschäft zu einer „Ich-AG“, einer „Bad Bank“ oder zu einem „Ausreisezentrum“. Mit diesen provokativen Schlagworten aus den Nachrichten und der öffentlichen Debatte entlarvt er sie als hässliche Orte eines gescheiterten Geschäftsmodells. >>> SPD sieht Chancen auf zweites Kino in der Innenstadt

Künstler: Werke beschäftigen sich mit dem Ukraine-Krieg

Optisch und poetisch ist auch seine Mahnung angesichts des Ukraine-Kriegs. Wolfgang Kleinöder brachte das Sprechgedicht „schtzgrmm“ des Autors Ernst Jandls, aus dem alle Vokalen verbannt wurden, auf eine braune LKW-Plane auf. Damit thematisierte er die Brutalität des Krieges. Eigentlich beruht das Gedicht auf den Erfahrungen des Dichters (1925-2000) aus dem Zweiten Weltkrieg, hat aber im Ukraine-Krieg nichts von seiner Bedeutung verloren, wenn die Silben wie Maschinengewehrsalven und Granateinschläge klingen. Am Ende steht nur t-tt für tot.

Wolfgang Kleinöder verbindet Texte mit Fotografien. Seine Werke sind jetzt im Oberhausener Europahaus zu sehen.
Wolfgang Kleinöder verbindet Texte mit Fotografien. Seine Werke sind jetzt im Oberhausener Europahaus zu sehen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Sabine Reimann zeigt Gemälde, unter anderem großformatige Frauenporträts mit Ölfarben auf Holz, die an berühmte Stillleben der Maler des Mittelalters erinnern. Die Frauen schauen den Betrachter ernst an und sind auf den ersten Blick mit einem Kranz aus bunter Blütenpracht geschmückt. Auf den zweiten Blick enthüllt sich das Motiv in den Arbeiten der Künstlerin. Die Bilder sind gespickt mit Symbolen der Vergänglichkeit, wie der Schein einer Kerze im Auge. „Ich möchte die jungen Frauen der Generation Z zeigen“, so Sabine Reimann, „und darstellen, dass in der Vergänglichkeit auch etwas Schönes steckt.“ Die Botschaft ist einfach: Alles ist kurzlebig, lebe im Moment.

„Licht im Schacht“: Objekte lassen Zechen-Historie auferstehen

Simone Kamms Lichtobjekte entstehen oft als Projekte mit Kindern, wie der Friedensengel im Rathaus. In der Galerie auf Zeit zeigt sie eigene Arbeiten wie „Licht im Schacht“, das die längst vergangene Zechen-Historie Oberhausens mit Symbolen und Fotos auferstehen lässt. Einmal mehr verwandelt sie ihr handgeschöpftes Papier aus Spargelschalen zu einem einzigartigen Zellstoff, der zerbrechlich wirkt und das Licht der LED-Leuchten im Innern zu unverwechselbaren Installationen werden lässt. „Facetten meiner Heimat“, nennt Simone Kamm das und bedauert, „dass es den selbstverständlichen Zusammenhalt wie in der Subkultur des Bergbaus nicht mehr gibt.“

Macht aus Gegenständen Kunst: Petra Ehrhardt.
Macht aus Gegenständen Kunst: Petra Ehrhardt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die optische Poesie eines Wolfgang Kleinöders, die symbolhaltigen Gemälde einer Sabine Reimann und die sphärisch-schönen Lichtobjekte einer Simone Kamm sind mit diesen Beschreibungen zu fassen. Schwieriger zu fassen ist die Kunst der Petra Ehrhardt. Sie selbst bezeichnet sich als „Transformerin“ und tatsächlich verwandelt sie alles, jedes Material, das sie in die Hände bekommt, in eine Explosion der Kreativität. Es verwundert nicht, dass sie von Bildern über Installationen bis hin zu Speckstein-Figuren die breiteste Palette der vier Künstler auf der Elsässer Straße zeigt.

Kunst im Europahaus: Kleiderständer verwandelt sich in buntes Wirrwarr

Als Beispiel mag ihre Installation „Die drei Grazien“ dienen, die von ihr selbst wie alle ihre Werke nur Symbole und keinen Namen erhielt. In einem früheren Leben ein gewöhnlicher Kleiderständer, steht dieses bunte Wirrwarr verschiedener Materialien, Fäden, Perücken, Plastikblumen, Holzkugeln und Handschuhen nun im Schaufenster und lockt die Fußgänger. Wie das Original von Raffael aus dem 16. Jahrhundert stehen die Figuren rechts und links nach vorne gewandt, die dritte schaut nach hinten. Damit endet die Verwandtschaft der Kunstwerke.

Der Name verrät es, das Atelier auf Zeit ist nicht von Dauer, aber nach der Kunst ist vor der Kunst. Dem einmaligen Projekt wird dauerhaft die Artothek vom Schloss in die Innenstadt folgen.