Mülheim. Als Roma in Mazedonien haben sie in ihrer Heimat kaum eine Perspektive, hoffen auf Asyl. Nun leben sie in der ZUE in Mülheim – und erzählen.
Knapp 600 Menschen sind in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) an der Parsevalstraße untergebracht. Die öffentliche Debatte rund um die Unterkunft hat verschiedene Akteure auf den Plan gerufen. Davon ausgenommen: Die Bewohnerschaft der ZUE selbst. Wie verbringen sie ihren Alltag in Raadt, bekommen sie die Diskussionen rund um ihren Einzug mit? Ein Paar berichtet.
„Hier geht man ein wie eine Pflanze, die nicht gegossen wird“, sagt A. Der 60-Jährige ist seit einem Monat Bewohner in der ZUE, gemeinsam mit seiner Frau (52) wohnt er in einem der zahlreichen Zimmer, die in dem ehemaligen Bürokomplex für Geflüchtete eingerichtet worden sind. „Unser Zimmer ist gut“, sagt er. „Aber mehr Gutes kann ich nicht nennen.“
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A. und seine Frau, die lieber komplett anonym bleiben möchte, sind Roma aus Mazedonien. In ihrer Heimat, so berichten die beiden, seien sie harten Repressalien und strukturellem Rassismus ausgesetzt. Jahrzehntelang habe sich A. als Tagelöhner durchgeschlagen. „Ich habe auf Feldern und Baustellen geschuftet, aber der Körper kann nicht mehr.“
Er sei längst nicht mehr so fit wie andere Arbeiter und damit keine begehrte Kraft mehr. Und auch die 52-Jährige klagt: „Ich war früher putzen, wenn mich jemand genommen hat, aber das kann ich nicht mehr.“ Sie leide unter Bluthochdruck, habe Probleme mit dem Herzen. Der Arztbesuch sei in Mazedonien ohne ein Einkommen nicht zu leisten. „Wir sind zu krank zum Arbeiten und zu arm, um krank zu sein“, sagt A.
Von Mönchengladbach nach Mülheim: „Das war ganz anders als hier“
Vor ihrer Unterbringung in Mülheim lebte das Paar in einer Unterkunft in Mönchengladbach, wartete dort auf die Bearbeitung der Asylanträge. „Das war ganz anders als hier.“ Die Abläufe seien geregelt gewesen, es habe Freizeitangebote und Möglichkeiten zum Aufenthalt im Freien gegeben. „Das fehlt uns hier. Wir können nicht mal im Hof an der frischen Luft sitzen.“
Die Bezirksregierung erklärt dazu auf Nachfrage, dass es in der ZUE „eine Vielzahl von Freizeitangeboten für die dort untergebrachten Menschen“ gibt. So könnten Kinder in einer Spielstube spielen, malen und basteln, für Jugendliche gebe es einen Jugendfreizeittreff sowie Sport- und Bewegungsangebote. „Auch Erwachsenen werden tagesstrukturierende Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten“, so Sprecherin Beatrix Van Vlodrop. Dazu gehörten Sportangebote aber auch Kurse für Grundkenntnisse in Deutsch, zum Zusammenleben in Deutschland und zu Alltagskompetenzen.
Mülheimer ZUE: Zahlreiche Freizeitangebote und Kurse
Als Beispiele nennt Van Vlodrop „das Wissen um die bargeldlosen Zahlarten, wie ein Bankkonto geführt, der ÖPNV genutzt wird, wie das Schulsystem in NRW aufgebaut ist und wie man Versicherungen und Verträge abschließt“. Außerdem stünden Frauencafés oder Frauenaufenthaltsräume mit weiblicher Betreuung, Bistroraum, Kicker, Billard und Fernsehraum zur Verfügung, der Gebetsraum sei rund um die Uhr zugänglich. Nach Lieferschwierigkeiten seien nun auch die Tischtennisplatten und Kicker im Freien aufgestellt.
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„Ja es gibt viele Kurse, aber der Tag ist lang. Es ist schön, dass man Sport machen kann, für uns ist das aber nichts mehr.“ Den Großteil ihrer Zeit, erzählen die beiden, verbringen sie auf ihrem Zimmer. „Ich habe die Fenster geputzt, nur, um etwas zu tun“, sagt die Frau. Soziale Kontakte hätten sie im „Hajam“, wie die beiden die ZUE nennen, kaum. „Die meisten hier sind Araber oder Afrikaner“, schildert A. Vom Balkan gebe es nur wenige weitere Menschen.
„Diese Unterkunft ist fehl am Platz“, sagt der 60-Jährige. „Hier ist ein Altenheim gegenüber und die Leute telefonieren abends auf der Straße. Das geht nicht.“ Rücksicht sei wichtig, auch untereinander in der Unterkunft. „Eigentlich macht jeder, was er will“, sagt die 52-Jährige. Sie selbst fühlten sich von der Geräuschkulisse in der Unterkunft auch gestört. „Das macht dich psychisch kaputt, ganz ehrlich“, so A. „Wir sind froh, dass wir hier geschützt sind und das Nötigste haben, aber das ist eigentlich kein Leben so.“
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Tagsüber, erzählt das Paar, gehen die beiden spazieren – mehrmals. „Was willst du sonst auch tun?“ Die Leute in der Nachbarschaft seien meistens freundlich und grüßen. „Aber nicht alle“, so die Frau. „Manche gucken böse oder wechseln die Straßenseite. Ich bin auch nur ein Mensch. Bin ich weniger wert?“ Man müsse auch die Anwohner verstehen, erwidert ihr Mann. „Wir sind für sie Fremde. Sie fürchten uns.“ Wie es für die beiden weitergeht, wissen sie nicht. „Manche glauben, wir suchen uns das aus, so zu leben. Wir sind hier wie Tiere. Wir sind hier, weil es zu Hause nicht besser für uns ist.“
Vielleicht brauche es aber einfach ein bisschen Zeit, bis sich die Abläufe im „Hajam“ eingespielt haben – etwas anderes als zu warten bleibe ihnen wohl nicht übrig, stellt A. bitter fest. „Ich bin vielleicht nicht gebildet und schlau, aber eins weiß ich: Man muss immer weiterkämpfen.“