Mülheim. Der Betrieb der Flüchtlingsunterkunft in Raadt hat eine Beschwerde-Welle ausgelöst. Nun schrieb die Mülheimer AfD etliche Anwohner gezielt an.
Ein Brief, zwei Seiten, mit säuberlichen Knicken gedrittelt: Ohne Umschlag und Frankierung fanden etliche Nachbarn der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) an der Parsevalstraße am Wochenende einen sogenannten Bürgerbrief in ihren Briefkästen. Unterzeichnet vom „AfD Kreisverband Mülheim an der Ruhr“ nehmen die Verfasser Bezug auf die jüngsten Vorwürfe, die mit Einzug von rund 650 Geflüchteten in die Raadter Unterkunft laut wurden.
Auf Nachfrage bestätigt AfD-Kreisvorsitzender Alexander von Wrese, dass der Kreisverband das der Redaktion vorliegende Schreiben verfasst und insgesamt rund 500 Kopien „im gesamten Raadter Stadtgebiet verteilt“ hat. Zwei Mitglieder des Parteivorstandes sollen den Text samt politischer Forderungen verfasst haben. In einer mehrstündigen Aktion seien die Schreiben schließlich verteilt worden. In einem Facebook-Post der Partei heißt es dazu: „Nutzen wir die derzeitige Erfolgswelle, um den Bürgern unsere alternativen Antworten auf entscheidende Fragen zu vermitteln.“
Mülheim-Raadt: AfD verteilt Briefe in der Anwohnerschaft
Einer, der das Schreiben am Wochenende ebenfalls in seinem Briefkasten vorfand, war Heinz Schroether. Seit 1997 lebt der 60-Jährige mit seiner Frau und den Kindern an der Ecke Parsevalstraße/Horbeckstraße, rund 500 Meter von der Geflüchtetenunterkunft entfernt. „In unserem Wohnhaus haben alle diesen Brief bekommen“, schildert Schroether. Ihn habe der Brief ohne Umschlag zunächst irritiert, dessen Inhalt schließlich noch mehr: „Das ist ein Pauschalisieren ohne Fakten, die wissen überhaupt nicht, wovon sie da schreiben.“
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Zum Kreis der Adressaten zählt eine weitere Anwohnerin, die anonym bleiben möchte. „Die sind auf Stimmenfang, habe ich gleich zu meinem Mann gesagt“, berichtet die Frau, die erst seit wenigen Jahren in der Parsevalstraße wohnt und am Samstag das Schreiben des AfD-Kreisverbands aus ihrem Briefkasten holte. „Klar, das machen sie schon sehr raffiniert und ich glaube gerade im Neubaugebiet herrscht schon eine andere Stimmung mittlerweile.“ In der Nachbarschaft gebe es Gerede, vielfach verselbstständigten sich Gerüchte. „Da ist ein Brief wie dieser nur Öl im Feuer.“
Gerücht von Einbruch machte die Runde in Mülheim-Raadt
So ist in dem sogenannten Bürgerbrief die Rede von einem „Einbruchsversuch durch zwei Bewohner der Asylunterkunft, wodurch das Sicherheitsempfinden innerhalb des Stadtteils erheblich gestört wird“. Die Polizei hatte dazu erklärt, dass der Vorfall von Mitte Juli ausdrücklich kein erwiesener Einbruchsversuch gewesen sei und auch sonst keine Straftaten vorliegen.
Bilder einer Überwachungskamera hätten demzufolge gezeigt, dass sich eine Palästinenserin (20) ein Syrer (21) und vor der Garage auf einem Privatgrundstück aufgehalten hätten. Beide sollen sich unmittelbar entfernt haben, nachdem ein Bewegungsmelder ausgelöst und Licht angegangen sei. Die Bewohner mussten die Unterbringung zwei Tage nach dem Vorfall verlassen (wir berichteten).
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Wieso der AfD-Kreisverband in seinem Schreiben trotz anders geltender Faktenlage bei der Formulierung eines Einbruchsversuchs bleibt, erklärt Alexander von Wrese so: „Wir werten die Verlegung der zwei Bewohner als eindeutiges Zeichen an dieser Stelle.“ Zudem habe mindestens ein innerer Tatbeschluss bestanden, das legten die Anschuldigungen des Bewohner nahe, auf dessen Einfahrt die beiden ZUE-Bewohner angetroffen worden waren.
Mülheims AfD weiterhin gespalten: Fraktion war nicht informiert
Dass der sogenannte Bürgerbrief vom „AfD Kreisverband Mülheim an der Ruhr“ unterzeichnet ist, lässt mit Blick auf die jüngere Vergangenheit der Partei aufhorchen: Dass die Fraktion und ihr ehemaliger Vorsitzender Alexander von Wrese sich überworfen haben sollen, ist bekannt. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt der AfD-Fraktionsvorsitzende Dominic Friese: „Der Brief kommt nicht von der Fraktion.“ Gewiss, distanzieren wolle man sich von dem Schreiben nicht – „inhaltlich unterstützen wir das, was drin steht“. Eine Absprache vor Versenden der unfrankierten Briefe habe es laut Fiedler aber nicht gegeben. Er selbst habe am Sonntag „von anderer Stelle“ ein Foto des Briefes erhalten. „Es wäre schön gewesen, wenn wir da als Fraktion mehr im Bilde gewesen wären.“
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Ebenfalls vor vollendete Tatsachen gestellt worden ist die Stadtverwaltung. Sozialdezernentin Daniela Grobe will die parteipolitischen Forderungen des Schreibens nicht kommentieren, Ende vergangenen Jahres habe der Rat dem Konzept zur kommunalen Geflüchtetenunterbringung zugestimmt. Aus Sicht der Verwaltung könne sie aber sagen, dass die Thematik die Stadt derzeit extrem beschäftige. Täglich gebe es Zuschriften mit Hinweisen. „Dass das subjektive Sicherheitsempfinden gesunken ist, verstehe ich.“ Gerüchte und darauf aufbauende Stimmungsmacherei zementierten das nur weiter. „Wir stehen vor einer Herausforderung, tragen aber auch eine humanitäre Verantwortung.“