Mülheim. Die Debatte um das Flüchtlingsheim in Mülheim-Raadt hinterlässt einen gespaltenen Stadtteil. Mehrere Anwohner üben Kritik, fühlen sich ungehört.
Seit rund 50 Jahren lebt Beate Jansen in Raadt, sie ist in dem beschaulichen Stadtteil aufgewachsen, hat über die Jahrzehnte schon viele Wandel erlebt. Als eine der wenigen ist die 58-Jährige dazu bereit, in der öffentlichen Debatte rund um die Zentrale Unterbringung Geflüchteter ihren Namen zu nennen. Entschieden sagt sie: „Die Vorwürfe aus der Nachbarschaft kann ich überhaupt nicht bestätigen.“
Damit bezieht sich die Raadterin auch auf den Brandbrief, den ein 33-jähriger Anwohner unter anderem an Innenminister Herbert Reul adressiert hat. Die Vorwürfe darin: Lärm, Vermüllung, Drogenmissbrauch. „Ich gehe jeden Tag nach der Arbeit noch eine Runde spazieren“, schildert Jansen. „Und Müll, irgendwelche anderen Hinterlassenschaften oder sogar Drogen habe ich nie gesehen.“ Sicher, als sie bei der Infoveranstaltung zum ersten Mal hörte, wie viele Menschen in der Unterkunft leben sollen, „musste ich schlucken.“ Der erste Gedanke: „Das ist viel.“
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Und das sieht Beate Jansen bis heute nicht unbedingt anders. Abgrenzen von den Brandbrief-Verfassern und -Unterstützern will sie sich aber explizit. „Ja, es sind viele und ja, Raadt ist ein ruhiger Stadtteil. Aber da können die Bewohner doch nichts für.“ Dass der Stadtteil idyllisch zum Wohnen sei, bringe nun mal die Kehrseite mit sich, dass sich unmittelbar vor Ort kaum etwas unternehmen lässt. „Ohne Auto ist man hier im Prinzip aufgeschmissen“, so die Raadterin. „Dann liegt es auf der Hand, dass die Leute auch hier rumlaufen, wieso denn auch nicht?“
Wirklich jedes Mal – das betont die 58-Jährige mit Nachdruck – grüßten die Bewohnerinnen und Bewohner, denen sie begegnet, freundlich. „Ich kann wirklich kein böses Wort über die Menschen sagen.“ Es störe sie massiv, wie der Stadtteil und seine Bürgerinnen und Bürger in der öffentlichen Debatte bislang wegkommen. Die Realität spiegele das aus ihrer Sicht nicht wider. „Man hat schon damals bei der Infoveranstaltung gemerkt, dass viele von Anfang an voller Vorbehalte waren.“ Mindestens genau so viele betrachteten die Dinge aber auch anders. „Wir sprechen hier in der Nachbarschaft oft darüber.“
Mülheimerin sieht viel Vorverurteilung in der Nachbarschaft
Unweit von Beate Jansen, ebenfalls auf der Parsevalstraße, lebt eine Familie. Die Mutter, die an dieser Stelle anonym bleiben möchte, bestätigt die Eindrücke ihrer Nachbarin. „Die Menschen aus der Unterkunft, denen ich begegne, sind immer total freundlich“, schildert die 30-Jährige. Von Müll oder Drogen- und Alkoholkonsum habe sie bislang nichts mitbekommen. „Ich habe das Gefühl, dass viele Leute hier die Geflüchteten auf Teufel komm raus vorverurteilt haben.“ Auch sie selbst, gesteht die Mutter, habe zu Beginn Bedenken gehabt. Bestätigt habe sich von ihren Sorgen allerdings keine.
Der Bürgerbrief der AfD, in dem der Kreisvorstand die Debatte um den Stadtteil für Wahlwerbung genutzt hat, sei das einzig Schlechte, was bislang aus dem Einzug der Geflüchteten hervorgegangen sei. „Ich hoffe nur, dass die Leute in der Unterkunft nicht mitbekommen, wie zum Teil über sie gesprochen wird. Das ist alles eklig und gemein.“ Vielfach werde die junge Frau vom Freundes- und Bekanntenkreis auf die Lage angesprochen, ob denn alles in Ordnung sei und ob es wirklich so schlimm sei. „Da kann ich nur lachen, auch wenn’s eigentlich traurig ist“, so die 30-Jährige. „Das sind schwierige Umstände, aus denen die Leute kommen. Wir sollten unser Möglichstes tun, um ihnen den Start zu erleichtern.“
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Das Ehepaar Andrea und Martin Behmenburg hat bereits in einem Leserbrief seinen Standpunkt zur öffentlichen Debatte rund um die ZUE deutlich gemacht. „Dafür haben wir wirklich sehr viel Zuspruch erhalten“, schildert Martin Behmenburg im Gespräch mit der Redaktion. So schrieben sie damals unter anderem: „Als Anwohner, die zwar nicht in der Theo-Wüllenkemper-Straße, aber dennoch in unmittelbarer Sicht- und vor allem Hörweite der Einrichtung wohnen, haben wir bisher weder Lärm- noch andere Umfeldbelästigungen durch die Bewohner oder Lieferanten der ZUE festgestellt.“
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Gut möglich, räumt Martin Behmenburg ein, dass es als direkter Nachbar der ZUE andere Eindrücke gebe. Doch was ihn besonders stört: „Diese Anonymität ist das Problem. Wer etwas zu beklagen hat, soll mit Namen dazu stehen.“ In der Masse sei es aus seiner Sicht einfach, sich mit teils von Vorverurteilungen geprägten Wahrnehmungen an die Öffentlichkeit zu wenden. „Irgendwas bleibt dann immer hängen und so nimmt die Debatte keine gute Richtung.“ Eben solche Entwicklungen spielten dann Parteien wie der AfD in die Karten.
Genau das, so eine weitere Anwohnerin, mache ihr Angst: „Die Stimmung hier ist sehr aufgeheizt und das nutzen die Falschen für sich.“ Sie selbst möchte ihren Namen öffentlich nicht nennen, zu groß ist die Sorge 55-Jährigen, erkannt zu werden und sich möglichem Ärger auszusetzen. „Eigentlich schade, aber die Umstände haben mich so weit gebracht.“ Auch sie könne die Anschuldigungen aus dem Brandbrief nicht verstehen. „Ich gehe immer abends mit dem Hund und es ist immer alles unauffällig.“ Die Bewohner der ZUE wirkten auf sie freundlich, „ich wünschte, wir hätten mehr Kontakt zueinander.“ Aktuell sei es, als verlaufe eine unsichtbare Grenze zwischen den Raadtern und den Geflüchteten.
Offenbar nicht die einzige Grenze – zwischen der Neubausiedlung und den alteingesessenen Raadtern tun sich laut der 55-Jährigen Gräben auf. „Diese Spaltung ist wirklich bedenklich.“ Sie könne Bedenken verstehen, zumindest in Grundzügen, denn auch sie sagt: „Das sind sehr viele Menschen, im Prinzip unwürdige Zustände. Das ist aber nicht die Schuld der Bewohner.“
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Und ja, in unmittelbarer Nähe der ZUE herrsche zuweilen eine gewisse Geräuschkulisse. „Aber eher wie eine Großküche, wo ganz viel klimpert, weil so viel passiert im Inneren.“ Aus Sicht der 55-Jährigen ist vollkommen nachvollziehbar, dass die Bewohner sich auch draußen aufhalten. „Die Frage ist nur, was im Winter passiert?“