Mülheim. Eine Finanzspritze in Millionenhöhe hat nun das EU-Parlament beschlossen. Wieso nicht alle ehemaligen Mitarbeitenden davon profitieren können.

Sie haben lange und zermürbend für ihre Arbeitsplätze gekämpft und schließlich doch unverschuldet ihre Jobs verloren, weil der Rohrproduzent Vallourec entschieden hatte, seine Werke in Mülheim und Düsseldorf aus Rentabilitätsgründen zu schließen und stattdessen künftig in Brasilien zu produzieren. Trotzdem hielten viele der Vallourec-Beschäftigten ihrem Werk die Treue, bis im Spätsommer 2023 das letzte Rohr gefallen war. Jetzt erhalten diejenigen, die in die Transfergesellschaft gemündet sind, finanzielle Unterstützung von der EU.

Um die rund 800 ehemaligen Mitarbeiter des französischen Rohrproduzenten, die nach den Werksschließungen in die Transfergesellschaft übergegangen sind, fit zu machen für den Arbeitsmarkt, stellt das EU-Parlament nun drei Millionen Euro für Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen bereit. Damit kofinanziert die EU die Maßnahmen, die im Rahmen des gemeinsamen Aktionsplans zwischen Vallourec, Arbeitnehmervertretern und den deutschen Behörden ausgehandelt wurden.

Ehemalige Vallourec-Mitarbeiter, die keinen Job gefunden haben, münden in Transfergesellschaft

Ende 2022 hatten sich Vallourec und die Arbeitnehmerseite auf einen Interessenausgleich samt Sozialplan zur Betriebsstilllegung in Mülheim und Düsseldorf verständigt. Dieser sah unter anderem vor, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bis zu den Werksschließungen Ende 2023 noch keinen neuen Job gefunden hatten, ab Januar 2024 für maximal ein Jahr in eine Transfergesellschaft wechseln können. In diesem Jahr erhalten sie neben Kurzarbeitergeld eine Aufstockung seitens Vallourec auf 85 Prozent ihres bisherigen Gehaltes.

Zu den Qualifikationen, die die verbliebenen Beschäftigten mitbringen, hatte das zuständige NRW-Arbeitsministerium auf Anfrage dieser Redaktion mitgeteilt, dass neun Prozent der Betroffenen ohne Berufsabschluss dastünden. Weitere rund 80 Prozent könnten eine Berufsausbildung vorweisen, allerdings sei jeder Achte von diesen Arbeitnehmern bei Vallourec nicht in seinem Ausbildungsberuf eingesetzt gewesen, sondern branchenfremd. Gelernte Tischler seien etwa darunter, Gärtner oder Verkäufer. Der Rest, rund elf Prozent, könne einen Meisterbrief vorweisen oder einen Studienabschluss.

Auch Vilson Gegic, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec Deutschland, erinnert daran, dass von den in beiden Werken zuvor insgesamt mehr als 2000 Beschäftigten längst nicht alle Facharbeiter waren und wegen ihrer Spezialisierung auf die Vallourec-eigenen Prozesse nicht eins zu eins in einem anderen Betrieb arbeiten könnten - „selbst in der Branche ist das nicht das Gleiche“, meint Gegic und verdeutlicht die schwierige Situation seiner Kollegen: „Die meisten gehörten seit vielen Jahren zu Vallourec, waren nie arbeitslos und wollten eigentlich bis zu Rente da bleiben.“

Vilson Gegic ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec Deutschland.
Vilson Gegic ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec Deutschland. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

20,1 Prozent der ehemaligen Vallourec-Beschäftigten sind älter als 54 Jahre

Auch aus dem Berichtsentwurf, mit dem die Hilfen für die Vallourec-Beschäftigten im EU-Haushaltsausschuss beantragt worden waren, geht hervor, dass sich die meisten Betroffenen in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer beruflichen Laufbahn befinden, da sie lange für Vallourec Deutschland gearbeitet haben und „über formale Qualifikationen verfügen, die auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt nicht nachgefragt sind“. Zudem ist dem EU-Antrag zu entnehmen, dass 20,1 Prozent der ehemaligen Vallourec-Beschäftigten bereits älter als 54 Jahre sind.

Finanzspritze für die Qualifizierung der ehemaligen Vallourec-Beschäftigten

Der Berichterstatter zu dem EU-Antrag Jens Geier, der zudem haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Europäischen Parlaments ist, betont, dass die Weiterqualifizierung und Umschulung der Arbeitskräfte daher eine Herausforderung darstellen werde, „insbesondere angesichts der großen Zahl von Personen, die gleichzeitig entlassen werden“.

Von 624 ehemaligen Kollegen, die aktuell in der Transfergesellschaft stecken, berichtet Ousama Bouarous, Betriebsratsvorsitzender des Mülheimer Vallourec-Werkes und Mitglied im Beirat der Transfergesellschaft. Hinzu seien 124 weitere ehemalige Vallourec-Mitarbeiter zu zählen, die sich bereits in der Erprobung bei potenziellen neuen Arbeitgebern befänden, aber die Möglichkeit hätten, in die Transfergesellschaft zurückzukehren.

Der Mülheimer Vallourec-Betriebsratsvorsitzender Ousama Bouarous.
Der Mülheimer Vallourec-Betriebsratsvorsitzender Ousama Bouarous. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die Drei-Millionen-Hilfe der EU könne nun denjenigen, die in der Transfergesellschaft gelandet sind, zu neuen Perspektiven verhelfen, weil, so Bouarous, „damit größere Möglichkeiten zur Weiterbildung bestehen, es etwa Zuschüsse für die gibt, die sich selbstständig machen wollen, sodass sie etwa Werkzeug anschaffen können. Zudem ist etwa auch die Übernahme von Fahrtkosten für ein Jahr möglich, wenn eine neue Arbeitsstelle weiter weg liegt. Mit dem Budget haben die Kollegen eine gute Ausgangsbasis.“ Ganz überraschend sei der EU-Geldsegen übrigens nicht gekommen, berichtet Bouarous: „Es gab bereits Gespräche mit Vertretern aus dem EU-Parlament, die Mittel wurden schon vergangenes Jahr beantragt.“

Dass die Gelder erst jetzt bewilligt worden sind, ist für Gesamtbetriebsrat Gegic Grund für Kritik: „Der Prozess hat zu lange gedauert, nicht mehr alle Kollegen können davon profitieren.“ Zumal sei die Zeit der Transfergesellschaft, die im Januar dieses Jahres gestartet war und auf zwölf Monate festgelegt ist, bereits weit fortgeschritten. Gegic meint deshalb: „Ich halte es nicht für realistisch, dass wir die drei Millionen Euro ausschöpfen können.“ Sein Betriebsrats-Kollege aus Mülheim, Ousama Bouarous, ist da optimistischer: „Wir können jetzt nochmal richtig Gas geben mit der Weiterbildung und auch Optionen anbieten, die vorher nicht genehmigt worden wären.“

Vielfach hatten Vallourec-Beschäftigte vor dem Werk in Mülheim protestiert, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen.
Vielfach hatten Vallourec-Beschäftigte vor dem Werk in Mülheim protestiert, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

EU-Parlamentsvertreter Geier betont: „Die Bewilligung dieser Mittel ist ein Zeichen europäischer Solidarität für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Vallourec. Für die Transformation zu einem klimaneutralen Industriestandort werden wir das Knowhow dieser Menschen mittelfristig brauchen. Die Werksschließungen stellen die Region vor enorme arbeitsmarktpolitische Probleme. Die EU wird hier regionalpolitisch deutlich mehr investieren müssen.“ Dass die EU sich der wirtschaftlichen Probleme Mülheims annehme, lobt der SPD-Landtagsabgeordnete Rodion Bakum: „Das ist einfach eine starke Unterstützung für die ehemaligen Beschäftigten von Vallourec. Auch wenn das Geld natürlich nicht den Verlust der Jobs ausgleichen kann, ist es doch eine wichtige Hilfe für die Menschen hier, damit sie ihr Berufsleben fortsetzen können.“

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