Mülheim. Im Wandelwinkel wird ein gemeinschaftliches Modell umgesetzt: Nur wer investiert, darf einkaufen oder Yoga machen. So soll das funktionieren.
Der Wandelwinkel, der gerade am Fuße der Mülheimer Altstadt entsteht, soll ein Ort für sozial-ökologisches Handeln sein, der mit dazu beiträgt, einen Umschwung in der Gesellschaft zu bewirken - weg vom Konsum, hin zum nachhaltigen Leben.
Auf zwei Etagen entsteht an der Bachstraße, im Schatten der Petri-Kirche und mit (schrägem) Blick auf den Siegfried-Reda-Platz, etwas ganz Neues. Als gemeinschaftsgetragenes Geschäftsmodell erwecken hier Ehrenamtliche den Wandelwinkel zum Leben. Kein gewöhnliches Geschäft (auf Mölmsch heißt Laden Winkel), sondern ein Ort mit (derzeit) drei Nutzungsformen: Neben der Möglichkeit Yoga zu praktizieren, finden dort textile Repair-Cafés statt, bei denen Lieblingsklamotten ausgebessert werden. Dritte Säule ist der geplante Verkauf von unverpackten Lebensmitteln. Dazu warten die Möbel des ehemaligen Unverpackt-Lades Püngel & Prütt auf neuerlichen Einsatz.
Angebot des Wandelwinkels in Mülheim wird Vereinsmitgliedern vorbehalten sein
Einkaufen, an den Yogastunden teilnehmen oder im textilen Repair-Café nähen, wird hier aber künftig nicht jeder dürfen, denn das Angebot ist denjenigen vorbehalten, die Mitglied im Wandelwinkel-Verein werden, erklärt Vorstand Hans Kühnl (28), der auch Mitbegründer der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) in Mülheim ist.
Als Gemeinschaft wollen sie es anders machen, ein Stück weit die Welt verändern und in der Gesellschaft wach kitzeln, was sie als unerlässlich erachten: Ein Miteinander, das nicht an Profit orientiert ist, sondern ressourcenschonendes Vorgehen in den Fokus stellt, das Klima- und Umweltschutz achtet. So bereichere sich nicht einer maximal am Gewinn, sondern die Einrichtung sei eine Bereicherung für die Gemeinschaft, skizziert Laura Pszczola, ebenfalls Gründungsmitglied des Wandelwinkels.
Mehrere Beitragsrunden, bis die Finanzierung des Ladens nach dem Solidaritätsprinzip steht
Auf der Basis des Solidaritätsprinzips wollen sie wirken, was auch einschließt, dass anfallende Kosten - wie etwa die Miete für die Räumlichkeiten - durch die Gemeinschaft getragen werden, erklärt Hans Kühnl. Dabei entscheide jeder für sich, wie viel er beizusteuern bereit ist. „Was es ihm wert ist“, konkretisiert Laura Pszczola (35). Und Hans Kühnl wirbt um Mitmachende: „Werdet Teil der Gemeinschaft und tragt gemeinsam das Projekt.“ Aus dem Landwirtschaftsprojekt wisse er, dass das gemeinschaftsgetragene Modell funktioniert.
Bis die Finanzierung stehe, durchliefen die Mitglieder Beitragsrunden, in denen alle Kosten transparent gemacht werden und jeder für sich auslote, wie viel Geld er geben will. Laura Pszczola nennt ein praktisches Beispiel: „Nicht jeder kann es finanzieren, in eine Yogaschule zu gehen. Hier zahlt er, was er kann. Und versteht zudem, in was er sein Geld gibt, weil genau erklärt wird, wodurch die Kosten entstehen.“
Mülheimer Wandelwinkel soll auch Teil des Quartiers am Rande der Altstadt werden
Auch wenn sie auf den ersten Blick wie ein geschlossener Kreis wirkten, wie Kühnl es formuliert, sei es auch ihr Ansatz, in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken, den Laden zu öffnen und vielleicht auch den davor liegenden Platz zu bespielen. Sie wollen Teil des Quartiers werden, betonen die Wandelwinkel-Gründer.
Um ihre Geschäftsidee längerfristig aufzustellen, lassen sich die Gründer regelmäßig fachmännisch beraten und evaluieren immer wieder ihr Geschäftsmodell, in dem noch Raum sei für viele weitere Wandelideen. Jeder könne sich seiner Kompetenzen entsprechend einbringen.
Tische, Schränke und Nähmaschinen für den Mülheimer Wandelwinkel sind gespendet
Dass sie nachhaltig und ressourcenschonend haushalten, habe sich bereits bei der Einrichtung der Räumlichkeiten erwiesen, berichtet Laura Pszczola. „Kein einziges Möbelstück mussten wir kaufen - alles wurde gespendet, selbst Farbe für die Wände.“ Und auch fürs textile Repair-Café hagelte es beinahe Nähmaschinen. „Nachdem wir einmal rumgefragt haben, hatten wir direkt fünf Stück sowie einiges an Flickzeug.“
Das Beisteuern von Gegenständen und eigenständige Betreuen der Räume - im Erdgeschoss sind neben dem zur Straße gelegenen Verkaufsraum auch Waschräume, in der oberen Etage erstreckt sich ein großer, offener Raum mit einer Küchenzeile - schaffe für die Mitglieder eine engere Verbindung zu dem Ort, sind die Wandelwinkel-Gründer überzeugt.
Ziel der Gemeinschaft ist ein sozial-ökologisch besseres Leben
Für Laura Pszczola greifen die drei so unterschiedlich erscheinenden Nutzungsformen, mit denen der Wandelwinkel an den Start geht, gut ineinander, denn es gehe stets um den Mehrwert: Yoga gebe die Energie, um in die Handlung zu kommen, plastikfreie Lebensmittel seien besser für die Gesundheit und weitergenutzte Kleidung schone die Umwelt - alles ziele auf ein sozial-ökologisch besseres Leben ab.
Ihre Interessentenliste sei inzwischen gut gefüllt, berichten die Ideengeber: 130 bis 140 Menschen hätten sich dort bereits eingetragen. Wie viele derjenigen schließlich auch (zahlende) Vereinsmitglieder werden, bleibe abzuwarten, aber die Gründer geben sich optimistisch. Eine Möglichkeit, den Ansatz des Wandelwinkels kennenzulernen, besteht beim nächsten textilen Repair-Café, das am 28. April um 15 Uhr in den Räumen an der Bachstraße 15-17 stattfindet. Dann können Lieblingsstücke geflickt, Hosen gekürzt oder Knöpfe angenäht werden. Auch für andere Handarbeiten wie Stricken oder Häkeln sei Raum. Im Vordergrund stehe auch hierbei die Gemeinschaft, der Austausch und die Weitergabe von Fertigkeiten.
Diejenige, die das Textil-Repair-Café anleitet, ist Ariane Gerke (29), eine der Gründerinnen des ehemaligen Unverpacktladens Püngel & Prütt, der im Herbst 2022 schließen musste . Sie kann im Wandelwinkel ihre Idee von nachhaltigem Leben durch ihr Know-How als Bekleidungstechnikerin wieder aufleben lassen.
Weitere Infos gibt‘s unter wandelwinkel.ruhr.
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