Mülheim. Eigentlich ist Judith Massenberg Lehrerin in Mülheim. Durch einige Schicksalsschläge hat sie sich aber für ein spezielles Ehrenamt entschieden.
Vielleicht war es so vorbestimmt, das kann sie gar nicht genau sagen. Aber ziemlich schnell hat Judith Massenberg gespürt, dass sie ganz gut mit dem umgehen kann, was andere Menschen vor schier unüberwindbare Hindernisse stellt. Damals war die 42-Jährige noch Lehrerin in Bochum, drei Halbwaisen und eine Vollwaisin gehörten zu ihrer Klasse. Wenn andere wegschauten oder unbeholfen ihr Mitleid ausdrückten, versuchte die Pädagogin Halt zu geben. Zu dem Zeitpunkt konnte sie noch nicht ahnen, was sich daraus entwickeln würde.
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Die Jahre gingen, Schicksalsschläge um Judith Massenberg herum blieben, kamen sogar immer näher, bis sie sie mitten ins Herz trafen und bis ins Mark erschütterten. „Ich bin Sternenkind-Mama. Zwei Kinder habe ich im Himmel und eins an der Hand.“ In dieser Zeit lernt sie die andere Seite der Trauer kennen und auch wie es ist, wenn es beim Gegenüber an Empathie mangelt. „Das hat mich geprägt“, sagt Judith Massenberg.
Mülheimerin absolviert mehrere Kurseinheiten an Wochenenden
Ihr persönlich hilft die Kreativität, das Zeichnen und Nähen, aber auch der Austausch und Glaube. Eine Freundin machte sie auf die Ausbildung zur ehrenamtlichen Seelsorgerin (siehe Box) aufmerksam, ermutigt sie. „Das wäre doch was für dich.“ 2023, die persönlichen Verluste liegen nun etwas zurück, startet Judith Massenberg mit der Ausbildung an Wochenenden, unter der Woche unterrichtet sie Sport, Evangelische Religion und Kunst an der Realschule Stadtmitte.
Ausbildung für die Seelsorge
Der Evangelische Kirchenkreis hat Ende 2022 unter dem Namen „Wege begleiten“ eine Ausbildung zur Qualifizierung von Ehrenamtlichen für die Seelsorge in Kirchengemeinden, Krankenhäusern, Alteneinrichtungen, Hospizen und die Notfallseelsorge ins Leben gerufen.
Die Ausbildung gliedert sich in einen Basiskurs aus fünf Modulen und die Aufbaukurse in den spezifischen Seelsorgefeldern. Die Module beschäftigen sich etwa mit Motivation, kommunikativer, ethischer und personaler Kompetenz sowie Spiritualität.
Kontakt bei Interesse: Kirchenkreis An der Ruhr, Julia Quindeau. Telefon: 0208/3003135, Mail: quindeau@kirche-muelheim.de.
„Das war eine tolle, inspirierende sowie lehrreiche Zeit“, blickt sie zurück. Gemeinsam mit 19 anderen Freiwilligen wird sie geschult. Vieles aus der Ausbildung wendet die Lehrerin im Alltag an, „bei uns gibt es wirklich viele Kinder mit herausfordernden Familienverhältnissen“. Viele, so sagt sie, unterschätzten die Bedeutung des bloßen Zuhörens. „Die individuelle Erfahrung anzuerkennen und nicht abzusprechen, macht ganz viel aus. Einfach zuhören.“
Mülheimer Krankenhaus gibt Eltern von Sternenkindern eine Box
Als Judith Massenberg mit Abschluss ihrer Ausbildung dann vor der Entscheidung steht, wo sie ihr theoretisches Wissen praktisch anwenden soll, steht für sie fest: „Ich will in die Gemeinde.“ Neben Familie und Job ist sie im Ehrenamt auf Planbarkeit und feste Zeiten angewiesen. Der ehrenamtliche Einsatz an einer Schule sei zwar auch reizvoll gewesen, aber letztlich dann doch zu nah am Job. Und die thematische Ausgestaltung? Die war auch schnell klar, Judith Massenberg will mit Müttern, Vätern und anderen Angehörigen von Sternenkindern, also Kindern, die tot zur Welt kommen und die Schwangerschaft nicht überstehen, arbeiten.
„Das ist ein unglaubliches Tabu-Thema“, sagt sie. Schon vor ihrem Engagement als Seelsorgerin stellte die 42-Jährige sogenannte „Stilles Wunder“-Boxen zusammen. Flache Kartons mit Verzierung, die Eltern von Sternenkindern im Evangelischen Krankenhaus ausgehändigt werden und die unter anderem eine Einschlagdecke für das Baby und ein Abschiedskörbchen enthalten. Beides so erschreckend klein, dass es einem beim Anblick der säuberlich genähten Produkte unweigerlich den Hals zuschnürt.
Mülheimer Nähcafé soll Betroffenen helfen
Diese Boxen und ihren Inhalt stellt die Seelsorgerin nun gemeinsam mit Frauen her. Im Nähcafé treffen sich Frauen aus Mülheim und Umgebung am ersten Donnerstag des Monats zum „Flausch und Plausch“. Während in Räumen der Heißener Erlöserkirche genäht und gewerkelt wird, werden Geschichten und Erlebnisse ausgetauscht. „Mir ist es wichtig, die Leute da abzuholen, wo sie stehen“, sagt die frische Seelsorgerin. Allein schon die individuellen Erfahrungen zuzugestehen und sich verstanden zu fühlen, „wirkt Wunder“.
Letztlich muss man sich nichts vormachen, „ein Schwangerschaftsverlust, das Wort Fehlgeburt vermeide ich, ist ein einschneidendes Erlebnis, das grausam ist. Ganz egal, wann es passiert“, sagt Judith Massenberg. „Die Kraft, einen Umgang damit zu finden, trägt jeder und jede in sich, da bin ich überzeugt.“
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