Mülheim. Zur Klimaneutralität bis 2035 hat sich Mülheim verpflichtet. Dafür muss die Stadt konsequent Verkehr einschränken. Doch die Zahl der SUVs wächst.
Mit einem Rekord ist Mülheim ins neue Jahr gestartet: Bei den neuversicherten Fahrzeugen liegen die SUVs, also Sport Utility Vehicles, hier ganz weit vorn unter allen deutschen Städten. Das Versicherungsportal Check 24 hat Mülheim sogleich zur „SUV-Hochburg“ mit einem Anteil von 18,6 Prozent geadelt, gleich hinter Potsdam (17,7) und Leverkusen (17,6). Fast jeder fünfte Wagen ist ein großer. Im Umwelt- und Verkehrsamt dürfte man den Aufstieg auf dem Siegertreppchen der umstrittenen Stadtboliden zwiegespalten wahrnehmen, hat man sich doch just aufgemacht, klimaneutral werden zu wollen. Und nun?
Denn auf der anderen Seite liegt die Stadt etwa bei den E-Pkw im Städtevergleich mit nur 4,5 Prozent Anteil deutlich hinter Leverkusen (5,2), aber auch Ruhrgebietsstädten wie Essen (5,1), Bochum (5,0) und Dortmund (4,7). Von Top-Städten wie Wiesbaden (19,4 Prozent), München oder Stuttgart (beide 9,8) ganz zu schweigen. Das hat viele Gründe: Unlängst berichtete ein Mülheimer Paar davon, ihr E-Fahrzeug wieder loswerden und zurück auf Benziner umsteigen zu wollen, weil die öffentliche Ladeinfrastruktur in der Stadt zu schlecht sei.
Wie kann Mülheim von der SUV-Hochburg zum Klima-Vorreiter werden?
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Den aktuellen Plänen der Stadt dürfte das gleich auf mehreren Ebenen zuwiderlaufen: Denn E-Fahrzeuge sind ein wichtiger Baustein für Mülheim, will man denn am ambitionierten Ziel der Klimaneutralität in nur noch elf Jahren festhalten. „Um die Treibhausgasneutralität im Verkehrssektor bis ins Jahr 2035 zu erreichen, müssen mindestens 75 Prozent der Pkw mit erneuerbaren Energien batterieelektrisch angetrieben werden“, hatte der Rat der Stadt mit dem Integrierten Klimaschutzkonzept der Stadt erst im vergangenen Jahr verabschiedet.
Doch heutige SUVs sollen im Schnitt rund ein Viertel mehr Energie verbrauchen als mittelgroße Fahrzeuge, schon weil ihre Masse und ihr Luftwiderstand größer sind. Die Stadt müsste daher aktiv gegen den aktuellen Trend arbeiten.
Beschlossene Klimamaßnahme: 20 Prozent der Stellplätze will Mülheim einsparen
Und noch eine zweite angestrebte klimawirksame Maßnahme wird durch die tatsächliche Entwicklung im Mülheimer Straßenverkehr konterkariert: Um Treibhausgase zu mindern, wäre es notwendig, dass grundsätzlich weniger Auto gefahren wird. 19 Prozent der Fahrleistung von fossil betriebenen Autos und Motorrädern - also jede fünfte Fahrt - muss eingespart werden.
Um das erreichen zu können, will die Stadt nicht nur Anreize zum Umsteigen auf den ÖPNV oder das Fahrrad bieten, sondern auch Einschränkungen durchsetzen, die etwa das Parken in der Stadt madig machen. „Insgesamt sollte eine Reduktion von mindestens 20 Prozent der Stellplätze im öffentlichen Straßenraum erreicht werden, um die notwendigen Verlagerungseffekte zu erzielen“, heißt es im Klimaschutzkonzept. Jeder fünfte Parkplatz würde damit gestrichen.
Stellplätze in Mülheim werden immer größer
Nur wie soll das erreicht werden, wenn große und wuchtige Fahrzeuge im Schnitt weiter zunehmen und diese mehr Platz für das Parken in der Stadt benötigen? Seit rund zehn Jahren laboriert man im Verkehrsamt etwa an der „Parkraumsituation Innenstadt“, erfasst die Maximalauslastungen der Parkhäuser und Stellplätze an den Straßen. Das Fazit schon 2015: „Zu jedem Zeitpunkt stehen freie Stellplätze in Tiefgaragen und Parkhäusern zur Verfügung.“ Und nur in seltenen Fällen erreichen sie eine Auslastung von mehr als 80 Prozent, manchmal sogar gerade einmal 50.
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Zuletzt hat die Verwaltung 2021 die Parkflächen auch in Mülheims Stadtteilen in den Blick genommen. Nur kommt weiterhin das Handeln nicht wesentlich voran. Und inzwischen droht ein Trend zu größeren Fahrzeugen den möglichen Gewinn von 20 Prozent aufzufressen, den man ja durch den Abbau von Parkplätzen erreichen will.
Grüne fordern auch „Maßnahmen, die weh tun“
So schwarz will allerdings Timo Spors, Vorsitzender des Mobilitätsausschusses, die Lage nicht malen: „Wir haben bereits Parkplätze auf dem Rathausmarkt abgebaut.“ Dass die SUVs in der Stadt weiter zunähmen, hält Spors dennoch für „ein Riesenproblem“. Es sei ein deutliches Zeichen, dass man beim Einsparvorhaben noch nicht wesentlich weiter gekommen sei, räumt der Grüne Co-Fraktionsvorsitzende ein.
Aus Sicht der Grünen muss mehr getan werden, um Menschen grundsätzlich zum Umsteigen vom Auto auf sauberere Mobilitätsformen zu bewegen, etwa Fahrrad und Nahverkehr. „Dabei muss es auch um Maßnahmen gehen, die weh tun“, glaubt Spors. Denn nur mit gutem Zureden und besseren Radwegen und Busverkehr seien nicht alle dazu zu bewegen. Bislang haben viele Parkplätze das Autofahren gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln bevorzugt, die geplanten Einsparungen würden es etwas weniger bequem machen.
Andere Städte wie Paris sind schon einen weiteren Schritt gegangen und wollen die Parkgebühren für SUVs verdreifachen. In Tübingen hat man zumindest beim Bewohnerparken die Kosten für die „Stadtpanzer“ drastisch angehoben.
Hat Mülheim die Problematik SUV erkannt?
Doch hat Mülheim die Problematik SUV für die eigenen Klimaschutzmaßnahmen überhaupt erkannt und handelt entsprechend? „Das städtische Klimaschutzkonzept nennt konkrete Zielsetzungen zur Antriebsart und zur Fahrleistung, die Fahrzeuggröße ist hingegen keine örtlich erfasste Einflussgröße“, antwortet die Verwaltung auf Anfrage. Man wolle jedoch dem SUV nicht mehr Raum in der Innenstadt einräumen.
Längst aber hat der „Stadtpanzer“ Flächen in der Stadt erobert: Beim Schrägparken gilt für neu geschaffene Stellflächen nunmehr die Norm von 2,65 Meter. Ein Zuwachs von 15 Zentimetern und sogar 35 - betrachtet man frühere Normen von 2,30 Meter Breite - die bereits Zugeständnisse an dickere Wagen sind. Und auch beim Längsparken „kratzt“ der SUV mit etwa 1,97 Meter Breite an der Grenze von zwei Metern. So knapsen SUVs von der einen Seite und Klimaschutz von der anderen Seite an der Zahl der verfügbaren Parkflächen in der Stadt. Kann die Stadt beidem gerecht werden?
Höhere Parkgebühren für SUVs: Verwaltung reagiert zögerlich
Auf Abschreckung setzt Mülheim offenbar auch bei den Parkgebühren nicht: „Es bleibt erstmal festzustellen, dass noch keine deutsche Stadt SUVs als gesonderte Kategorie in eine Parkgebührenordnung aufgenommen hat, hier steht man bundesweit noch am Anfang einer Diskussion“, antwortet die Verwaltung auf Anfrage zurückhaltend.
Dabei hatte der Rat im Klimakonzept zumindest festgelegt: „Zusätzlich sollte geprüft werden, inwieweit durch eine Anhebung der Parkgebühren bzw. der Gebühren für Bewohnerparkausweise Einnahmen generiert werden können, die für einen Ausbau der Angebote des Umweltverbundes genutzt werden können.“ So hat die Stadt inzwischen die Gebühren für das Bewohnerparken von 60 auf 150 Euro angehoben, doch Planungen, die Anwohnerparkgebühren nach Fahrzeuggröße zu staffeln, heißt es, habe man nicht.
Für den Verkehrsexperten der Opposition, Daniel Mühlenfeld (SPD), wird es angesichts der hohen Verkehrsdichte in den Städten „darum gehen, brauchbare Alternativen zum Auto anzubieten“. Damit meint Mühlenfeld, nach eigenen Angaben selbst widerwillig SUV-Besitzer, nicht nur besseren Bus- und Bahnverkehr, sondern auch mehr Platz für Fußgänger etwa in der Innenstadt und Einkaufsstraßen. Aus seiner Sicht wären fußgängerfreundliche Straßen nicht nur attraktiver, sondern brächten mehr Laufkundschaft für Geschäfte, weil die Menschen zu Fuß eher geneigt seien, kurz mal in den Laden zu kommen. Damit seien Einschränkungen von Parkflächen notwendig, „entscheidend aber ist, dass Push-Faktoren mit einem Pull-Angebot Hand in Hand gehen“.
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